Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kommt die Kaperei wieder?

Auf der Londoner Konferenz sagte die englische Delegation hinsichtlich der
Umwandlungsfrage: sie müßte vom Rechtsstandpunkte der Neutralen gelöst
werden; sie sprach auch von der "Courtoisie" den Neutralen gegenüber. Es
wurde von den Delegierten der großen Festlandmächte unwiderleglich nach¬
gewiesen, daß die Schiffahrt der Neutralen, soweit sie legitim sei -- nicht gegen
die Konterbandebestimmungen verstoße, auch keine asLi8t-inne Kogtile leiste --,
durch das Umwandlungsrecht von Handelsschiffen zu Hilfskreuzern nicht im
mindesten beeinträchtigt werden könne. Heute will die britische Regierung das
"armierte Handelsschiff", welches die Unterschiede zwischen Kriegs- und Handels¬
schiff verwischt und damit gerade der neutralen Schiffahrt einen denkbar
schlimmen Dienst leistet. Sie wird im Kriege auch bei legitimstem Betriebe
ihres Erwerbes vom britischen "armierten Handelsschiffe" beunruhigt, bedroht
und diskreditiert sein. Es liegt auf der Hand, daß das "armierte Handels¬
schiff" im Kriege jede Gelegenheit benutzen wird, um sich als anonymer Hilfs¬
kreuzer zu betätigen, auch neutrale Schiffe zum Hafen zu bringen, sie zu unter¬
suchen usw. Ihre Anonymität macht die Gelegenheiten hierzu besonders zahlreich
und günstig. Ist nun aber Großbritannien nicht kriegführende Partei, sondern
neutral im Kriege, so erhebt sich die Frage, wie die Kriegführenden sich diesen
ständig schießbereiten neutralen Handelsdampfern gegenüber ^verhalten sollen;
eine sehrZkniffliche Frage.

Hinsichtlich dieses Punktes wird die britische Admiralität vermutlich der
Ansicht sein, daß Großbritannien, als neutrale Macht im Kriege, für die Be¬
handlung feiner "armierten Handelsschiffe" alles durchdrücken kann, was es will,
weil die Kriegführenden sonst fürchten müßten, aus dem Neutralen sich einen
Feind zu machen. Das wäre also die Machtfrage, welche gerade für England
die Rolle des Neutralen in einem Seekriege immer so ungemein gewinnbringend
gestaltet. ()ni vivra verrg! Ganz außerhalb des Machtbereiches der englischen
Flotte steht aber die weitere Frage: wie sich die Versicherungsgesellschaften zu
dem "armierten Handelsschiffe" stellen werden. Ein mit Kanonen, also mit
Offensivwaffen, ausgerüstetes Schiff wird wieder beschossen, die Unsicherheit
seiner Existenz nimmt zu, ein Kriegsschiff as facto wird bei den Gesellschaften
doch wohl einiges Bedenken erregen, auch wenn es as jure Handelsschiff bleiben
möchte. Umgekehrt wird für die gesamte Handelsschiffahrt die Unsicherheit durch
das "armierte Handelsschiff" so groß werden, daß man gerade auf die Haltung
der Seeversicherungsgesellschaften gespannt sein darf. Eine weitere Frage: ein
"armiertes Handelsschiff" führt neutrales Gut. Das Schiff wird von einem
feindlichen Kriegsschiffe beschlagnahmt. Was wird aus dem neutralen Gut?
Oder: ein "armiertes Handelsschiff" mit neutraler Fracht wird in den Grund
geschossen; was für Ansprüche hat der Frachteigentümer? Oder: ein neutrales,
"armiertes Handelsschiff" führt feindliches Gut usw. Kurz, es ergibt sich ein
Komplex von Fragen und Schwierigkeiten, die -- und das ist das Wesentliche --^
ausnahmslos darauf hinzielen, im Seekriege die bis jetzt bestehenden, spärlichen>


Kommt die Kaperei wieder?

Auf der Londoner Konferenz sagte die englische Delegation hinsichtlich der
Umwandlungsfrage: sie müßte vom Rechtsstandpunkte der Neutralen gelöst
werden; sie sprach auch von der „Courtoisie" den Neutralen gegenüber. Es
wurde von den Delegierten der großen Festlandmächte unwiderleglich nach¬
gewiesen, daß die Schiffahrt der Neutralen, soweit sie legitim sei — nicht gegen
die Konterbandebestimmungen verstoße, auch keine asLi8t-inne Kogtile leiste —,
durch das Umwandlungsrecht von Handelsschiffen zu Hilfskreuzern nicht im
mindesten beeinträchtigt werden könne. Heute will die britische Regierung das
„armierte Handelsschiff", welches die Unterschiede zwischen Kriegs- und Handels¬
schiff verwischt und damit gerade der neutralen Schiffahrt einen denkbar
schlimmen Dienst leistet. Sie wird im Kriege auch bei legitimstem Betriebe
ihres Erwerbes vom britischen „armierten Handelsschiffe" beunruhigt, bedroht
und diskreditiert sein. Es liegt auf der Hand, daß das „armierte Handels¬
schiff" im Kriege jede Gelegenheit benutzen wird, um sich als anonymer Hilfs¬
kreuzer zu betätigen, auch neutrale Schiffe zum Hafen zu bringen, sie zu unter¬
suchen usw. Ihre Anonymität macht die Gelegenheiten hierzu besonders zahlreich
und günstig. Ist nun aber Großbritannien nicht kriegführende Partei, sondern
neutral im Kriege, so erhebt sich die Frage, wie die Kriegführenden sich diesen
ständig schießbereiten neutralen Handelsdampfern gegenüber ^verhalten sollen;
eine sehrZkniffliche Frage.

Hinsichtlich dieses Punktes wird die britische Admiralität vermutlich der
Ansicht sein, daß Großbritannien, als neutrale Macht im Kriege, für die Be¬
handlung feiner „armierten Handelsschiffe" alles durchdrücken kann, was es will,
weil die Kriegführenden sonst fürchten müßten, aus dem Neutralen sich einen
Feind zu machen. Das wäre also die Machtfrage, welche gerade für England
die Rolle des Neutralen in einem Seekriege immer so ungemein gewinnbringend
gestaltet. ()ni vivra verrg! Ganz außerhalb des Machtbereiches der englischen
Flotte steht aber die weitere Frage: wie sich die Versicherungsgesellschaften zu
dem „armierten Handelsschiffe" stellen werden. Ein mit Kanonen, also mit
Offensivwaffen, ausgerüstetes Schiff wird wieder beschossen, die Unsicherheit
seiner Existenz nimmt zu, ein Kriegsschiff as facto wird bei den Gesellschaften
doch wohl einiges Bedenken erregen, auch wenn es as jure Handelsschiff bleiben
möchte. Umgekehrt wird für die gesamte Handelsschiffahrt die Unsicherheit durch
das „armierte Handelsschiff" so groß werden, daß man gerade auf die Haltung
der Seeversicherungsgesellschaften gespannt sein darf. Eine weitere Frage: ein
„armiertes Handelsschiff" führt neutrales Gut. Das Schiff wird von einem
feindlichen Kriegsschiffe beschlagnahmt. Was wird aus dem neutralen Gut?
Oder: ein „armiertes Handelsschiff" mit neutraler Fracht wird in den Grund
geschossen; was für Ansprüche hat der Frachteigentümer? Oder: ein neutrales,
„armiertes Handelsschiff" führt feindliches Gut usw. Kurz, es ergibt sich ein
Komplex von Fragen und Schwierigkeiten, die — und das ist das Wesentliche —^
ausnahmslos darauf hinzielen, im Seekriege die bis jetzt bestehenden, spärlichen>


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326478"/>
          <fw type="header" place="top"> Kommt die Kaperei wieder?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1444"> Auf der Londoner Konferenz sagte die englische Delegation hinsichtlich der<lb/>
Umwandlungsfrage: sie müßte vom Rechtsstandpunkte der Neutralen gelöst<lb/>
werden; sie sprach auch von der &#x201E;Courtoisie" den Neutralen gegenüber. Es<lb/>
wurde von den Delegierten der großen Festlandmächte unwiderleglich nach¬<lb/>
gewiesen, daß die Schiffahrt der Neutralen, soweit sie legitim sei &#x2014; nicht gegen<lb/>
die Konterbandebestimmungen verstoße, auch keine asLi8t-inne Kogtile leiste &#x2014;,<lb/>
durch das Umwandlungsrecht von Handelsschiffen zu Hilfskreuzern nicht im<lb/>
mindesten beeinträchtigt werden könne. Heute will die britische Regierung das<lb/>
&#x201E;armierte Handelsschiff", welches die Unterschiede zwischen Kriegs- und Handels¬<lb/>
schiff verwischt und damit gerade der neutralen Schiffahrt einen denkbar<lb/>
schlimmen Dienst leistet. Sie wird im Kriege auch bei legitimstem Betriebe<lb/>
ihres Erwerbes vom britischen &#x201E;armierten Handelsschiffe" beunruhigt, bedroht<lb/>
und diskreditiert sein. Es liegt auf der Hand, daß das &#x201E;armierte Handels¬<lb/>
schiff" im Kriege jede Gelegenheit benutzen wird, um sich als anonymer Hilfs¬<lb/>
kreuzer zu betätigen, auch neutrale Schiffe zum Hafen zu bringen, sie zu unter¬<lb/>
suchen usw. Ihre Anonymität macht die Gelegenheiten hierzu besonders zahlreich<lb/>
und günstig. Ist nun aber Großbritannien nicht kriegführende Partei, sondern<lb/>
neutral im Kriege, so erhebt sich die Frage, wie die Kriegführenden sich diesen<lb/>
ständig schießbereiten neutralen Handelsdampfern gegenüber ^verhalten sollen;<lb/>
eine sehrZkniffliche Frage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445" next="#ID_1446"> Hinsichtlich dieses Punktes wird die britische Admiralität vermutlich der<lb/>
Ansicht sein, daß Großbritannien, als neutrale Macht im Kriege, für die Be¬<lb/>
handlung feiner &#x201E;armierten Handelsschiffe" alles durchdrücken kann, was es will,<lb/>
weil die Kriegführenden sonst fürchten müßten, aus dem Neutralen sich einen<lb/>
Feind zu machen. Das wäre also die Machtfrage, welche gerade für England<lb/>
die Rolle des Neutralen in einem Seekriege immer so ungemein gewinnbringend<lb/>
gestaltet. ()ni vivra verrg! Ganz außerhalb des Machtbereiches der englischen<lb/>
Flotte steht aber die weitere Frage: wie sich die Versicherungsgesellschaften zu<lb/>
dem &#x201E;armierten Handelsschiffe" stellen werden. Ein mit Kanonen, also mit<lb/>
Offensivwaffen, ausgerüstetes Schiff wird wieder beschossen, die Unsicherheit<lb/>
seiner Existenz nimmt zu, ein Kriegsschiff as facto wird bei den Gesellschaften<lb/>
doch wohl einiges Bedenken erregen, auch wenn es as jure Handelsschiff bleiben<lb/>
möchte. Umgekehrt wird für die gesamte Handelsschiffahrt die Unsicherheit durch<lb/>
das &#x201E;armierte Handelsschiff" so groß werden, daß man gerade auf die Haltung<lb/>
der Seeversicherungsgesellschaften gespannt sein darf. Eine weitere Frage: ein<lb/>
&#x201E;armiertes Handelsschiff" führt neutrales Gut. Das Schiff wird von einem<lb/>
feindlichen Kriegsschiffe beschlagnahmt. Was wird aus dem neutralen Gut?<lb/>
Oder: ein &#x201E;armiertes Handelsschiff" mit neutraler Fracht wird in den Grund<lb/>
geschossen; was für Ansprüche hat der Frachteigentümer? Oder: ein neutrales,<lb/>
&#x201E;armiertes Handelsschiff" führt feindliches Gut usw. Kurz, es ergibt sich ein<lb/>
Komplex von Fragen und Schwierigkeiten, die &#x2014; und das ist das Wesentliche &#x2014;^<lb/>
ausnahmslos darauf hinzielen, im Seekriege die bis jetzt bestehenden, spärlichen&gt;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Kommt die Kaperei wieder? Auf der Londoner Konferenz sagte die englische Delegation hinsichtlich der Umwandlungsfrage: sie müßte vom Rechtsstandpunkte der Neutralen gelöst werden; sie sprach auch von der „Courtoisie" den Neutralen gegenüber. Es wurde von den Delegierten der großen Festlandmächte unwiderleglich nach¬ gewiesen, daß die Schiffahrt der Neutralen, soweit sie legitim sei — nicht gegen die Konterbandebestimmungen verstoße, auch keine asLi8t-inne Kogtile leiste —, durch das Umwandlungsrecht von Handelsschiffen zu Hilfskreuzern nicht im mindesten beeinträchtigt werden könne. Heute will die britische Regierung das „armierte Handelsschiff", welches die Unterschiede zwischen Kriegs- und Handels¬ schiff verwischt und damit gerade der neutralen Schiffahrt einen denkbar schlimmen Dienst leistet. Sie wird im Kriege auch bei legitimstem Betriebe ihres Erwerbes vom britischen „armierten Handelsschiffe" beunruhigt, bedroht und diskreditiert sein. Es liegt auf der Hand, daß das „armierte Handels¬ schiff" im Kriege jede Gelegenheit benutzen wird, um sich als anonymer Hilfs¬ kreuzer zu betätigen, auch neutrale Schiffe zum Hafen zu bringen, sie zu unter¬ suchen usw. Ihre Anonymität macht die Gelegenheiten hierzu besonders zahlreich und günstig. Ist nun aber Großbritannien nicht kriegführende Partei, sondern neutral im Kriege, so erhebt sich die Frage, wie die Kriegführenden sich diesen ständig schießbereiten neutralen Handelsdampfern gegenüber ^verhalten sollen; eine sehrZkniffliche Frage. Hinsichtlich dieses Punktes wird die britische Admiralität vermutlich der Ansicht sein, daß Großbritannien, als neutrale Macht im Kriege, für die Be¬ handlung feiner „armierten Handelsschiffe" alles durchdrücken kann, was es will, weil die Kriegführenden sonst fürchten müßten, aus dem Neutralen sich einen Feind zu machen. Das wäre also die Machtfrage, welche gerade für England die Rolle des Neutralen in einem Seekriege immer so ungemein gewinnbringend gestaltet. ()ni vivra verrg! Ganz außerhalb des Machtbereiches der englischen Flotte steht aber die weitere Frage: wie sich die Versicherungsgesellschaften zu dem „armierten Handelsschiffe" stellen werden. Ein mit Kanonen, also mit Offensivwaffen, ausgerüstetes Schiff wird wieder beschossen, die Unsicherheit seiner Existenz nimmt zu, ein Kriegsschiff as facto wird bei den Gesellschaften doch wohl einiges Bedenken erregen, auch wenn es as jure Handelsschiff bleiben möchte. Umgekehrt wird für die gesamte Handelsschiffahrt die Unsicherheit durch das „armierte Handelsschiff" so groß werden, daß man gerade auf die Haltung der Seeversicherungsgesellschaften gespannt sein darf. Eine weitere Frage: ein „armiertes Handelsschiff" führt neutrales Gut. Das Schiff wird von einem feindlichen Kriegsschiffe beschlagnahmt. Was wird aus dem neutralen Gut? Oder: ein „armiertes Handelsschiff" mit neutraler Fracht wird in den Grund geschossen; was für Ansprüche hat der Frachteigentümer? Oder: ein neutrales, „armiertes Handelsschiff" führt feindliches Gut usw. Kurz, es ergibt sich ein Komplex von Fragen und Schwierigkeiten, die — und das ist das Wesentliche —^ ausnahmslos darauf hinzielen, im Seekriege die bis jetzt bestehenden, spärlichen>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/308>, abgerufen am 20.10.2024.