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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Mit der umgürte sich niemand als Waffe, wer kritisch gegen eine Kunst
zu Felde zieht. Denn sie ist Leben und will vom Leben gerichtet sein.

Wer sie mit der Theorie zerfetzen will, findet meist nur ihre Maske, die
die schelmische ihm hinterlassen hat.

Sie selbst ist ihm lächelnd längst entwichen.




^turn
Roman
Max Tndwig-Dohm von (Zweite Fortsetzung)

Am gleichen Tage, der den deutschen Maler und Naturapostel Madelung
in das Herrenhaus von Borküll führte, empfing Paul von der Borke am
Bahnhof von Villefranche an der Riviera seinen Studienfreund Wassilsew.

"Als er sich anschickte, mit ihm hinunter in die Stadt in seine Wohnung
zu gehen, wehrte der Russe ab:

"Bleiben wir im Freien I Ich will Sie allein haben. In Ihrem Laboratorium
treffen wir Menschen."

"Ja, wenn Sie mir wirklich nur zwei Stunden schenken wollen?"

Kurz entschlossen wandte er sich nach rechts zu dem Bahnübergang und
führte seinen Gast in den Schatten der Olivengärten, die sich den Berg hin¬
anzogen.

Aber auch das schien dem Russen nicht zu gefallen: "Offen gestanden --
ich hatte mir das eigentlich anders gedacht, Pawel Alexandrowitschl" sagte er.
"Sie vergessen, daß ich einen ganzen Tag gefahren bin -- dritter Klasse in
italienischen Eisenbahnwagen! Nun schleppen Sie mich für die paar Stunden
hier aus die Berge, daß einem der Atem vergeht, Sie unverbesserlicher Natur¬
sex! Dabei ist's halbe Nacht -- ich dread mir noch alle Knochen entzwei..."

Paul von der Borke wies den Pfad hinan: "Sehen Sie dort die weiße
Wand zwischen den Oliven? Das ist unser Ziel! Da Sie nun einmal keine
Lust hatten, in meinen Bau zu kommen, scheint mir dieser Bummel hier
herauf das beste zu sein. Sie können sich in der ländlichen Kneipe besser aus¬
ruhen als in irgendeinem Cafü. Kein Mensch wird uns stören, und, wenn
Sie noch der Alte sind, werden Sie mir doppelt dankbar sein. Nirgends an
der ganzen Riviera gibt es einen so reinen Wein wie bei Großmutter Farina.
Der und ihre Enkeltochter Angelique werden Sie für die kleine Strapaze be¬
lohnen!"


Sturm

Mit der umgürte sich niemand als Waffe, wer kritisch gegen eine Kunst
zu Felde zieht. Denn sie ist Leben und will vom Leben gerichtet sein.

Wer sie mit der Theorie zerfetzen will, findet meist nur ihre Maske, die
die schelmische ihm hinterlassen hat.

Sie selbst ist ihm lächelnd längst entwichen.




^turn
Roman
Max Tndwig-Dohm von (Zweite Fortsetzung)

Am gleichen Tage, der den deutschen Maler und Naturapostel Madelung
in das Herrenhaus von Borküll führte, empfing Paul von der Borke am
Bahnhof von Villefranche an der Riviera seinen Studienfreund Wassilsew.

„Als er sich anschickte, mit ihm hinunter in die Stadt in seine Wohnung
zu gehen, wehrte der Russe ab:

„Bleiben wir im Freien I Ich will Sie allein haben. In Ihrem Laboratorium
treffen wir Menschen."

„Ja, wenn Sie mir wirklich nur zwei Stunden schenken wollen?"

Kurz entschlossen wandte er sich nach rechts zu dem Bahnübergang und
führte seinen Gast in den Schatten der Olivengärten, die sich den Berg hin¬
anzogen.

Aber auch das schien dem Russen nicht zu gefallen: „Offen gestanden —
ich hatte mir das eigentlich anders gedacht, Pawel Alexandrowitschl" sagte er.
„Sie vergessen, daß ich einen ganzen Tag gefahren bin — dritter Klasse in
italienischen Eisenbahnwagen! Nun schleppen Sie mich für die paar Stunden
hier aus die Berge, daß einem der Atem vergeht, Sie unverbesserlicher Natur¬
sex! Dabei ist's halbe Nacht — ich dread mir noch alle Knochen entzwei..."

Paul von der Borke wies den Pfad hinan: „Sehen Sie dort die weiße
Wand zwischen den Oliven? Das ist unser Ziel! Da Sie nun einmal keine
Lust hatten, in meinen Bau zu kommen, scheint mir dieser Bummel hier
herauf das beste zu sein. Sie können sich in der ländlichen Kneipe besser aus¬
ruhen als in irgendeinem Cafü. Kein Mensch wird uns stören, und, wenn
Sie noch der Alte sind, werden Sie mir doppelt dankbar sein. Nirgends an
der ganzen Riviera gibt es einen so reinen Wein wie bei Großmutter Farina.
Der und ihre Enkeltochter Angelique werden Sie für die kleine Strapaze be¬
lohnen!"


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[0486] Sturm Mit der umgürte sich niemand als Waffe, wer kritisch gegen eine Kunst zu Felde zieht. Denn sie ist Leben und will vom Leben gerichtet sein. Wer sie mit der Theorie zerfetzen will, findet meist nur ihre Maske, die die schelmische ihm hinterlassen hat. Sie selbst ist ihm lächelnd längst entwichen. ^turn Roman Max Tndwig-Dohm von (Zweite Fortsetzung) Am gleichen Tage, der den deutschen Maler und Naturapostel Madelung in das Herrenhaus von Borküll führte, empfing Paul von der Borke am Bahnhof von Villefranche an der Riviera seinen Studienfreund Wassilsew. „Als er sich anschickte, mit ihm hinunter in die Stadt in seine Wohnung zu gehen, wehrte der Russe ab: „Bleiben wir im Freien I Ich will Sie allein haben. In Ihrem Laboratorium treffen wir Menschen." „Ja, wenn Sie mir wirklich nur zwei Stunden schenken wollen?" Kurz entschlossen wandte er sich nach rechts zu dem Bahnübergang und führte seinen Gast in den Schatten der Olivengärten, die sich den Berg hin¬ anzogen. Aber auch das schien dem Russen nicht zu gefallen: „Offen gestanden — ich hatte mir das eigentlich anders gedacht, Pawel Alexandrowitschl" sagte er. „Sie vergessen, daß ich einen ganzen Tag gefahren bin — dritter Klasse in italienischen Eisenbahnwagen! Nun schleppen Sie mich für die paar Stunden hier aus die Berge, daß einem der Atem vergeht, Sie unverbesserlicher Natur¬ sex! Dabei ist's halbe Nacht — ich dread mir noch alle Knochen entzwei..." Paul von der Borke wies den Pfad hinan: „Sehen Sie dort die weiße Wand zwischen den Oliven? Das ist unser Ziel! Da Sie nun einmal keine Lust hatten, in meinen Bau zu kommen, scheint mir dieser Bummel hier herauf das beste zu sein. Sie können sich in der ländlichen Kneipe besser aus¬ ruhen als in irgendeinem Cafü. Kein Mensch wird uns stören, und, wenn Sie noch der Alte sind, werden Sie mir doppelt dankbar sein. Nirgends an der ganzen Riviera gibt es einen so reinen Wein wie bei Großmutter Farina. Der und ihre Enkeltochter Angelique werden Sie für die kleine Strapaze be¬ lohnen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/486>, abgerufen am 21.12.2024.