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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagner contra Linn Ludwig

gut genug. Nach dem Vorbilde der Markenpolitik unserer mittelalterlichen
Kaiser schicke man aber immer die Tüchtigsten hinaus und vermeide den Fehler,
den man früher in Polen und Elsaß-Lothringen gemacht hat. Darum wäre es
ein schöner Gedanke, die Jubiläumsstiftung der Philologen für die deutschen
Auslandsschulen, für das größere Deutschland zu verwenden, deutsche Sprachkurse
für Ausländer unseren Auslandsschulen anzugliedern. Vor allem verdient eine solche
hochherzige Stiftung wie das Bollinger-Studienhaus für Ausländer in Berlin
die größte Beachtung und Unterstützung; sie war eine nationale Tat; mögen
bald ähnliche Anstalten an anderen Orten Deutschlands entstehen. Der deutsche
Geist muß an sich arbeiten, sich rüsten und muß kämpfen, um seinen Siegeszug
durch die Welt anzutreten in dem Glauben, der den französisch gebildeten
Friedrich den Großen, trotz aller Zweifel, in seiner berüchtigten Abhandlung
über die deutsche Literatur beseelte: "Vielleicht werden die zuletzt kommen, alle
ihre Vorgänger übertreffen."




Richard Wagner contra Genil Ludwig*)
Fritz Reck-lllalleczcwen von in

Da kommt ja Wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört, es sind im Rohr
Die uniform Dommeln.

UMon Wagners unentwegter, urteilslosen Bewunderern muß ich
auch heute sprechen. Daß sie sein Werk mit einer Begeisterung
derselben Art bedenken, wie sein Leben, ist selbstverständlich.
Gerade ihnen ist es ja ein heiliger Grundsatz, im Schöpfer das
Geschöpf zu ehren (nicht umgekehrt, wie man es sonst tut), den
Schlüssel zum Werk erst im Leben des Mannes zu suchen. So muß ich
heute, da ich mich mit dem Werk allein beschäftigen will, eben diesen Wagne¬
rianern alten Geblüts antworten, die in diesem Jahre der Feier ihres einzigen
Meisters mehr denn je in Zungen reden werden. Gerade in diesen Tagen
hat in einem Vortrag einer der ihren, der Wiener Literaturhistoriker Koch
verkündet: "Es ist ebenso ein Unding, wagnermüde zu sein, wie etwa eine
Rembrandtmüdigkeit ein Unding wäre." Wer hat wohl dreißig Jahre nach
dessen Tode von Beethoven so gesprochen? Und wann durfte man un¬
angefochten es wagen, einen noch umstrittenen Künstler, den wir alle fast noch



") Vergl. Heft 21 vom 21. Mai 1913,
Richard Wagner contra Linn Ludwig

gut genug. Nach dem Vorbilde der Markenpolitik unserer mittelalterlichen
Kaiser schicke man aber immer die Tüchtigsten hinaus und vermeide den Fehler,
den man früher in Polen und Elsaß-Lothringen gemacht hat. Darum wäre es
ein schöner Gedanke, die Jubiläumsstiftung der Philologen für die deutschen
Auslandsschulen, für das größere Deutschland zu verwenden, deutsche Sprachkurse
für Ausländer unseren Auslandsschulen anzugliedern. Vor allem verdient eine solche
hochherzige Stiftung wie das Bollinger-Studienhaus für Ausländer in Berlin
die größte Beachtung und Unterstützung; sie war eine nationale Tat; mögen
bald ähnliche Anstalten an anderen Orten Deutschlands entstehen. Der deutsche
Geist muß an sich arbeiten, sich rüsten und muß kämpfen, um seinen Siegeszug
durch die Welt anzutreten in dem Glauben, der den französisch gebildeten
Friedrich den Großen, trotz aller Zweifel, in seiner berüchtigten Abhandlung
über die deutsche Literatur beseelte: „Vielleicht werden die zuletzt kommen, alle
ihre Vorgänger übertreffen."




Richard Wagner contra Genil Ludwig*)
Fritz Reck-lllalleczcwen von in

Da kommt ja Wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört, es sind im Rohr
Die uniform Dommeln.

UMon Wagners unentwegter, urteilslosen Bewunderern muß ich
auch heute sprechen. Daß sie sein Werk mit einer Begeisterung
derselben Art bedenken, wie sein Leben, ist selbstverständlich.
Gerade ihnen ist es ja ein heiliger Grundsatz, im Schöpfer das
Geschöpf zu ehren (nicht umgekehrt, wie man es sonst tut), den
Schlüssel zum Werk erst im Leben des Mannes zu suchen. So muß ich
heute, da ich mich mit dem Werk allein beschäftigen will, eben diesen Wagne¬
rianern alten Geblüts antworten, die in diesem Jahre der Feier ihres einzigen
Meisters mehr denn je in Zungen reden werden. Gerade in diesen Tagen
hat in einem Vortrag einer der ihren, der Wiener Literaturhistoriker Koch
verkündet: „Es ist ebenso ein Unding, wagnermüde zu sein, wie etwa eine
Rembrandtmüdigkeit ein Unding wäre." Wer hat wohl dreißig Jahre nach
dessen Tode von Beethoven so gesprochen? Und wann durfte man un¬
angefochten es wagen, einen noch umstrittenen Künstler, den wir alle fast noch



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[0478] Richard Wagner contra Linn Ludwig gut genug. Nach dem Vorbilde der Markenpolitik unserer mittelalterlichen Kaiser schicke man aber immer die Tüchtigsten hinaus und vermeide den Fehler, den man früher in Polen und Elsaß-Lothringen gemacht hat. Darum wäre es ein schöner Gedanke, die Jubiläumsstiftung der Philologen für die deutschen Auslandsschulen, für das größere Deutschland zu verwenden, deutsche Sprachkurse für Ausländer unseren Auslandsschulen anzugliedern. Vor allem verdient eine solche hochherzige Stiftung wie das Bollinger-Studienhaus für Ausländer in Berlin die größte Beachtung und Unterstützung; sie war eine nationale Tat; mögen bald ähnliche Anstalten an anderen Orten Deutschlands entstehen. Der deutsche Geist muß an sich arbeiten, sich rüsten und muß kämpfen, um seinen Siegeszug durch die Welt anzutreten in dem Glauben, der den französisch gebildeten Friedrich den Großen, trotz aller Zweifel, in seiner berüchtigten Abhandlung über die deutsche Literatur beseelte: „Vielleicht werden die zuletzt kommen, alle ihre Vorgänger übertreffen." Richard Wagner contra Genil Ludwig*) Fritz Reck-lllalleczcwen von in Da kommt ja Wohl ein neues Chor? Ich höre ferne Trommeln. Nur ungestört, es sind im Rohr Die uniform Dommeln. UMon Wagners unentwegter, urteilslosen Bewunderern muß ich auch heute sprechen. Daß sie sein Werk mit einer Begeisterung derselben Art bedenken, wie sein Leben, ist selbstverständlich. Gerade ihnen ist es ja ein heiliger Grundsatz, im Schöpfer das Geschöpf zu ehren (nicht umgekehrt, wie man es sonst tut), den Schlüssel zum Werk erst im Leben des Mannes zu suchen. So muß ich heute, da ich mich mit dem Werk allein beschäftigen will, eben diesen Wagne¬ rianern alten Geblüts antworten, die in diesem Jahre der Feier ihres einzigen Meisters mehr denn je in Zungen reden werden. Gerade in diesen Tagen hat in einem Vortrag einer der ihren, der Wiener Literaturhistoriker Koch verkündet: „Es ist ebenso ein Unding, wagnermüde zu sein, wie etwa eine Rembrandtmüdigkeit ein Unding wäre." Wer hat wohl dreißig Jahre nach dessen Tode von Beethoven so gesprochen? Und wann durfte man un¬ angefochten es wagen, einen noch umstrittenen Künstler, den wir alle fast noch ") Vergl. Heft 21 vom 21. Mai 1913,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/478>, abgerufen am 21.12.2024.