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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die irische Renaissance und George Moore

die Wittelsbacher und ihr Volk ernstlich daran, das neue Bayerische "Reich"
ebenbürtig den "übrigen" Großmächten zur Seite zu stellen. 1808 wurde das
"Allgemeine Reichsarchiv" in München mit der Bestimmung gegründet, alle
Besitztitel der alten und neuen Provinzen zu vereinigen. Sein erster Direktor
wurde der Ritter von Lang, dessen lebendig geschriebene Memoiren die ganze
Schwäche und Trostlosigkeit des Bureaukratismus und Partikularismus der
bayerischen Verwaltung bis ins Kleinste wiedergeben. Das einzige "Reichs-
archiv", das Deutschland zurzeit besitzt, spiegelt in seinem Namen die tiefste
Schmach des deutschen Namens, die Blütezeit des mittelstaatlichen Partiku¬
larismus.

Aus diesen traurigen Erinnerungen, die sich für uns bisher an den Begriff
des "Reichsarchivs" knüpften, weist der Entschluß, die im laufenden Geschäfts¬
gang entbehrlich gewordenen Akten der Behörden des neuen Reiches in tech¬
nischer Vollkommenheit zu sammeln und zu bearbeiten, hinaus in eine frohe
Zukunft. Er kündet die feste Zuversicht, daß das 1870 geschaffene, mit Blut
und Eisen gekittete Werk von dauerndem Bestände ist und sein soll, daß wir
künftigen Geschlechtern die Bearbeitung unserer Geschichte stolz und selbstbewußt
überlassen dürfen.




Die irische Renaissance und George Moore
Beda prilipp vonin

eit Beginn des neuen Jahrhunderts kommt von Zeit zu Zeit
spärliche Kunde von der westlichsten der britischen Inseln, berichtend
von einer literarisch-nationalen Bewegung, die sich mit dem stolzen
Namen der irischen Renaissance nennt. Die galische Liga ist der
treibende Faktor dieser Bewegung. Und wiewohl es sich ein paar
praktisch veranlagte Männer angelegen sein lassen, vor allem an der Verbesserung
der wirtschaftlichen Lage zu arbeiten, nämlich das Landvolk über die Nutzlosig¬
keit primitiver Betriebe in Ackerbau und Viehzucht aufzuklären, ruht doch die
Führung in den Händen einiger Literaten, die sich alles Heil von der geistigen
Erziehung des irischen Volkes versprechen. In bezug auf die Wege, mittels
derer dies zu erreichen wäre, bestehen eigentümliche Meinungsverschiedenheiten.
Dublin ein neues Florenz, das alle Künste als Krone trägt -- dies ungefähr
ist das Ziel. Den einen scheint es erreichbar nur dann, wenn die Volkssprache
in ihr altes Recht tritt, wogegen sich der Einwand erhebt, daß das galische
Idiom bereits auf einer sehr primitiven Entwicklungsstufe von der englischen
Sprache verdrängt wurde und daß ihm somit lange Jahrhunderte hindurch die


Die irische Renaissance und George Moore

die Wittelsbacher und ihr Volk ernstlich daran, das neue Bayerische „Reich"
ebenbürtig den „übrigen" Großmächten zur Seite zu stellen. 1808 wurde das
„Allgemeine Reichsarchiv" in München mit der Bestimmung gegründet, alle
Besitztitel der alten und neuen Provinzen zu vereinigen. Sein erster Direktor
wurde der Ritter von Lang, dessen lebendig geschriebene Memoiren die ganze
Schwäche und Trostlosigkeit des Bureaukratismus und Partikularismus der
bayerischen Verwaltung bis ins Kleinste wiedergeben. Das einzige „Reichs-
archiv", das Deutschland zurzeit besitzt, spiegelt in seinem Namen die tiefste
Schmach des deutschen Namens, die Blütezeit des mittelstaatlichen Partiku¬
larismus.

Aus diesen traurigen Erinnerungen, die sich für uns bisher an den Begriff
des „Reichsarchivs" knüpften, weist der Entschluß, die im laufenden Geschäfts¬
gang entbehrlich gewordenen Akten der Behörden des neuen Reiches in tech¬
nischer Vollkommenheit zu sammeln und zu bearbeiten, hinaus in eine frohe
Zukunft. Er kündet die feste Zuversicht, daß das 1870 geschaffene, mit Blut
und Eisen gekittete Werk von dauerndem Bestände ist und sein soll, daß wir
künftigen Geschlechtern die Bearbeitung unserer Geschichte stolz und selbstbewußt
überlassen dürfen.




Die irische Renaissance und George Moore
Beda prilipp vonin

eit Beginn des neuen Jahrhunderts kommt von Zeit zu Zeit
spärliche Kunde von der westlichsten der britischen Inseln, berichtend
von einer literarisch-nationalen Bewegung, die sich mit dem stolzen
Namen der irischen Renaissance nennt. Die galische Liga ist der
treibende Faktor dieser Bewegung. Und wiewohl es sich ein paar
praktisch veranlagte Männer angelegen sein lassen, vor allem an der Verbesserung
der wirtschaftlichen Lage zu arbeiten, nämlich das Landvolk über die Nutzlosig¬
keit primitiver Betriebe in Ackerbau und Viehzucht aufzuklären, ruht doch die
Führung in den Händen einiger Literaten, die sich alles Heil von der geistigen
Erziehung des irischen Volkes versprechen. In bezug auf die Wege, mittels
derer dies zu erreichen wäre, bestehen eigentümliche Meinungsverschiedenheiten.
Dublin ein neues Florenz, das alle Künste als Krone trägt — dies ungefähr
ist das Ziel. Den einen scheint es erreichbar nur dann, wenn die Volkssprache
in ihr altes Recht tritt, wogegen sich der Einwand erhebt, daß das galische
Idiom bereits auf einer sehr primitiven Entwicklungsstufe von der englischen
Sprache verdrängt wurde und daß ihm somit lange Jahrhunderte hindurch die


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[0046] Die irische Renaissance und George Moore die Wittelsbacher und ihr Volk ernstlich daran, das neue Bayerische „Reich" ebenbürtig den „übrigen" Großmächten zur Seite zu stellen. 1808 wurde das „Allgemeine Reichsarchiv" in München mit der Bestimmung gegründet, alle Besitztitel der alten und neuen Provinzen zu vereinigen. Sein erster Direktor wurde der Ritter von Lang, dessen lebendig geschriebene Memoiren die ganze Schwäche und Trostlosigkeit des Bureaukratismus und Partikularismus der bayerischen Verwaltung bis ins Kleinste wiedergeben. Das einzige „Reichs- archiv", das Deutschland zurzeit besitzt, spiegelt in seinem Namen die tiefste Schmach des deutschen Namens, die Blütezeit des mittelstaatlichen Partiku¬ larismus. Aus diesen traurigen Erinnerungen, die sich für uns bisher an den Begriff des „Reichsarchivs" knüpften, weist der Entschluß, die im laufenden Geschäfts¬ gang entbehrlich gewordenen Akten der Behörden des neuen Reiches in tech¬ nischer Vollkommenheit zu sammeln und zu bearbeiten, hinaus in eine frohe Zukunft. Er kündet die feste Zuversicht, daß das 1870 geschaffene, mit Blut und Eisen gekittete Werk von dauerndem Bestände ist und sein soll, daß wir künftigen Geschlechtern die Bearbeitung unserer Geschichte stolz und selbstbewußt überlassen dürfen. Die irische Renaissance und George Moore Beda prilipp vonin eit Beginn des neuen Jahrhunderts kommt von Zeit zu Zeit spärliche Kunde von der westlichsten der britischen Inseln, berichtend von einer literarisch-nationalen Bewegung, die sich mit dem stolzen Namen der irischen Renaissance nennt. Die galische Liga ist der treibende Faktor dieser Bewegung. Und wiewohl es sich ein paar praktisch veranlagte Männer angelegen sein lassen, vor allem an der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu arbeiten, nämlich das Landvolk über die Nutzlosig¬ keit primitiver Betriebe in Ackerbau und Viehzucht aufzuklären, ruht doch die Führung in den Händen einiger Literaten, die sich alles Heil von der geistigen Erziehung des irischen Volkes versprechen. In bezug auf die Wege, mittels derer dies zu erreichen wäre, bestehen eigentümliche Meinungsverschiedenheiten. Dublin ein neues Florenz, das alle Künste als Krone trägt — dies ungefähr ist das Ziel. Den einen scheint es erreichbar nur dann, wenn die Volkssprache in ihr altes Recht tritt, wogegen sich der Einwand erhebt, daß das galische Idiom bereits auf einer sehr primitiven Entwicklungsstufe von der englischen Sprache verdrängt wurde und daß ihm somit lange Jahrhunderte hindurch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/46>, abgerufen am 30.12.2024.