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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Emil Ludwig contra Richard lvagner

der Anrede "Fräulein". In dem Wörtchen "von" sah er die Prätention eines
Standesunterschieds, den er nicht anerkannte.

Vom Schlosse her schallten die Töne eines Gong.

"Man ruft mich zum Frühstück. Ich freue mich, heute Nachmittag unsere
Unterhaltung fortsetzen zu können." Und lachend fügte das junge Mädchen
hinzu: "Ich sage Ihnen aber gleich, daß kaum einer von den Gästen Ihren
Ansichten beipflichten wird. Hier behält man immer denselben Standpunkt!"

"Ich fürchte mich nicht! Ich bin den Kampf gewohnt und liebe ihn.
Je tiefer der Irrtum, desto herrlicher die Misstoni" war Madelungs stolze
Entgegnung.

Mit leichter Verneigung hatte sich Mara verabschieden wollen, aber der
Maler streckte ihr feierlich die Hand entgegen. Nur zögernd und mit erstaunten
Blick reichte sie ihm ihre Fingerspitzen, die er fest umklammerte. Seine Hand
war kalt und feucht. Mara hatte eine unangenehme Empfindung. Noch lange
schien es ihr, als läge ein eiserner Ring um ihre Finger.

Und doch hatte dieser Sonntag jetzt auf einmal ein besonderes Gesicht
bekommen. Das Erlebnis, wonach sie sich gesehnt hatte -- hier war es!
Schon im voraus fühlte sie ein kribbelndes Vergnügen bei der Vorstellung, wie
die steife Nachmittagsgesellschaft auf den originellen Apostel reagieren würde.

(Fortsetzung folgt)




Genil Ludwig contra Richard Wagner
Dr. Lritz Reck-lllalleczewen vonin

an soll mir nicht den Vorwurf machen, ich überschätze die Be¬
deutung dieser Affäre, wenn ich mich ihr so ausführlich widme;
es wäre ungerecht und vor allem gefährlich, an ihr vorbeizugehen,
das Ludwigsche Antiwagnerbuch mit persönlicher Mißachtung zu
> erledigen, wie es leider vielfach geschehen ist. Ungerecht, weil es
ein ehrliches, geistvolles Buch ist, das den Pfad anständiger Erörterung nie
verläßt. Ungerecht auch, weil es seine Verdienste hat: die Kapitel über den
Tristan und über Mozart (dessen Sonne auch ich von neuem aufgehen sehe),
das allein sicherte ihm neben der Fülle geistvoller, wenn auch unzulänglicher
Kritik das Lebensrecht.

Gefährlich aber vor allem wäre hier achselzuckende Verächtlichkeit: wie nur
je ein Buch ist dieses hier Symptom. Das erste deutlich kennbare Symptom


Emil Ludwig contra Richard lvagner

der Anrede „Fräulein". In dem Wörtchen „von" sah er die Prätention eines
Standesunterschieds, den er nicht anerkannte.

Vom Schlosse her schallten die Töne eines Gong.

„Man ruft mich zum Frühstück. Ich freue mich, heute Nachmittag unsere
Unterhaltung fortsetzen zu können." Und lachend fügte das junge Mädchen
hinzu: „Ich sage Ihnen aber gleich, daß kaum einer von den Gästen Ihren
Ansichten beipflichten wird. Hier behält man immer denselben Standpunkt!"

„Ich fürchte mich nicht! Ich bin den Kampf gewohnt und liebe ihn.
Je tiefer der Irrtum, desto herrlicher die Misstoni" war Madelungs stolze
Entgegnung.

Mit leichter Verneigung hatte sich Mara verabschieden wollen, aber der
Maler streckte ihr feierlich die Hand entgegen. Nur zögernd und mit erstaunten
Blick reichte sie ihm ihre Fingerspitzen, die er fest umklammerte. Seine Hand
war kalt und feucht. Mara hatte eine unangenehme Empfindung. Noch lange
schien es ihr, als läge ein eiserner Ring um ihre Finger.

Und doch hatte dieser Sonntag jetzt auf einmal ein besonderes Gesicht
bekommen. Das Erlebnis, wonach sie sich gesehnt hatte — hier war es!
Schon im voraus fühlte sie ein kribbelndes Vergnügen bei der Vorstellung, wie
die steife Nachmittagsgesellschaft auf den originellen Apostel reagieren würde.

(Fortsetzung folgt)




Genil Ludwig contra Richard Wagner
Dr. Lritz Reck-lllalleczewen vonin

an soll mir nicht den Vorwurf machen, ich überschätze die Be¬
deutung dieser Affäre, wenn ich mich ihr so ausführlich widme;
es wäre ungerecht und vor allem gefährlich, an ihr vorbeizugehen,
das Ludwigsche Antiwagnerbuch mit persönlicher Mißachtung zu
> erledigen, wie es leider vielfach geschehen ist. Ungerecht, weil es
ein ehrliches, geistvolles Buch ist, das den Pfad anständiger Erörterung nie
verläßt. Ungerecht auch, weil es seine Verdienste hat: die Kapitel über den
Tristan und über Mozart (dessen Sonne auch ich von neuem aufgehen sehe),
das allein sicherte ihm neben der Fülle geistvoller, wenn auch unzulänglicher
Kritik das Lebensrecht.

Gefährlich aber vor allem wäre hier achselzuckende Verächtlichkeit: wie nur
je ein Buch ist dieses hier Symptom. Das erste deutlich kennbare Symptom


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[0386] Emil Ludwig contra Richard lvagner der Anrede „Fräulein". In dem Wörtchen „von" sah er die Prätention eines Standesunterschieds, den er nicht anerkannte. Vom Schlosse her schallten die Töne eines Gong. „Man ruft mich zum Frühstück. Ich freue mich, heute Nachmittag unsere Unterhaltung fortsetzen zu können." Und lachend fügte das junge Mädchen hinzu: „Ich sage Ihnen aber gleich, daß kaum einer von den Gästen Ihren Ansichten beipflichten wird. Hier behält man immer denselben Standpunkt!" „Ich fürchte mich nicht! Ich bin den Kampf gewohnt und liebe ihn. Je tiefer der Irrtum, desto herrlicher die Misstoni" war Madelungs stolze Entgegnung. Mit leichter Verneigung hatte sich Mara verabschieden wollen, aber der Maler streckte ihr feierlich die Hand entgegen. Nur zögernd und mit erstaunten Blick reichte sie ihm ihre Fingerspitzen, die er fest umklammerte. Seine Hand war kalt und feucht. Mara hatte eine unangenehme Empfindung. Noch lange schien es ihr, als läge ein eiserner Ring um ihre Finger. Und doch hatte dieser Sonntag jetzt auf einmal ein besonderes Gesicht bekommen. Das Erlebnis, wonach sie sich gesehnt hatte — hier war es! Schon im voraus fühlte sie ein kribbelndes Vergnügen bei der Vorstellung, wie die steife Nachmittagsgesellschaft auf den originellen Apostel reagieren würde. (Fortsetzung folgt) Genil Ludwig contra Richard Wagner Dr. Lritz Reck-lllalleczewen vonin an soll mir nicht den Vorwurf machen, ich überschätze die Be¬ deutung dieser Affäre, wenn ich mich ihr so ausführlich widme; es wäre ungerecht und vor allem gefährlich, an ihr vorbeizugehen, das Ludwigsche Antiwagnerbuch mit persönlicher Mißachtung zu > erledigen, wie es leider vielfach geschehen ist. Ungerecht, weil es ein ehrliches, geistvolles Buch ist, das den Pfad anständiger Erörterung nie verläßt. Ungerecht auch, weil es seine Verdienste hat: die Kapitel über den Tristan und über Mozart (dessen Sonne auch ich von neuem aufgehen sehe), das allein sicherte ihm neben der Fülle geistvoller, wenn auch unzulänglicher Kritik das Lebensrecht. Gefährlich aber vor allem wäre hier achselzuckende Verächtlichkeit: wie nur je ein Buch ist dieses hier Symptom. Das erste deutlich kennbare Symptom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/386>, abgerufen am 27.07.2024.