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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

gebenden Bedeutung als Bestandteil der Terminologie, und dann in seiner
formgebenden Bedeutung als Belebungsmittel des Ausdrucks. Daß es in der
wissenschaftlichen Sprache auch hie und da angewandt wird, wo es offenbar
keine dieser Aufgaben erfüllt, oder wenigstens ein Mutterwort dieselben Dienste
geleistet hätte, soll zugegeben werden. In diesem Falle sei man aber gerecht
genug, die "Fremdwörterei" als eine Berufskrankheit des Gelehrten gelten zu
lassen, ebenso wie der Mime wohl aus Gewöhnung die große tragische Geste
ins bürgerliche Leben verpflanzt. Das ist aber eine Schwäche, die wir ihm gerne
nachsehen, dafern er auf den Brettern, die feine Welt bedeuten, die Berechtigung
dazu mit Ehren erworben hat.




Die Engländer in Indien
Nadir von

bei dem glänzenden Krönungsdmbar in Delhi König Georg
"^M^W von England, der neugekrönte "Kaiser-i-Hind", die Verlegung der
Residenz des indischen Reiches von Kalkutta nach Delhi verkündete,
bereitete er selbst den meisten Engländern eine große Wer-
>" raschung. In Kalkutta war die Mißstimmung so groß, daß
ihretwegen der Besuch König Eduards in der alten Hauptstadt sast unterblieben
wäre. Schließlich bequemte man sich aber doch zu einer sauersüßen Festmiene.

In Deutschland werden wohl die Gründe für diese Neuerung nicht überall
verstanden worden sein. Man wird sich fragen: wozu eine solche Maßregel
treffen, die auf der einen Seite große pekuniäre Verluste verursacht, von denen
in der Hauptsache nicht Eingeborene, sondern Engländer betroffen werden, und
auf der anderen Seite neue riesige Aasgaben erfordert? Denn die alte Burg
der Großmoguln, deren gewaltige Ringmauern und feenhafte Marmorsäle sich
im Zentrum Delhis erheben, ist nicht sür eine moderne vizekönigliche Residenz
geeignet. Alle die Bureaus, Säle und Paläste, deren das Zentrum der
Regierung des Riesenreiches bedarf, müssen neu erbaut werden; für das Heer
von Beamten mit seiner zahllosen Dienerschaft muß Unterkunft geschaffen, für
den mannigfachen Sport, ohne den der Engländer in Indien nicht leben kann,
müssen Spielplätze angelegt, aus der baumlosen sonnendurchglühten Ebene, die
Delhi umgibt, müssen Gärten und Parks hervorgezaubert werden. Eine ganz
neue Stadt muß dort entstehen. Viel Wasser wird noch die Dschumna herunter¬
laufen, bis sie fertig dasteht. Wenn aber das große Werk vollendet sein wird,


Die Engländer in Indien

gebenden Bedeutung als Bestandteil der Terminologie, und dann in seiner
formgebenden Bedeutung als Belebungsmittel des Ausdrucks. Daß es in der
wissenschaftlichen Sprache auch hie und da angewandt wird, wo es offenbar
keine dieser Aufgaben erfüllt, oder wenigstens ein Mutterwort dieselben Dienste
geleistet hätte, soll zugegeben werden. In diesem Falle sei man aber gerecht
genug, die „Fremdwörterei" als eine Berufskrankheit des Gelehrten gelten zu
lassen, ebenso wie der Mime wohl aus Gewöhnung die große tragische Geste
ins bürgerliche Leben verpflanzt. Das ist aber eine Schwäche, die wir ihm gerne
nachsehen, dafern er auf den Brettern, die feine Welt bedeuten, die Berechtigung
dazu mit Ehren erworben hat.




Die Engländer in Indien
Nadir von

bei dem glänzenden Krönungsdmbar in Delhi König Georg
»^M^W von England, der neugekrönte „Kaiser-i-Hind", die Verlegung der
Residenz des indischen Reiches von Kalkutta nach Delhi verkündete,
bereitete er selbst den meisten Engländern eine große Wer-
>« raschung. In Kalkutta war die Mißstimmung so groß, daß
ihretwegen der Besuch König Eduards in der alten Hauptstadt sast unterblieben
wäre. Schließlich bequemte man sich aber doch zu einer sauersüßen Festmiene.

In Deutschland werden wohl die Gründe für diese Neuerung nicht überall
verstanden worden sein. Man wird sich fragen: wozu eine solche Maßregel
treffen, die auf der einen Seite große pekuniäre Verluste verursacht, von denen
in der Hauptsache nicht Eingeborene, sondern Engländer betroffen werden, und
auf der anderen Seite neue riesige Aasgaben erfordert? Denn die alte Burg
der Großmoguln, deren gewaltige Ringmauern und feenhafte Marmorsäle sich
im Zentrum Delhis erheben, ist nicht sür eine moderne vizekönigliche Residenz
geeignet. Alle die Bureaus, Säle und Paläste, deren das Zentrum der
Regierung des Riesenreiches bedarf, müssen neu erbaut werden; für das Heer
von Beamten mit seiner zahllosen Dienerschaft muß Unterkunft geschaffen, für
den mannigfachen Sport, ohne den der Engländer in Indien nicht leben kann,
müssen Spielplätze angelegt, aus der baumlosen sonnendurchglühten Ebene, die
Delhi umgibt, müssen Gärten und Parks hervorgezaubert werden. Eine ganz
neue Stadt muß dort entstehen. Viel Wasser wird noch die Dschumna herunter¬
laufen, bis sie fertig dasteht. Wenn aber das große Werk vollendet sein wird,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/87>, abgerufen am 03.07.2024.