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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Das seltenste Fremdwort

deutung des Dahingeschiedenen für die deutsche Nation erhalten; nur einige
wenige, die seinem Wirken nahe gestanden, werden ermessen, was der Nation
durch seinen frühen Tod genommen wurde. . . .

Es war nicht Kiderlens Art, dem Schmerz über einen Verlust äußerlich
besonderen Ausdruck zu verleihen oder sich gar in Sentimentalitäten darüber
zu verlieren. Über begangene Fehler, die er erkannt, setzte er sich mit dem
Wort hinweg: "man soll keine Fehler gut machen wollen, es gelingt doch
nicht!" Und doch war sein ganzes Streben von Gerechtigkeit und Güte und
Edelsinn im großen und kleinen geleitet, und seine Arbeit war ein stetiger
Kampf uni die Beseitigung von Folgen der Fehler, die nicht er gemacht hatte.


George Lleinow


Das seltenste Fremdwort
Rie von Carlo witz-Lsartitzsch vonin

"Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern,
Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht!"

Schiller

llgemein ist heute im deutschen Schrifttum der Kampf gegen die
Fremdwörter wieder aktuell geworden. Diese Bewegung ist nicht
neu; sie hat, mehr oder weniger ausgesprochen, unsere literarische
Entwicklung begleitet, seitdem die deutsche Sprache vollberechtigt
in diese Entwicklung eingetreten ist. Das sind jetzt vierhundert
Jahre her. Gegenüber dem Zeitmaß, das für Veränderungen an dem beweg¬
lichen Material der Sprache gilt, ist das ein ansehnlicher Zeitraum. Daß er
nicht genügt hat, dem Kampf gegen die Fremdwörter einen entscheidenden Erfolg
zu sichern, beweist, darwinistisch gesehen, gegen die Lebenstüchtigkeit dieser
Bewegung. Das Untüchtige haftet aber offenbar nur an ihr, sofern sie historisch
in die Erscheinung getreten ist, als verfehlte Durchführung. Denn in ihr, der
Idee nach, liegt ein durchaus gesundes Prinzip, das, zweckmäßig angewandt,
sich auch darwinistisch durchsetzen müßte. "Den, Deutschen deutsch!" Das Ver¬
nünftige dieses Programms ist so bestechend, daß ein Beweis, wie für jedes
Axiom, unmöglich wird. Es ist also keine Frage seiner Berechtigung, sondern
nur seiner Einhaltung. Ein allgemein vernünftiger Satz verleitet nämlich um
so mehr zur Verletzung seiner inneren Grenzen, je "bestechender" er ist, d. h. je
mehr er sich der volkstümlichen Verbreitung durch ein praktisches Interesse und
eine hinreichend weite Fassung empfiehlt, die es auch der populären Denkweise


Das seltenste Fremdwort

deutung des Dahingeschiedenen für die deutsche Nation erhalten; nur einige
wenige, die seinem Wirken nahe gestanden, werden ermessen, was der Nation
durch seinen frühen Tod genommen wurde. . . .

Es war nicht Kiderlens Art, dem Schmerz über einen Verlust äußerlich
besonderen Ausdruck zu verleihen oder sich gar in Sentimentalitäten darüber
zu verlieren. Über begangene Fehler, die er erkannt, setzte er sich mit dem
Wort hinweg: „man soll keine Fehler gut machen wollen, es gelingt doch
nicht!" Und doch war sein ganzes Streben von Gerechtigkeit und Güte und
Edelsinn im großen und kleinen geleitet, und seine Arbeit war ein stetiger
Kampf uni die Beseitigung von Folgen der Fehler, die nicht er gemacht hatte.


George Lleinow


Das seltenste Fremdwort
Rie von Carlo witz-Lsartitzsch vonin

„Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern,
Nun, so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht!"

Schiller

llgemein ist heute im deutschen Schrifttum der Kampf gegen die
Fremdwörter wieder aktuell geworden. Diese Bewegung ist nicht
neu; sie hat, mehr oder weniger ausgesprochen, unsere literarische
Entwicklung begleitet, seitdem die deutsche Sprache vollberechtigt
in diese Entwicklung eingetreten ist. Das sind jetzt vierhundert
Jahre her. Gegenüber dem Zeitmaß, das für Veränderungen an dem beweg¬
lichen Material der Sprache gilt, ist das ein ansehnlicher Zeitraum. Daß er
nicht genügt hat, dem Kampf gegen die Fremdwörter einen entscheidenden Erfolg
zu sichern, beweist, darwinistisch gesehen, gegen die Lebenstüchtigkeit dieser
Bewegung. Das Untüchtige haftet aber offenbar nur an ihr, sofern sie historisch
in die Erscheinung getreten ist, als verfehlte Durchführung. Denn in ihr, der
Idee nach, liegt ein durchaus gesundes Prinzip, das, zweckmäßig angewandt,
sich auch darwinistisch durchsetzen müßte. „Den, Deutschen deutsch!" Das Ver¬
nünftige dieses Programms ist so bestechend, daß ein Beweis, wie für jedes
Axiom, unmöglich wird. Es ist also keine Frage seiner Berechtigung, sondern
nur seiner Einhaltung. Ein allgemein vernünftiger Satz verleitet nämlich um
so mehr zur Verletzung seiner inneren Grenzen, je „bestechender" er ist, d. h. je
mehr er sich der volkstümlichen Verbreitung durch ein praktisches Interesse und
eine hinreichend weite Fassung empfiehlt, die es auch der populären Denkweise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/67>, abgerufen am 03.07.2024.