Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Zur Gntvölkerungsfrage Norden stammende Präsident. Der tiefere Grund für die Beobachtung läßt sich Endlich scheint der Wunsch des Ehemannes, seine Frau möglichst lange IV. Was nun die zahllosen Mittel zur Bekämpfung der Entvölkerung anlangt, Theoretisch lassen sich die Mittel zur Hebung der Geburten, die neben Zur Gntvölkerungsfrage Norden stammende Präsident. Der tiefere Grund für die Beobachtung läßt sich Endlich scheint der Wunsch des Ehemannes, seine Frau möglichst lange IV. Was nun die zahllosen Mittel zur Bekämpfung der Entvölkerung anlangt, Theoretisch lassen sich die Mittel zur Hebung der Geburten, die neben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0637" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325507"/> <fw type="header" place="top"> Zur Gntvölkerungsfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_2957" prev="#ID_2956"> Norden stammende Präsident. Der tiefere Grund für die Beobachtung läßt sich<lb/> darin finden, daß die Verbreitung der Lehren des Neumalthusianismus unter<lb/> Leuten, die nicht lesen können, schwieriger ist und daß die Zivilisation mancherlei<lb/> Bedürfnisse und Zerstreuungen schafft, die von der Gründung einer Familie<lb/> abhalten. — In der Demokratie hat jeder Mensch nach dem Dumontschen<lb/> sogenannten Kapillaritätsgesetze Gelegenheit, durch freien Wettbewerb oder Wahl<lb/> aufzusteigen und sucht sich in diesem Streben wie derjenige, der einen Baum<lb/> erklettern will, von jedem hinderlichen Anhange, in diesem Fall von einer zahlreichen<lb/> Familie frei zu halten. Richtiger wird man wohl sagen, die Demokratie unterdrücke<lb/> die Überlieferungen der Adelsfamilien und der Religion, also Gründe, die Ge¬<lb/> burtenvermehrung bewirken, begünstige dagegen das Beamten- und Strebertum<lb/> sowie die Abwanderung in die Städte, also geburtenfeindliche Erscheinungen.<lb/> In diesem Sinne wirkt nach Gide in der Demokratie namentlich die Minderung<lb/> der wirtschaftlichen Sicherheit durch die Möglichkeit von Streiks, Einkommen¬<lb/> besteuerung, Beamtenentlassung infolge von Regierungswechsel und dergleichen,<lb/> welch letzterer Grund z. B. in China wegfällt, wo die Beamtenstellungen be¬<lb/> stimmten Familien vorbehalten sind, wodurch es sich erklärt, daß die chinesischen<lb/> Mandarinen im Gegensatze zu den französischen Beamten viele Kinder haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2958"> Endlich scheint der Wunsch des Ehemannes, seine Frau möglichst lange<lb/> jung und schön zu erhalten, auf Kinderbeschränkung hinzuwirken, während ander¬<lb/> seits bei der Frau die Eitelkeit und die Furcht vor den Gefahren der Mutter¬<lb/> schaft den Kinderstolz überwiegt; in manchen französischen Gegenden ist eine kinder¬<lb/> reiche Mutter auch wenig geachtet.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> IV.</head><lb/> <p xml:id="ID_2959"> Was nun die zahllosen Mittel zur Bekämpfung der Entvölkerung anlangt,<lb/> so versprechen Gesetzesmaßnahmen, wie sie schon von Montesquieu in seinem<lb/> „Lsprit as8 lois" und von Jean-Jacques Rousseau in seinem „Lontrat social"<lb/> empfohlen wurden, durchaus Erfolg. Das zeigt das Anwachsen der Geburten¬<lb/> ziffern nicht nur nach den altrömischen leZes Julias et pepia-poppasa, die<lb/> mit ihren Bevorzugungen der kinderreichen Familienväter und ihren Erb¬<lb/> beschränkungen für Kinder- und Ehelose unter Augustus nach den Ausführungen<lb/> des französischen Senatsmitgliedes de Las Cases eine jährliche Bevölkerungs¬<lb/> zunahme von 3 °/gg mit sich gebracht haben sollen, sondern auch nach dem gesetz¬<lb/> geberischen Eingreifen in Bayern (1861 und 1868). Belgien (1896) und Ru¬<lb/> mänien (1906).</p><lb/> <p xml:id="ID_2960" next="#ID_2961"> Theoretisch lassen sich die Mittel zur Hebung der Geburten, die neben<lb/> denen zur Minderung der Sterblichkeit und zum Ersatze der fremden Elemente<lb/> durch Landeskinder im Wege der Einwanderungsbekämpfung vor allem in<lb/> Betracht kommen, in negative, wie Kampf gegen Verbreitung des Neumalthusia¬<lb/> nismus, und positive scheiden. Die Natur dieser letzteren kann vorwiegend sein<lb/> wirtschaftlich (Unterstützung, Steuerbefreiung. Beamtenbeförderung, Mutterschutz,<lb/> Schaffung billiger Unterhaltsmittel und Wohnungen), juristisch (Eheerleichterung,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0637]
Zur Gntvölkerungsfrage
Norden stammende Präsident. Der tiefere Grund für die Beobachtung läßt sich
darin finden, daß die Verbreitung der Lehren des Neumalthusianismus unter
Leuten, die nicht lesen können, schwieriger ist und daß die Zivilisation mancherlei
Bedürfnisse und Zerstreuungen schafft, die von der Gründung einer Familie
abhalten. — In der Demokratie hat jeder Mensch nach dem Dumontschen
sogenannten Kapillaritätsgesetze Gelegenheit, durch freien Wettbewerb oder Wahl
aufzusteigen und sucht sich in diesem Streben wie derjenige, der einen Baum
erklettern will, von jedem hinderlichen Anhange, in diesem Fall von einer zahlreichen
Familie frei zu halten. Richtiger wird man wohl sagen, die Demokratie unterdrücke
die Überlieferungen der Adelsfamilien und der Religion, also Gründe, die Ge¬
burtenvermehrung bewirken, begünstige dagegen das Beamten- und Strebertum
sowie die Abwanderung in die Städte, also geburtenfeindliche Erscheinungen.
In diesem Sinne wirkt nach Gide in der Demokratie namentlich die Minderung
der wirtschaftlichen Sicherheit durch die Möglichkeit von Streiks, Einkommen¬
besteuerung, Beamtenentlassung infolge von Regierungswechsel und dergleichen,
welch letzterer Grund z. B. in China wegfällt, wo die Beamtenstellungen be¬
stimmten Familien vorbehalten sind, wodurch es sich erklärt, daß die chinesischen
Mandarinen im Gegensatze zu den französischen Beamten viele Kinder haben.
Endlich scheint der Wunsch des Ehemannes, seine Frau möglichst lange
jung und schön zu erhalten, auf Kinderbeschränkung hinzuwirken, während ander¬
seits bei der Frau die Eitelkeit und die Furcht vor den Gefahren der Mutter¬
schaft den Kinderstolz überwiegt; in manchen französischen Gegenden ist eine kinder¬
reiche Mutter auch wenig geachtet.
IV.
Was nun die zahllosen Mittel zur Bekämpfung der Entvölkerung anlangt,
so versprechen Gesetzesmaßnahmen, wie sie schon von Montesquieu in seinem
„Lsprit as8 lois" und von Jean-Jacques Rousseau in seinem „Lontrat social"
empfohlen wurden, durchaus Erfolg. Das zeigt das Anwachsen der Geburten¬
ziffern nicht nur nach den altrömischen leZes Julias et pepia-poppasa, die
mit ihren Bevorzugungen der kinderreichen Familienväter und ihren Erb¬
beschränkungen für Kinder- und Ehelose unter Augustus nach den Ausführungen
des französischen Senatsmitgliedes de Las Cases eine jährliche Bevölkerungs¬
zunahme von 3 °/gg mit sich gebracht haben sollen, sondern auch nach dem gesetz¬
geberischen Eingreifen in Bayern (1861 und 1868). Belgien (1896) und Ru¬
mänien (1906).
Theoretisch lassen sich die Mittel zur Hebung der Geburten, die neben
denen zur Minderung der Sterblichkeit und zum Ersatze der fremden Elemente
durch Landeskinder im Wege der Einwanderungsbekämpfung vor allem in
Betracht kommen, in negative, wie Kampf gegen Verbreitung des Neumalthusia¬
nismus, und positive scheiden. Die Natur dieser letzteren kann vorwiegend sein
wirtschaftlich (Unterstützung, Steuerbefreiung. Beamtenbeförderung, Mutterschutz,
Schaffung billiger Unterhaltsmittel und Wohnungen), juristisch (Eheerleichterung,
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