Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Lntvölkerungsfraae

3. Der Geburtenüberschuß auf 1000 Einwohner beträgt in den drei
betrachteten Staaten:

Deutschland England Frankreich
1861 bis 1865 .... 10,9 12,5 3.8
1905 " 1910 .... 14,1 11,5 0,7

Was Deutschland betrifft, so ist zwar seit den letzten fünfzig Jahren eine
beträchtliche Erhöhung zu verzeichnen; betrachtet man aber die Jahre 1906 bis
1910 einzeln, so zeigt sich auch hier ein Fallen des Geburtenüberschusses sowohl
absolut (mit Ausnahme des Jahres 1909) wie relativ:

1906 , . 910 000 Geburten mehr als Sterbefälle, d. h, 14,9 der Bevölkerung,
1907 . , 880 000 " " " " " 14,2 " "

1908 . . 370 000 " " " " " 14,0 " "

1909 . . 834 000 " " , 13,8"
1910 . . 868 000"^ ^ 13,6

In Frankreich, wo der Geburtenüberschuß 1821 bis 1825 im Mittel noch
6,7 betrug, ist er im Jahre 1911 gar auf -- 0.7 gefallen, d. h. in
diesen: Jahre waren fast 35000 Todesfälle mehr zu verzeichnen als Geburten,
vielleicht infolge des übermäßig heißen Sommers. Der von Diezel in seinem
genannten Aufsatze für Frankreich angegebene Tiefstand von 1.8 war bereits
im Mittel der Jahre 1901 bis 1905 (wie schon 1881 bis 1890) erreicht. Das
Jahr 1912 scheint sich, soweit bisher nach der vorliegenden Statistik des ersten
Halbjahres zu übersehen ist, wieder auf 0,7 °/^ zu erheben, wenngleich die
Geburtenziffer dieses Semesters noch geringer ist als die des ersten Semesters
1911. Man kann daher die Bevölkerung Frankreichs als ungefähr stillstehend
bezeichnen.


II.

Die Folgen der Bevölkerungsabnahme zeigen sich auf den verschiedensten
Gebieten des internationalen und nationalen Lebens.

1. Der politische Einfluß im Konzert der Mächte wird nicht allein durch
eine ruhmreiche Vergangenheit bedingt, sondern setzt ein wirklich zahlreiches Volk
voraus. Die Bevölkerungsziffer steht durch die allgemeine Wehrpflicht in Ver¬
hältnis zu Heer und Marine, ihr Steigen bewirkt ein natürliches Anwachsen
der Streitkräfte, und es wäre keine Drohung, wie manche französische Zeitungen
und Flugschriften es aufzufassen belieben, selbst wenn das deutsche Heer das
französische entsprechend dem Bevölkerungsübergewicht um mehr als die Hälfte
überstiege; eher wäre die mit ungleich größerer Anstrengung erstrebte Gleich-
Wertigkeit der französischen Streitkräfte als eine Drohung Frankreichs aufzufassen.
Unmittelbar nach dem Kriege 1870/71 hatte Frankreich fast ebensoviel Rekruten
wie Deutschland (296000 gegenüber 330000). Schon 1907/08 betrug dagegen
seine Zahl nur wenig mehr als die Hälfte (286000 gegenüber 539000. d. h.
53 : 100). namentlich infolge Minderung der Kindersterblichkeit in Deutschland.
Natürlich ist die Größe des Heeres nicht immer ein Gradmesser seiner Erfolge,
wie die Beispiele des russisch - japanischen und des gegenwärtigen Balkankrieges


Zur Lntvölkerungsfraae

3. Der Geburtenüberschuß auf 1000 Einwohner beträgt in den drei
betrachteten Staaten:

Deutschland England Frankreich
1861 bis 1865 .... 10,9 12,5 3.8
1905 „ 1910 .... 14,1 11,5 0,7

Was Deutschland betrifft, so ist zwar seit den letzten fünfzig Jahren eine
beträchtliche Erhöhung zu verzeichnen; betrachtet man aber die Jahre 1906 bis
1910 einzeln, so zeigt sich auch hier ein Fallen des Geburtenüberschusses sowohl
absolut (mit Ausnahme des Jahres 1909) wie relativ:

1906 , . 910 000 Geburten mehr als Sterbefälle, d. h, 14,9 der Bevölkerung,
1907 . , 880 000 „ „ „ „ „ 14,2 „ „

1908 . . 370 000 „ „ „ „ „ 14,0 „ „

1909 . . 834 000 „ „ , 13,8"
1910 . . 868 000„^ ^ 13,6

In Frankreich, wo der Geburtenüberschuß 1821 bis 1825 im Mittel noch
6,7 betrug, ist er im Jahre 1911 gar auf — 0.7 gefallen, d. h. in
diesen: Jahre waren fast 35000 Todesfälle mehr zu verzeichnen als Geburten,
vielleicht infolge des übermäßig heißen Sommers. Der von Diezel in seinem
genannten Aufsatze für Frankreich angegebene Tiefstand von 1.8 war bereits
im Mittel der Jahre 1901 bis 1905 (wie schon 1881 bis 1890) erreicht. Das
Jahr 1912 scheint sich, soweit bisher nach der vorliegenden Statistik des ersten
Halbjahres zu übersehen ist, wieder auf 0,7 °/^ zu erheben, wenngleich die
Geburtenziffer dieses Semesters noch geringer ist als die des ersten Semesters
1911. Man kann daher die Bevölkerung Frankreichs als ungefähr stillstehend
bezeichnen.


II.

Die Folgen der Bevölkerungsabnahme zeigen sich auf den verschiedensten
Gebieten des internationalen und nationalen Lebens.

1. Der politische Einfluß im Konzert der Mächte wird nicht allein durch
eine ruhmreiche Vergangenheit bedingt, sondern setzt ein wirklich zahlreiches Volk
voraus. Die Bevölkerungsziffer steht durch die allgemeine Wehrpflicht in Ver¬
hältnis zu Heer und Marine, ihr Steigen bewirkt ein natürliches Anwachsen
der Streitkräfte, und es wäre keine Drohung, wie manche französische Zeitungen
und Flugschriften es aufzufassen belieben, selbst wenn das deutsche Heer das
französische entsprechend dem Bevölkerungsübergewicht um mehr als die Hälfte
überstiege; eher wäre die mit ungleich größerer Anstrengung erstrebte Gleich-
Wertigkeit der französischen Streitkräfte als eine Drohung Frankreichs aufzufassen.
Unmittelbar nach dem Kriege 1870/71 hatte Frankreich fast ebensoviel Rekruten
wie Deutschland (296000 gegenüber 330000). Schon 1907/08 betrug dagegen
seine Zahl nur wenig mehr als die Hälfte (286000 gegenüber 539000. d. h.
53 : 100). namentlich infolge Minderung der Kindersterblichkeit in Deutschland.
Natürlich ist die Größe des Heeres nicht immer ein Gradmesser seiner Erfolge,
wie die Beispiele des russisch - japanischen und des gegenwärtigen Balkankrieges


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325427"/>
            <fw type="header" place="top"> Zur Lntvölkerungsfraae</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2648"> 3. Der Geburtenüberschuß auf 1000 Einwohner beträgt in den drei<lb/>
betrachteten Staaten:</p><lb/>
            <list>
              <item> Deutschland  England Frankreich</item>
              <item> 1861 bis 1865  ....    10,9     12,5 3.8</item>
              <item> 1905 &#x201E;  1910  ....    14,1     11,5 0,7</item>
            </list><lb/>
            <p xml:id="ID_2649"> Was Deutschland betrifft, so ist zwar seit den letzten fünfzig Jahren eine<lb/>
beträchtliche Erhöhung zu verzeichnen; betrachtet man aber die Jahre 1906 bis<lb/>
1910 einzeln, so zeigt sich auch hier ein Fallen des Geburtenüberschusses sowohl<lb/>
absolut (mit Ausnahme des Jahres 1909) wie relativ:</p><lb/>
            <list>
              <item> 1906 ,  .  910 000 Geburten mehr als Sterbefälle, d. h, 14,9   der Bevölkerung,</item>
              <item> 1907 .  ,  880 000   &#x201E; &#x201E;  &#x201E;    &#x201E; &#x201E;  14,2 &#x201E; &#x201E;</item>
            </list><lb/>
            <p xml:id="ID_2650"> 1908 .  .  370 000   &#x201E; &#x201E;  &#x201E;    &#x201E;    &#x201E;   14,0 &#x201E; &#x201E;</p><lb/>
            <list>
              <item> 1909 .  .  834 000   &#x201E; &#x201E;   , 13,8"</item>
              <item> 1910 .  .  868 000&#x201E;^ ^ 13,6 </item>
            </list><lb/>
            <p xml:id="ID_2651"> In Frankreich, wo der Geburtenüberschuß 1821 bis 1825 im Mittel noch<lb/>
6,7 betrug, ist er im Jahre 1911 gar auf &#x2014; 0.7 gefallen, d. h. in<lb/>
diesen: Jahre waren fast 35000 Todesfälle mehr zu verzeichnen als Geburten,<lb/>
vielleicht infolge des übermäßig heißen Sommers. Der von Diezel in seinem<lb/>
genannten Aufsatze für Frankreich angegebene Tiefstand von 1.8 war bereits<lb/>
im Mittel der Jahre 1901 bis 1905 (wie schon 1881 bis 1890) erreicht. Das<lb/>
Jahr 1912 scheint sich, soweit bisher nach der vorliegenden Statistik des ersten<lb/>
Halbjahres zu übersehen ist, wieder auf 0,7 °/^ zu erheben, wenngleich die<lb/>
Geburtenziffer dieses Semesters noch geringer ist als die des ersten Semesters<lb/>
1911. Man kann daher die Bevölkerung Frankreichs als ungefähr stillstehend<lb/>
bezeichnen.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2652"> Die Folgen der Bevölkerungsabnahme zeigen sich auf den verschiedensten<lb/>
Gebieten des internationalen und nationalen Lebens.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2653" next="#ID_2654"> 1. Der politische Einfluß im Konzert der Mächte wird nicht allein durch<lb/>
eine ruhmreiche Vergangenheit bedingt, sondern setzt ein wirklich zahlreiches Volk<lb/>
voraus. Die Bevölkerungsziffer steht durch die allgemeine Wehrpflicht in Ver¬<lb/>
hältnis zu Heer und Marine, ihr Steigen bewirkt ein natürliches Anwachsen<lb/>
der Streitkräfte, und es wäre keine Drohung, wie manche französische Zeitungen<lb/>
und Flugschriften es aufzufassen belieben, selbst wenn das deutsche Heer das<lb/>
französische entsprechend dem Bevölkerungsübergewicht um mehr als die Hälfte<lb/>
überstiege; eher wäre die mit ungleich größerer Anstrengung erstrebte Gleich-<lb/>
Wertigkeit der französischen Streitkräfte als eine Drohung Frankreichs aufzufassen.<lb/>
Unmittelbar nach dem Kriege 1870/71 hatte Frankreich fast ebensoviel Rekruten<lb/>
wie Deutschland (296000 gegenüber 330000). Schon 1907/08 betrug dagegen<lb/>
seine Zahl nur wenig mehr als die Hälfte (286000 gegenüber 539000. d. h.<lb/>
53 : 100). namentlich infolge Minderung der Kindersterblichkeit in Deutschland.<lb/>
Natürlich ist die Größe des Heeres nicht immer ein Gradmesser seiner Erfolge,<lb/>
wie die Beispiele des russisch - japanischen und des gegenwärtigen Balkankrieges</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557] Zur Lntvölkerungsfraae 3. Der Geburtenüberschuß auf 1000 Einwohner beträgt in den drei betrachteten Staaten: Deutschland England Frankreich 1861 bis 1865 .... 10,9 12,5 3.8 1905 „ 1910 .... 14,1 11,5 0,7 Was Deutschland betrifft, so ist zwar seit den letzten fünfzig Jahren eine beträchtliche Erhöhung zu verzeichnen; betrachtet man aber die Jahre 1906 bis 1910 einzeln, so zeigt sich auch hier ein Fallen des Geburtenüberschusses sowohl absolut (mit Ausnahme des Jahres 1909) wie relativ: 1906 , . 910 000 Geburten mehr als Sterbefälle, d. h, 14,9 der Bevölkerung, 1907 . , 880 000 „ „ „ „ „ 14,2 „ „ 1908 . . 370 000 „ „ „ „ „ 14,0 „ „ 1909 . . 834 000 „ „ , 13,8" 1910 . . 868 000„^ ^ 13,6 In Frankreich, wo der Geburtenüberschuß 1821 bis 1825 im Mittel noch 6,7 betrug, ist er im Jahre 1911 gar auf — 0.7 gefallen, d. h. in diesen: Jahre waren fast 35000 Todesfälle mehr zu verzeichnen als Geburten, vielleicht infolge des übermäßig heißen Sommers. Der von Diezel in seinem genannten Aufsatze für Frankreich angegebene Tiefstand von 1.8 war bereits im Mittel der Jahre 1901 bis 1905 (wie schon 1881 bis 1890) erreicht. Das Jahr 1912 scheint sich, soweit bisher nach der vorliegenden Statistik des ersten Halbjahres zu übersehen ist, wieder auf 0,7 °/^ zu erheben, wenngleich die Geburtenziffer dieses Semesters noch geringer ist als die des ersten Semesters 1911. Man kann daher die Bevölkerung Frankreichs als ungefähr stillstehend bezeichnen. II. Die Folgen der Bevölkerungsabnahme zeigen sich auf den verschiedensten Gebieten des internationalen und nationalen Lebens. 1. Der politische Einfluß im Konzert der Mächte wird nicht allein durch eine ruhmreiche Vergangenheit bedingt, sondern setzt ein wirklich zahlreiches Volk voraus. Die Bevölkerungsziffer steht durch die allgemeine Wehrpflicht in Ver¬ hältnis zu Heer und Marine, ihr Steigen bewirkt ein natürliches Anwachsen der Streitkräfte, und es wäre keine Drohung, wie manche französische Zeitungen und Flugschriften es aufzufassen belieben, selbst wenn das deutsche Heer das französische entsprechend dem Bevölkerungsübergewicht um mehr als die Hälfte überstiege; eher wäre die mit ungleich größerer Anstrengung erstrebte Gleich- Wertigkeit der französischen Streitkräfte als eine Drohung Frankreichs aufzufassen. Unmittelbar nach dem Kriege 1870/71 hatte Frankreich fast ebensoviel Rekruten wie Deutschland (296000 gegenüber 330000). Schon 1907/08 betrug dagegen seine Zahl nur wenig mehr als die Hälfte (286000 gegenüber 539000. d. h. 53 : 100). namentlich infolge Minderung der Kindersterblichkeit in Deutschland. Natürlich ist die Größe des Heeres nicht immer ein Gradmesser seiner Erfolge, wie die Beispiele des russisch - japanischen und des gegenwärtigen Balkankrieges

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/557
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/557>, abgerufen am 27.06.2024.