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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf
Karl Arickeberg von
(Fünfte Fortsetzung)

Trebeldorf, den 28. Dezember 19 . .


Lieber Cunz,

Pipenklub! Weihnachtsball I -- Welche zauberischen Klänge! Welch Geschiebe,
welch Gedränge!

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß Trebeldorf aus Veranlassung
dieses Festes so auf den Kopf gestellt sein könnte. Natürlich waren Einladungen
ergangen auf die benachbarten Güter und durch die Stadt hindurch, aber doch,
wie sich versteht, mit weiser Vorsicht, auf daß kein Minderwertiger die geweihte
Halle verunziere. Sie waren alle, alle gekommen. Es ist eben höchste Ehre,
in diesen Kreis der Auserlesenen gerufen zu werden.

Brechend voll war es, und wenn schließlich, als schon der dämmernde
Tag sein Haupt erhob, die ausgelassenste Lustigkeit herrschte, so darf ich einen
Teil davon auf meine Rechnung setzen.

Ein Verärgerter oder Enttäuschter, ein Verzweifelter kann unter Umständen,
wenn es ihn plötzlich befällt, die unbändigste Fröhlichkeit entwickeln und rings
um sich herum alles damit anstecken. Wir nennen das Galgenhumor. Das
war mein Fall, denn, offen gestanden, ich hatte es doch nicht verwinden können,
daß ich in diesen Tagen Dich entbehren und statt dessen mich in den Trubel
stürzen sollte.

Mit trüben Gedanken betrat ich das Haus. Auf den engen Fluren standen
in Gruppen die Tänzer, deren nicht allzuviele waren, und machten ihre mehr
oder minder witzigen Bemerkungen über die Damen, die durch ihre Reihen
hindurchpassieren mußten. Mich belegte sofort der Tierarzt mit Beschlag. Er
tatzte auf meine Schulter, daß ich schier zusammenknickte und bezeichnete mich
in seiner breiten Art als "die glänzendste Nummer", die "Hauptattraktion" des
Abends. Schon das verdroß mich.

Als ich dann in den Saal trat, wurde meine Stimmung nicht gehobener
dadurch, daß ich alle Blicke sich auf mich vereinigen sah. -- An den Wänden,
die in einem häßlichen Berliner Blau gehalten find, glänzten in dichten Reihen
unter ihren Mamas in Weiß, Rot, Gelb, in Wolle, Musselin und Seide gehüllt




Briefe aus Trebeldorf
Karl Arickeberg von
(Fünfte Fortsetzung)

Trebeldorf, den 28. Dezember 19 . .


Lieber Cunz,

Pipenklub! Weihnachtsball I — Welche zauberischen Klänge! Welch Geschiebe,
welch Gedränge!

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß Trebeldorf aus Veranlassung
dieses Festes so auf den Kopf gestellt sein könnte. Natürlich waren Einladungen
ergangen auf die benachbarten Güter und durch die Stadt hindurch, aber doch,
wie sich versteht, mit weiser Vorsicht, auf daß kein Minderwertiger die geweihte
Halle verunziere. Sie waren alle, alle gekommen. Es ist eben höchste Ehre,
in diesen Kreis der Auserlesenen gerufen zu werden.

Brechend voll war es, und wenn schließlich, als schon der dämmernde
Tag sein Haupt erhob, die ausgelassenste Lustigkeit herrschte, so darf ich einen
Teil davon auf meine Rechnung setzen.

Ein Verärgerter oder Enttäuschter, ein Verzweifelter kann unter Umständen,
wenn es ihn plötzlich befällt, die unbändigste Fröhlichkeit entwickeln und rings
um sich herum alles damit anstecken. Wir nennen das Galgenhumor. Das
war mein Fall, denn, offen gestanden, ich hatte es doch nicht verwinden können,
daß ich in diesen Tagen Dich entbehren und statt dessen mich in den Trubel
stürzen sollte.

Mit trüben Gedanken betrat ich das Haus. Auf den engen Fluren standen
in Gruppen die Tänzer, deren nicht allzuviele waren, und machten ihre mehr
oder minder witzigen Bemerkungen über die Damen, die durch ihre Reihen
hindurchpassieren mußten. Mich belegte sofort der Tierarzt mit Beschlag. Er
tatzte auf meine Schulter, daß ich schier zusammenknickte und bezeichnete mich
in seiner breiten Art als „die glänzendste Nummer", die „Hauptattraktion" des
Abends. Schon das verdroß mich.

Als ich dann in den Saal trat, wurde meine Stimmung nicht gehobener
dadurch, daß ich alle Blicke sich auf mich vereinigen sah. — An den Wänden,
die in einem häßlichen Berliner Blau gehalten find, glänzten in dichten Reihen
unter ihren Mamas in Weiß, Rot, Gelb, in Wolle, Musselin und Seide gehüllt


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[0431] [Abbildung] Briefe aus Trebeldorf Karl Arickeberg von (Fünfte Fortsetzung) Trebeldorf, den 28. Dezember 19 . . Lieber Cunz, Pipenklub! Weihnachtsball I — Welche zauberischen Klänge! Welch Geschiebe, welch Gedränge! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß Trebeldorf aus Veranlassung dieses Festes so auf den Kopf gestellt sein könnte. Natürlich waren Einladungen ergangen auf die benachbarten Güter und durch die Stadt hindurch, aber doch, wie sich versteht, mit weiser Vorsicht, auf daß kein Minderwertiger die geweihte Halle verunziere. Sie waren alle, alle gekommen. Es ist eben höchste Ehre, in diesen Kreis der Auserlesenen gerufen zu werden. Brechend voll war es, und wenn schließlich, als schon der dämmernde Tag sein Haupt erhob, die ausgelassenste Lustigkeit herrschte, so darf ich einen Teil davon auf meine Rechnung setzen. Ein Verärgerter oder Enttäuschter, ein Verzweifelter kann unter Umständen, wenn es ihn plötzlich befällt, die unbändigste Fröhlichkeit entwickeln und rings um sich herum alles damit anstecken. Wir nennen das Galgenhumor. Das war mein Fall, denn, offen gestanden, ich hatte es doch nicht verwinden können, daß ich in diesen Tagen Dich entbehren und statt dessen mich in den Trubel stürzen sollte. Mit trüben Gedanken betrat ich das Haus. Auf den engen Fluren standen in Gruppen die Tänzer, deren nicht allzuviele waren, und machten ihre mehr oder minder witzigen Bemerkungen über die Damen, die durch ihre Reihen hindurchpassieren mußten. Mich belegte sofort der Tierarzt mit Beschlag. Er tatzte auf meine Schulter, daß ich schier zusammenknickte und bezeichnete mich in seiner breiten Art als „die glänzendste Nummer", die „Hauptattraktion" des Abends. Schon das verdroß mich. Als ich dann in den Saal trat, wurde meine Stimmung nicht gehobener dadurch, daß ich alle Blicke sich auf mich vereinigen sah. — An den Wänden, die in einem häßlichen Berliner Blau gehalten find, glänzten in dichten Reihen unter ihren Mamas in Weiß, Rot, Gelb, in Wolle, Musselin und Seide gehüllt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/431>, abgerufen am 22.07.2024.