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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Präsident der französischen Republik
v Wilhelm von Massow on

>ur eine kurze Zeit trennt uns noch von dem Tage, an dem das
l neugewählte Oberhaupt der französischen Republik, Herr Raymond
jPoincarö, seinen Sitz im Elysöe-Palast einnehmen und sein hohes
Amt antreten wird. Es gehört keine besondere Beobachtungsgabe
dazu, um zu erkennen, daß sich der Wahl des Herrn Poincarö
ein viel größeres Interesse zugewendet hat, als wir seit langer Zeit dem
Präsidentenwechsel in Frankreich zu widmen gewohnt waren. Dieses besondere
Interesse ist nicht etwa nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern zu
beobachten. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Gilt diese Aufmerksamkeit
der Person des neuen Staatsoberhauptes, oder gilt sie den Umständen, unter
denen sich die Wahl vollzogen hat, oder gilt sie der Person und den Um¬
ständen? Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die letzte dieser drei Mög¬
lichkeiten hier vorliegt.

Was die Persönlichkeit des Herrn Poincarö betrifft, so ist in der letzten
Zeit viel von ihm behauptet worden, und noch mehr wird von ihm erwartet.
Wird er diesen Erwartungen gerecht werden? Es wäre vermessen, darauf mit
Ja oder Nein zu antworten. Wir wissen von ihm nur, daß er ein Mann
von mehr als gewöhnlicher Klugheit und reicher Erfahrung ist, der in allen
Lebensstellungen, in denen er sich bisher bewegt hat, Leistungen über den
Durchschnitt hinaus aufzuweisen hat. In Frankreich geht der Weg zu politischen
Ehren in der Regel durch den Journalismus oder die Advokatur. Poincarö
hat beides durchgemacht. Er ist ein gewandter Journalist und ein gesuchter
Advokat gewesen. Dann hat er verschiedene Ministerportefeuilles innegehabt.
Daß er bis zu seiner Wahl zum Präsidenten der Republik als Ministerpräsident
und Minister des Auswärtigen an einer besonders weit sichtbaren, bedeutungs-
vollen und verantwortungsvollen Stelle gestanden hat, ist ja so bekannt, daß


Grenzboten I 1913 20


Der Präsident der französischen Republik
v Wilhelm von Massow on

>ur eine kurze Zeit trennt uns noch von dem Tage, an dem das
l neugewählte Oberhaupt der französischen Republik, Herr Raymond
jPoincarö, seinen Sitz im Elysöe-Palast einnehmen und sein hohes
Amt antreten wird. Es gehört keine besondere Beobachtungsgabe
dazu, um zu erkennen, daß sich der Wahl des Herrn Poincarö
ein viel größeres Interesse zugewendet hat, als wir seit langer Zeit dem
Präsidentenwechsel in Frankreich zu widmen gewohnt waren. Dieses besondere
Interesse ist nicht etwa nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern zu
beobachten. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Gilt diese Aufmerksamkeit
der Person des neuen Staatsoberhauptes, oder gilt sie den Umständen, unter
denen sich die Wahl vollzogen hat, oder gilt sie der Person und den Um¬
ständen? Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die letzte dieser drei Mög¬
lichkeiten hier vorliegt.

Was die Persönlichkeit des Herrn Poincarö betrifft, so ist in der letzten
Zeit viel von ihm behauptet worden, und noch mehr wird von ihm erwartet.
Wird er diesen Erwartungen gerecht werden? Es wäre vermessen, darauf mit
Ja oder Nein zu antworten. Wir wissen von ihm nur, daß er ein Mann
von mehr als gewöhnlicher Klugheit und reicher Erfahrung ist, der in allen
Lebensstellungen, in denen er sich bisher bewegt hat, Leistungen über den
Durchschnitt hinaus aufzuweisen hat. In Frankreich geht der Weg zu politischen
Ehren in der Regel durch den Journalismus oder die Advokatur. Poincarö
hat beides durchgemacht. Er ist ein gewandter Journalist und ein gesuchter
Advokat gewesen. Dann hat er verschiedene Ministerportefeuilles innegehabt.
Daß er bis zu seiner Wahl zum Präsidenten der Republik als Ministerpräsident
und Minister des Auswärtigen an einer besonders weit sichtbaren, bedeutungs-
vollen und verantwortungsvollen Stelle gestanden hat, ist ja so bekannt, daß


Grenzboten I 1913 20
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[0309] [Abbildung] Der Präsident der französischen Republik v Wilhelm von Massow on >ur eine kurze Zeit trennt uns noch von dem Tage, an dem das l neugewählte Oberhaupt der französischen Republik, Herr Raymond jPoincarö, seinen Sitz im Elysöe-Palast einnehmen und sein hohes Amt antreten wird. Es gehört keine besondere Beobachtungsgabe dazu, um zu erkennen, daß sich der Wahl des Herrn Poincarö ein viel größeres Interesse zugewendet hat, als wir seit langer Zeit dem Präsidentenwechsel in Frankreich zu widmen gewohnt waren. Dieses besondere Interesse ist nicht etwa nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern zu beobachten. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Gilt diese Aufmerksamkeit der Person des neuen Staatsoberhauptes, oder gilt sie den Umständen, unter denen sich die Wahl vollzogen hat, oder gilt sie der Person und den Um¬ ständen? Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die letzte dieser drei Mög¬ lichkeiten hier vorliegt. Was die Persönlichkeit des Herrn Poincarö betrifft, so ist in der letzten Zeit viel von ihm behauptet worden, und noch mehr wird von ihm erwartet. Wird er diesen Erwartungen gerecht werden? Es wäre vermessen, darauf mit Ja oder Nein zu antworten. Wir wissen von ihm nur, daß er ein Mann von mehr als gewöhnlicher Klugheit und reicher Erfahrung ist, der in allen Lebensstellungen, in denen er sich bisher bewegt hat, Leistungen über den Durchschnitt hinaus aufzuweisen hat. In Frankreich geht der Weg zu politischen Ehren in der Regel durch den Journalismus oder die Advokatur. Poincarö hat beides durchgemacht. Er ist ein gewandter Journalist und ein gesuchter Advokat gewesen. Dann hat er verschiedene Ministerportefeuilles innegehabt. Daß er bis zu seiner Wahl zum Präsidenten der Republik als Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen an einer besonders weit sichtbaren, bedeutungs- vollen und verantwortungsvollen Stelle gestanden hat, ist ja so bekannt, daß Grenzboten I 1913 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/309>, abgerufen am 27.06.2024.