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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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(Lari Jentsch
Zu seinem achtzigsten Geburtstag am 3. Februar

MMcum in diesen Tagen in allen Gauen Deutschlands dankbares
Gedenken in Gruß und Glückwunsch seinen Ausdruck findet und
-Carl Jentsch in seiner Zurückgezogenheit aufsucht, so mag dies
davon zeugen, daß bei uns trotz aller Nivellierung die Freude
an dein, was Allgemeingültiges zur Individualität umbiegt, die
Freude am Manne, der den Stempel des Eigenen trägt, noch nicht geschwunden
ist. Wir ehren uns, wenn uns der achte Februar ein Fest bedeutet, da achtzig
Jahre starker Lebensarbeit eines Tapferen sich vollenden.

Carl Jentsch ist in einer Zeit erwachsen, die für uns Jüngere beinahe
unglaubhafte Züge trägt, in einer Zeit, da die Freiheit zu den verbrieften
Rechten eines Jungen gehörte, der durch sie und in ihr selbständig Denken und
Handeln lernte. Aus ihr schöpfte er den nötigen Vorrat an Lebenslust,
Lebens- und Kampfesfreude, der nun einmal zur Überwindung der Unbill des
Lebens unumgänglich nötig ist.

Mit dreizehn Jahren saß Carl Jentsch in der Prima der höheren Bürger¬
schule seiner Vaterstadt Landeshut in Schlesien, ohne vom Berechtigungswesen,
von Schulräten, einem Provinzialschulkollegium oder Inspektionen eine Ahnung
zu haben. Da sowohl Lehrer als Schüler Leben und Arbeit ungehindert nach
ihrem eigenen Temperament einrichten konnten, fühlte sich keiner überbürdet.
Der Hinweis auf ein erschwertes Vorwärtskommen im späteren Leben hätte
keinen richtigen Jungen an die Schulstube und an seine Hefte, die oft genug
die Lehrbücher ersetzen mußten, zu fesseln vermocht. Daß Schulknaben sich
wegen Strafen oder wegen Sitzenbleibens erhängen könnten, wäre der damaligen
Generation einfach fabelhaft vorgekommen. Schnlstrafen gehörten vielmehr zu
den Ereignissen, die Abwechslung ins sehnlicher brachten und es amüsant
machten.

Der Vater von Carl Jentsch. ein Buchbinder, war Protestant, die Mutter
Katholikin, und sie ist es gewesen, die ihren Sohn dem Katholizismus zu¬
geführt hat. Der Mann ihrer Schwester, ein protestantischer Volksschullehrer,
bei dem Carl Jentsch einstmals zu Besuch war, schlug ihm vor, den Lehrer¬
beruf zu ergreifen und Carl Jentsch war geneigt, auf diesen Vorschlag ein¬
zugehen, aber die Mutter entzog ihn dem Einfluß ihres Schwagers, hauptsächlich
in dem Wunsche, ihn für den Katholizismus zu gewinnen. Von früh auf




(Lari Jentsch
Zu seinem achtzigsten Geburtstag am 3. Februar

MMcum in diesen Tagen in allen Gauen Deutschlands dankbares
Gedenken in Gruß und Glückwunsch seinen Ausdruck findet und
-Carl Jentsch in seiner Zurückgezogenheit aufsucht, so mag dies
davon zeugen, daß bei uns trotz aller Nivellierung die Freude
an dein, was Allgemeingültiges zur Individualität umbiegt, die
Freude am Manne, der den Stempel des Eigenen trägt, noch nicht geschwunden
ist. Wir ehren uns, wenn uns der achte Februar ein Fest bedeutet, da achtzig
Jahre starker Lebensarbeit eines Tapferen sich vollenden.

Carl Jentsch ist in einer Zeit erwachsen, die für uns Jüngere beinahe
unglaubhafte Züge trägt, in einer Zeit, da die Freiheit zu den verbrieften
Rechten eines Jungen gehörte, der durch sie und in ihr selbständig Denken und
Handeln lernte. Aus ihr schöpfte er den nötigen Vorrat an Lebenslust,
Lebens- und Kampfesfreude, der nun einmal zur Überwindung der Unbill des
Lebens unumgänglich nötig ist.

Mit dreizehn Jahren saß Carl Jentsch in der Prima der höheren Bürger¬
schule seiner Vaterstadt Landeshut in Schlesien, ohne vom Berechtigungswesen,
von Schulräten, einem Provinzialschulkollegium oder Inspektionen eine Ahnung
zu haben. Da sowohl Lehrer als Schüler Leben und Arbeit ungehindert nach
ihrem eigenen Temperament einrichten konnten, fühlte sich keiner überbürdet.
Der Hinweis auf ein erschwertes Vorwärtskommen im späteren Leben hätte
keinen richtigen Jungen an die Schulstube und an seine Hefte, die oft genug
die Lehrbücher ersetzen mußten, zu fesseln vermocht. Daß Schulknaben sich
wegen Strafen oder wegen Sitzenbleibens erhängen könnten, wäre der damaligen
Generation einfach fabelhaft vorgekommen. Schnlstrafen gehörten vielmehr zu
den Ereignissen, die Abwechslung ins sehnlicher brachten und es amüsant
machten.

Der Vater von Carl Jentsch. ein Buchbinder, war Protestant, die Mutter
Katholikin, und sie ist es gewesen, die ihren Sohn dem Katholizismus zu¬
geführt hat. Der Mann ihrer Schwester, ein protestantischer Volksschullehrer,
bei dem Carl Jentsch einstmals zu Besuch war, schlug ihm vor, den Lehrer¬
beruf zu ergreifen und Carl Jentsch war geneigt, auf diesen Vorschlag ein¬
zugehen, aber die Mutter entzog ihn dem Einfluß ihres Schwagers, hauptsächlich
in dem Wunsche, ihn für den Katholizismus zu gewinnen. Von früh auf


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[0265] [Abbildung] (Lari Jentsch Zu seinem achtzigsten Geburtstag am 3. Februar MMcum in diesen Tagen in allen Gauen Deutschlands dankbares Gedenken in Gruß und Glückwunsch seinen Ausdruck findet und -Carl Jentsch in seiner Zurückgezogenheit aufsucht, so mag dies davon zeugen, daß bei uns trotz aller Nivellierung die Freude an dein, was Allgemeingültiges zur Individualität umbiegt, die Freude am Manne, der den Stempel des Eigenen trägt, noch nicht geschwunden ist. Wir ehren uns, wenn uns der achte Februar ein Fest bedeutet, da achtzig Jahre starker Lebensarbeit eines Tapferen sich vollenden. Carl Jentsch ist in einer Zeit erwachsen, die für uns Jüngere beinahe unglaubhafte Züge trägt, in einer Zeit, da die Freiheit zu den verbrieften Rechten eines Jungen gehörte, der durch sie und in ihr selbständig Denken und Handeln lernte. Aus ihr schöpfte er den nötigen Vorrat an Lebenslust, Lebens- und Kampfesfreude, der nun einmal zur Überwindung der Unbill des Lebens unumgänglich nötig ist. Mit dreizehn Jahren saß Carl Jentsch in der Prima der höheren Bürger¬ schule seiner Vaterstadt Landeshut in Schlesien, ohne vom Berechtigungswesen, von Schulräten, einem Provinzialschulkollegium oder Inspektionen eine Ahnung zu haben. Da sowohl Lehrer als Schüler Leben und Arbeit ungehindert nach ihrem eigenen Temperament einrichten konnten, fühlte sich keiner überbürdet. Der Hinweis auf ein erschwertes Vorwärtskommen im späteren Leben hätte keinen richtigen Jungen an die Schulstube und an seine Hefte, die oft genug die Lehrbücher ersetzen mußten, zu fesseln vermocht. Daß Schulknaben sich wegen Strafen oder wegen Sitzenbleibens erhängen könnten, wäre der damaligen Generation einfach fabelhaft vorgekommen. Schnlstrafen gehörten vielmehr zu den Ereignissen, die Abwechslung ins sehnlicher brachten und es amüsant machten. Der Vater von Carl Jentsch. ein Buchbinder, war Protestant, die Mutter Katholikin, und sie ist es gewesen, die ihren Sohn dem Katholizismus zu¬ geführt hat. Der Mann ihrer Schwester, ein protestantischer Volksschullehrer, bei dem Carl Jentsch einstmals zu Besuch war, schlug ihm vor, den Lehrer¬ beruf zu ergreifen und Carl Jentsch war geneigt, auf diesen Vorschlag ein¬ zugehen, aber die Mutter entzog ihn dem Einfluß ihres Schwagers, hauptsächlich in dem Wunsche, ihn für den Katholizismus zu gewinnen. Von früh auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/265>, abgerufen am 27.06.2024.