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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Der Bucketshop

sie dem neu heranwachsenden Geschlechte von vornherein zu geben und ihm so
die Kämpfe zu ersparen, in denen er selbst sich abgemüht hat. Aber so schnell
vollziehen sich die großen Fortschritte der Menschheit nicht. Der Ältere kann
dem Jüngeren keine innerliche Erfahrung fertig mitteilen. Freiheit des Denkens
vollends gehört zu den Gütern, die nur dem wirklich zuteil werden, der sie
selbst sich erobert. Deshalb bleibt es richtig, daß der Religionsunterricht, und
so wie er alle Erziehung, mit fester Autorität beginnen und allmählich zur Freiheit
führen soll. Je stetiger diese Befreiung von Stufe zu Stufe vorschreitet, um
so mehr ist dafür gesorgt, daß jeder nur so viel Selbständigkeit erwirbt, als
er mit seinen Kräften zu tragen vermag. Dagegen gibt es keine schlimmere
Tyrannei, als die, die über anders Denkende im Namen der Freiheit geübt wird.




9er Bucketshop Landrichter Dr. Lrnst Sontag vonin

as ist dies, ein Bucketshop? Viele wird dieses Wort ganz fremd
anmuten. Wenn ich seine Wirksamkeit zunächst in einem kühnen Bilde
l näher bringen darf: wer erinnert sich nicht jener fabelhaften Sirenen,
^ die einst die vorbeifahrenden Schiffer mit ihrem Sänge betörten und
anlockten, um sie dann zu überfallen und zu verderben. So verlockt
der Bucketshop Unkundige mit vielverheißenden Gewinnversprechungen zum Börsen¬
spiel, um sie dann auszuplündern und zu ruinieren. Der Typus dieses Beutel¬
schneiders und Betrügers existiert erst seit wenigen Jahren in Deutschland.
Seine Spezialität ist aus England und Amerika bei uns eingeführt und auch
der Name für ihn entstammt amerikanischer Praxis. Als an der Chikagoer
Weizenbörse vor Jahren ein besonders großes Spekulationsfieber herrschte, da
taten sich Händler auf, welche Tausende von Zentnern Weizen verkauften, ohne
auch nur einen zu besitzen. Um aber den Anschein dieses Besitzes und der
Reellität zu erwecken, stellten sie in ihrem Laden (stop) Eimer (dunkel) mit
verschiedenen Sorten Weizen aus und verkauften nach diesen Proben. Die
Eimer mit Weizen waren aber ihr ganzer Bestand an Weizen. Da sie also
nur den im Laden vorhandenen Weizen besaßen, so taufte man diese Geschäfte
und nach ihnen ihre Unternehmer "Bucketshops".

In Deutschland hat sich diese saubere Spezialität nicht an dem Getreide-
niarkte, sondern an dem Effektenmarkte entwickelt. Es entstanden an den größten
Börsenplätzen, insbesondere in Berlin, Bankgeschäfte, welche mit einem ganz
geringen Betriebskapital eröffnet wurden, welche aber gleichwohl sofort eine


Der Bucketshop

sie dem neu heranwachsenden Geschlechte von vornherein zu geben und ihm so
die Kämpfe zu ersparen, in denen er selbst sich abgemüht hat. Aber so schnell
vollziehen sich die großen Fortschritte der Menschheit nicht. Der Ältere kann
dem Jüngeren keine innerliche Erfahrung fertig mitteilen. Freiheit des Denkens
vollends gehört zu den Gütern, die nur dem wirklich zuteil werden, der sie
selbst sich erobert. Deshalb bleibt es richtig, daß der Religionsunterricht, und
so wie er alle Erziehung, mit fester Autorität beginnen und allmählich zur Freiheit
führen soll. Je stetiger diese Befreiung von Stufe zu Stufe vorschreitet, um
so mehr ist dafür gesorgt, daß jeder nur so viel Selbständigkeit erwirbt, als
er mit seinen Kräften zu tragen vermag. Dagegen gibt es keine schlimmere
Tyrannei, als die, die über anders Denkende im Namen der Freiheit geübt wird.




9er Bucketshop Landrichter Dr. Lrnst Sontag vonin

as ist dies, ein Bucketshop? Viele wird dieses Wort ganz fremd
anmuten. Wenn ich seine Wirksamkeit zunächst in einem kühnen Bilde
l näher bringen darf: wer erinnert sich nicht jener fabelhaften Sirenen,
^ die einst die vorbeifahrenden Schiffer mit ihrem Sänge betörten und
anlockten, um sie dann zu überfallen und zu verderben. So verlockt
der Bucketshop Unkundige mit vielverheißenden Gewinnversprechungen zum Börsen¬
spiel, um sie dann auszuplündern und zu ruinieren. Der Typus dieses Beutel¬
schneiders und Betrügers existiert erst seit wenigen Jahren in Deutschland.
Seine Spezialität ist aus England und Amerika bei uns eingeführt und auch
der Name für ihn entstammt amerikanischer Praxis. Als an der Chikagoer
Weizenbörse vor Jahren ein besonders großes Spekulationsfieber herrschte, da
taten sich Händler auf, welche Tausende von Zentnern Weizen verkauften, ohne
auch nur einen zu besitzen. Um aber den Anschein dieses Besitzes und der
Reellität zu erwecken, stellten sie in ihrem Laden (stop) Eimer (dunkel) mit
verschiedenen Sorten Weizen aus und verkauften nach diesen Proben. Die
Eimer mit Weizen waren aber ihr ganzer Bestand an Weizen. Da sie also
nur den im Laden vorhandenen Weizen besaßen, so taufte man diese Geschäfte
und nach ihnen ihre Unternehmer „Bucketshops".

In Deutschland hat sich diese saubere Spezialität nicht an dem Getreide-
niarkte, sondern an dem Effektenmarkte entwickelt. Es entstanden an den größten
Börsenplätzen, insbesondere in Berlin, Bankgeschäfte, welche mit einem ganz
geringen Betriebskapital eröffnet wurden, welche aber gleichwohl sofort eine


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[0226] Der Bucketshop sie dem neu heranwachsenden Geschlechte von vornherein zu geben und ihm so die Kämpfe zu ersparen, in denen er selbst sich abgemüht hat. Aber so schnell vollziehen sich die großen Fortschritte der Menschheit nicht. Der Ältere kann dem Jüngeren keine innerliche Erfahrung fertig mitteilen. Freiheit des Denkens vollends gehört zu den Gütern, die nur dem wirklich zuteil werden, der sie selbst sich erobert. Deshalb bleibt es richtig, daß der Religionsunterricht, und so wie er alle Erziehung, mit fester Autorität beginnen und allmählich zur Freiheit führen soll. Je stetiger diese Befreiung von Stufe zu Stufe vorschreitet, um so mehr ist dafür gesorgt, daß jeder nur so viel Selbständigkeit erwirbt, als er mit seinen Kräften zu tragen vermag. Dagegen gibt es keine schlimmere Tyrannei, als die, die über anders Denkende im Namen der Freiheit geübt wird. 9er Bucketshop Landrichter Dr. Lrnst Sontag vonin as ist dies, ein Bucketshop? Viele wird dieses Wort ganz fremd anmuten. Wenn ich seine Wirksamkeit zunächst in einem kühnen Bilde l näher bringen darf: wer erinnert sich nicht jener fabelhaften Sirenen, ^ die einst die vorbeifahrenden Schiffer mit ihrem Sänge betörten und anlockten, um sie dann zu überfallen und zu verderben. So verlockt der Bucketshop Unkundige mit vielverheißenden Gewinnversprechungen zum Börsen¬ spiel, um sie dann auszuplündern und zu ruinieren. Der Typus dieses Beutel¬ schneiders und Betrügers existiert erst seit wenigen Jahren in Deutschland. Seine Spezialität ist aus England und Amerika bei uns eingeführt und auch der Name für ihn entstammt amerikanischer Praxis. Als an der Chikagoer Weizenbörse vor Jahren ein besonders großes Spekulationsfieber herrschte, da taten sich Händler auf, welche Tausende von Zentnern Weizen verkauften, ohne auch nur einen zu besitzen. Um aber den Anschein dieses Besitzes und der Reellität zu erwecken, stellten sie in ihrem Laden (stop) Eimer (dunkel) mit verschiedenen Sorten Weizen aus und verkauften nach diesen Proben. Die Eimer mit Weizen waren aber ihr ganzer Bestand an Weizen. Da sie also nur den im Laden vorhandenen Weizen besaßen, so taufte man diese Geschäfte und nach ihnen ihre Unternehmer „Bucketshops". In Deutschland hat sich diese saubere Spezialität nicht an dem Getreide- niarkte, sondern an dem Effektenmarkte entwickelt. Es entstanden an den größten Börsenplätzen, insbesondere in Berlin, Bankgeschäfte, welche mit einem ganz geringen Betriebskapital eröffnet wurden, welche aber gleichwohl sofort eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/226>, abgerufen am 27.06.2024.