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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Erschließung Lhinas

Grunde allem sollte China ein überragendes Interesse für uns haben, denn
China bietet uns, was wir brauchen: Ersatz für manchen verlorenen Absatzmarkt
und, viel mehr noch als das, ganz eminente Exportmöglichkeiten. Freilich wird
uns der chinesische Markt nicht mühelos in die Hände fallen, da wir Mit¬
bewerber haben, die früher aufgestanden sind als wir und sich daher einen
weit größeren kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einfluß im Osten ver¬
schaffen konnten. Sich dieser Tatsache zu verschließen wäre unsinnig; nur
dürfen wir sie nicht als schlechthin unabänderlich hinnehmen, sondern uns be¬
mühen, den anglo-amerikanischen Einfluß durch eine um so intensivere Tätigkeit
möglichst einzuholen.

II.

Anerkennt man grundsätzlich die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für
Deutschland und die Notwendigkeit einer weitgehenden Teilnahme Deutschlands
an der Erschließung Chinas, so bleibt die Frage zu erörtern, durch welche
Mittel wir uns den uns gebührenden Anteil an dieser Erschließung sichern.

Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß es durchaus falsch wäre, etwa
allein auf die Staatshilfe zu bauen und alles von der Reichsregierung zu
erwarten. Ganz unzweifelhaft hat die Reichsregierung die Pflicht, der Ent¬
wicklung der chinesischen Verhältnisse die weitestgehende Aufmerksamkeit zu
widmen und alles vorzukehren, was geeignet ist, Deutschlands Ansehen und
Stellung in China nach jeder Richtung hin, d. h. in kultureller, wirtschaftlicher
und politischer Beziehung zu stärken. Daraus erwachsen für sie eine Reihe
von Aufgaben, die nur durch sie erfüllt werden können. Aber neben der
Staatshilfe muß die Selbsthilfe, die Initiative und zielbewußte freie Arbeit
aller an der Zukunft Chinas interessierten deutschen Kreise stehen. Nur durch
eine gegenseitige Unterstützung und Ergänzung von Staatshilfe und Selbsthilfe
wird es uns möglich sein, die großen Aufgaben, die uns in China obliegen,
zu erfüllen und uns unseren Mitbewerbern gegenüber durchzusetzen.

Vor allem muß es sich für uns zunächst darum handeln, entscheidenden
Einfluß auf die von der chinesischen Regierung eingeleiteten oder beabsichtigten
Reformen des Schulwesens, des Justizwesens, des Verkehrswesens, des Finanz¬
wesens usw. zu gewinnen.

Unter diesen Reformen steht an erster Stelle die Reorganisation des ver¬
knöcherten, in einem öden Formalismus und Schematismus erstickten chinesischen
Schulwesens. Alle Kenner des fernen Ostens stimmen darin überein, daß die
zukünftige Stellung der fremden Staaten in China vor allem davon abhängig
sein wird, inwieweit es ihnen gelingt, Einfluß auf die Gestaltung des chinesischen
Unterrichtswesens zu gewinnen. Diese Überzeugung hat sich in England und
Amerika seit langem durchgesetzt und zur Folge gehabt, daß diese Staaten seit
geraunter Zeit mit öffentlichen und privaten, mit persönlichen und sachlichen
Mitteln nicht gekargt haben, um das anglo-amerikanische Missions- und Schul¬
wesen in China auszubauen. Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Aufsatzes


Deutschland und die Erschließung Lhinas

Grunde allem sollte China ein überragendes Interesse für uns haben, denn
China bietet uns, was wir brauchen: Ersatz für manchen verlorenen Absatzmarkt
und, viel mehr noch als das, ganz eminente Exportmöglichkeiten. Freilich wird
uns der chinesische Markt nicht mühelos in die Hände fallen, da wir Mit¬
bewerber haben, die früher aufgestanden sind als wir und sich daher einen
weit größeren kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einfluß im Osten ver¬
schaffen konnten. Sich dieser Tatsache zu verschließen wäre unsinnig; nur
dürfen wir sie nicht als schlechthin unabänderlich hinnehmen, sondern uns be¬
mühen, den anglo-amerikanischen Einfluß durch eine um so intensivere Tätigkeit
möglichst einzuholen.

II.

Anerkennt man grundsätzlich die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für
Deutschland und die Notwendigkeit einer weitgehenden Teilnahme Deutschlands
an der Erschließung Chinas, so bleibt die Frage zu erörtern, durch welche
Mittel wir uns den uns gebührenden Anteil an dieser Erschließung sichern.

Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß es durchaus falsch wäre, etwa
allein auf die Staatshilfe zu bauen und alles von der Reichsregierung zu
erwarten. Ganz unzweifelhaft hat die Reichsregierung die Pflicht, der Ent¬
wicklung der chinesischen Verhältnisse die weitestgehende Aufmerksamkeit zu
widmen und alles vorzukehren, was geeignet ist, Deutschlands Ansehen und
Stellung in China nach jeder Richtung hin, d. h. in kultureller, wirtschaftlicher
und politischer Beziehung zu stärken. Daraus erwachsen für sie eine Reihe
von Aufgaben, die nur durch sie erfüllt werden können. Aber neben der
Staatshilfe muß die Selbsthilfe, die Initiative und zielbewußte freie Arbeit
aller an der Zukunft Chinas interessierten deutschen Kreise stehen. Nur durch
eine gegenseitige Unterstützung und Ergänzung von Staatshilfe und Selbsthilfe
wird es uns möglich sein, die großen Aufgaben, die uns in China obliegen,
zu erfüllen und uns unseren Mitbewerbern gegenüber durchzusetzen.

Vor allem muß es sich für uns zunächst darum handeln, entscheidenden
Einfluß auf die von der chinesischen Regierung eingeleiteten oder beabsichtigten
Reformen des Schulwesens, des Justizwesens, des Verkehrswesens, des Finanz¬
wesens usw. zu gewinnen.

Unter diesen Reformen steht an erster Stelle die Reorganisation des ver¬
knöcherten, in einem öden Formalismus und Schematismus erstickten chinesischen
Schulwesens. Alle Kenner des fernen Ostens stimmen darin überein, daß die
zukünftige Stellung der fremden Staaten in China vor allem davon abhängig
sein wird, inwieweit es ihnen gelingt, Einfluß auf die Gestaltung des chinesischen
Unterrichtswesens zu gewinnen. Diese Überzeugung hat sich in England und
Amerika seit langem durchgesetzt und zur Folge gehabt, daß diese Staaten seit
geraunter Zeit mit öffentlichen und privaten, mit persönlichen und sachlichen
Mitteln nicht gekargt haben, um das anglo-amerikanische Missions- und Schul¬
wesen in China auszubauen. Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Aufsatzes


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[0173] Deutschland und die Erschließung Lhinas Grunde allem sollte China ein überragendes Interesse für uns haben, denn China bietet uns, was wir brauchen: Ersatz für manchen verlorenen Absatzmarkt und, viel mehr noch als das, ganz eminente Exportmöglichkeiten. Freilich wird uns der chinesische Markt nicht mühelos in die Hände fallen, da wir Mit¬ bewerber haben, die früher aufgestanden sind als wir und sich daher einen weit größeren kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einfluß im Osten ver¬ schaffen konnten. Sich dieser Tatsache zu verschließen wäre unsinnig; nur dürfen wir sie nicht als schlechthin unabänderlich hinnehmen, sondern uns be¬ mühen, den anglo-amerikanischen Einfluß durch eine um so intensivere Tätigkeit möglichst einzuholen. II. Anerkennt man grundsätzlich die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für Deutschland und die Notwendigkeit einer weitgehenden Teilnahme Deutschlands an der Erschließung Chinas, so bleibt die Frage zu erörtern, durch welche Mittel wir uns den uns gebührenden Anteil an dieser Erschließung sichern. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß es durchaus falsch wäre, etwa allein auf die Staatshilfe zu bauen und alles von der Reichsregierung zu erwarten. Ganz unzweifelhaft hat die Reichsregierung die Pflicht, der Ent¬ wicklung der chinesischen Verhältnisse die weitestgehende Aufmerksamkeit zu widmen und alles vorzukehren, was geeignet ist, Deutschlands Ansehen und Stellung in China nach jeder Richtung hin, d. h. in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Beziehung zu stärken. Daraus erwachsen für sie eine Reihe von Aufgaben, die nur durch sie erfüllt werden können. Aber neben der Staatshilfe muß die Selbsthilfe, die Initiative und zielbewußte freie Arbeit aller an der Zukunft Chinas interessierten deutschen Kreise stehen. Nur durch eine gegenseitige Unterstützung und Ergänzung von Staatshilfe und Selbsthilfe wird es uns möglich sein, die großen Aufgaben, die uns in China obliegen, zu erfüllen und uns unseren Mitbewerbern gegenüber durchzusetzen. Vor allem muß es sich für uns zunächst darum handeln, entscheidenden Einfluß auf die von der chinesischen Regierung eingeleiteten oder beabsichtigten Reformen des Schulwesens, des Justizwesens, des Verkehrswesens, des Finanz¬ wesens usw. zu gewinnen. Unter diesen Reformen steht an erster Stelle die Reorganisation des ver¬ knöcherten, in einem öden Formalismus und Schematismus erstickten chinesischen Schulwesens. Alle Kenner des fernen Ostens stimmen darin überein, daß die zukünftige Stellung der fremden Staaten in China vor allem davon abhängig sein wird, inwieweit es ihnen gelingt, Einfluß auf die Gestaltung des chinesischen Unterrichtswesens zu gewinnen. Diese Überzeugung hat sich in England und Amerika seit langem durchgesetzt und zur Folge gehabt, daß diese Staaten seit geraunter Zeit mit öffentlichen und privaten, mit persönlichen und sachlichen Mitteln nicht gekargt haben, um das anglo-amerikanische Missions- und Schul¬ wesen in China auszubauen. Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Aufsatzes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/173>, abgerufen am 27.06.2024.