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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Grundsätze moderner Ringinszenierung
v Dr. Fritz Reck-Malleczewen onin

s ist merkwürdig: Bayreuth steht heute fester als je in einem
Jahrzehnte vorher. Und doch mehren sich die Stimmen derer,
die eine Abkehr von Wagner beobachten wollen. Eine Abkehr,
die der neu aufblühenden Mozart- und Bachkultur zugute kommen
soll. Die hier an Wagners Werk zweifeln, glauben fast alle ein
Zeichen der neuen Zeit zu sehen. Eine Abkehr der neuen Generation von dem
Naturalismus Wagners. So spricht sich Friedrich Huch, der im übrigen
Wagner durchaus gerecht wird, in seinem musikalischen Roman "Enzio" aus.
Und fast dieselben Gedanken äußerte neulich Emil Ludwig in einer Arbeit über
die neue Jugend. .....

Es ist heute nicht meine Aufgabe zu untersuchen, ob diese Abkehr von
Wagner wirklich besteht und ob sie mit der auf allen Lebensgebieten immer
stärker werdenden Sinnesänderung der jungen Generation zusammenhängt. Ich
glaube, daß man froh im Strom seiner Zeitgenossen (die ja dem Naturalismus
im weitesten Wortsinne immer fremder werden) schwimmen und doch in Wagners
Werk einen der größten Schätze deutschen Lebens sehen kann.

Ich glaube aber auch, daß an diesem Zweifel etwas Wahres und Berech¬
tigtes ist. Etwas, das aufs engste mit meinem Gegenstand verbunden ist.

. , Ludwig sagt wörtlich: "Es soll hier nicht die Rede sein von dem beispiellos
glänzenden Versuch Wagners des Deutschen, die Kultur seines Volkes zu orien-
talisieren. Er ist nicht populär geworden und nicht exklusiv geblieben, aber er
ist nun höchst legitim, und dies auf eine peinliche, umfassende, denkmal¬
enthüllende Art. Er wurde eine Art konstitutioneller Klassiker. Die Besten
haben ihn vergessen. Das Volk kennt ihn nicht, aber die Volksvertretung. Der
alte Zauberer hat nur eine Generation verführt! Ein Menschenalter nach seinem
Tode betet die Jugend die alten Götter an und preist Meister, die von jenem
lernten und ihn dennoch umgehen." Das sind zum Teil gewiß ungerechte Worte.
Und doch, es ist etwas Wahres daran, wenn Ludwig (wie Friedrich Huch) von
einem Zauber spricht. Und eben diesen Zauber, den ich für einen störenden,
teilweise auch unedlen Bestandteil in Wagners Lebenswerk halte, diesen Zauber
auszumerzen, ist eine der Aufgaben der modernen Wagnerregie.




Grundsätze moderner Ringinszenierung
v Dr. Fritz Reck-Malleczewen onin

s ist merkwürdig: Bayreuth steht heute fester als je in einem
Jahrzehnte vorher. Und doch mehren sich die Stimmen derer,
die eine Abkehr von Wagner beobachten wollen. Eine Abkehr,
die der neu aufblühenden Mozart- und Bachkultur zugute kommen
soll. Die hier an Wagners Werk zweifeln, glauben fast alle ein
Zeichen der neuen Zeit zu sehen. Eine Abkehr der neuen Generation von dem
Naturalismus Wagners. So spricht sich Friedrich Huch, der im übrigen
Wagner durchaus gerecht wird, in seinem musikalischen Roman „Enzio" aus.
Und fast dieselben Gedanken äußerte neulich Emil Ludwig in einer Arbeit über
die neue Jugend. .....

Es ist heute nicht meine Aufgabe zu untersuchen, ob diese Abkehr von
Wagner wirklich besteht und ob sie mit der auf allen Lebensgebieten immer
stärker werdenden Sinnesänderung der jungen Generation zusammenhängt. Ich
glaube, daß man froh im Strom seiner Zeitgenossen (die ja dem Naturalismus
im weitesten Wortsinne immer fremder werden) schwimmen und doch in Wagners
Werk einen der größten Schätze deutschen Lebens sehen kann.

Ich glaube aber auch, daß an diesem Zweifel etwas Wahres und Berech¬
tigtes ist. Etwas, das aufs engste mit meinem Gegenstand verbunden ist.

. , Ludwig sagt wörtlich: „Es soll hier nicht die Rede sein von dem beispiellos
glänzenden Versuch Wagners des Deutschen, die Kultur seines Volkes zu orien-
talisieren. Er ist nicht populär geworden und nicht exklusiv geblieben, aber er
ist nun höchst legitim, und dies auf eine peinliche, umfassende, denkmal¬
enthüllende Art. Er wurde eine Art konstitutioneller Klassiker. Die Besten
haben ihn vergessen. Das Volk kennt ihn nicht, aber die Volksvertretung. Der
alte Zauberer hat nur eine Generation verführt! Ein Menschenalter nach seinem
Tode betet die Jugend die alten Götter an und preist Meister, die von jenem
lernten und ihn dennoch umgehen." Das sind zum Teil gewiß ungerechte Worte.
Und doch, es ist etwas Wahres daran, wenn Ludwig (wie Friedrich Huch) von
einem Zauber spricht. Und eben diesen Zauber, den ich für einen störenden,
teilweise auch unedlen Bestandteil in Wagners Lebenswerk halte, diesen Zauber
auszumerzen, ist eine der Aufgaben der modernen Wagnerregie.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/150>, abgerufen am 27.06.2024.