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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Mensch und Technik

Von Vier bis Fünf leiht er den Kindern Bücher aus. Bücher bekommen nur
die, die ihren Katechismus geläufig kennen. Und in den Büchern stehen geschrieben
die Legenden der Märtyrer und Heiligen, Konvertitengeschichten und Erzählungen
aus der Zeit der englischen Katholikenverfolgung.

Um die Langeweile zu vertreiben, macht der Bursche sich alles mögliche zu
schaffen. Er holt den Staubbesen mit dem langen Stiel aus dem Kellerhaus und
kehrt am hellen Sonntag alle Spinnweben aus dem Pferdestall. Dabei fällt
Staub auf die Gäule, und er muß sie frisch bürsten und striegeln.

Zwischendurch denkt er auch einmal daran, daß er heute nicht nach Pfedders-
heim zu Tante Seelchen gehen kann. Was die sich wohl nicht alles einbilden wird
über den Grund seines Ausbleibens? Ihm selbst kommt gar kein Leid darüber
auf, daß er heute auf den ihm lieb gewordenen Gang verzichten muß, so sehr
lobt in ihm die Begeisterung über die Mission, die er beim Pfarrer zu erfüllen
hat. Denn wenn einmal der Unkel Hannes, der doch ans der Universität gewesen
ist. sagt, die Sache sei so außerordentlich fein ausgedacht, daß selbst der Pfarrer
nicht daran vorbei käme, so muß es doch auch schon etwas Besonderes sein. Er
freut sich kindlich darüber, daß er auf den guten Gedanken gekommen ist, der den
Bauern am nächsten Sonntag von der Kanzel herunter einen Rüssel eintragen wird.

Vom nächsten Sonntag ab wird er auch nicht mehr in die Frühmesse gehen,
sondern ins Hochamt. Mitten unter seine alten Kameraden wird er sich setzen.
Zweimal hat er nun auch schon die Christenlehre versäumt, die die schulentlassene
Jugend bis zum zwanzigsten Jahre besuchen muß. Da wird ihm der Pfarrer
heute gleich einen Abputzer geben.

Kaum hat die alte große Standuhr, die vom Fußboden bis an die niedere
Decke reicht, ihre fünf Schläge getan, als Karl sich auf den Weg macht.

(Fortsetzung folgt)




Mensch und Technik
Otto Goebe von Dr.

or mir liegen zwei Werke: ein kleines und ein großes. Sie
scheinen nichts weiter miteinander zu tun zu haben, als daß der
Zufall sie gleichzeitig auf meinen Schreibtisch gelegt hat; das
erste heißt: "Entlegene Spuren Goethes"*), das andere: "Die
Technik im zwanzigsten Jahrhundert"**).




*) "Entlegene Spuren Goethes", Goethes Beziehungen zu der Mathematik, Physik,
Chemie und deren Anwendung in der Technik, zum technischen Unterricht und zum Patent¬
wesen. Von Max Genet. R. Oloenbourg, München und Berlin 1911.
**) "Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert", 3 Bände. Georg Westermann, Braun-
schweig 1912.
Mensch und Technik

Von Vier bis Fünf leiht er den Kindern Bücher aus. Bücher bekommen nur
die, die ihren Katechismus geläufig kennen. Und in den Büchern stehen geschrieben
die Legenden der Märtyrer und Heiligen, Konvertitengeschichten und Erzählungen
aus der Zeit der englischen Katholikenverfolgung.

Um die Langeweile zu vertreiben, macht der Bursche sich alles mögliche zu
schaffen. Er holt den Staubbesen mit dem langen Stiel aus dem Kellerhaus und
kehrt am hellen Sonntag alle Spinnweben aus dem Pferdestall. Dabei fällt
Staub auf die Gäule, und er muß sie frisch bürsten und striegeln.

Zwischendurch denkt er auch einmal daran, daß er heute nicht nach Pfedders-
heim zu Tante Seelchen gehen kann. Was die sich wohl nicht alles einbilden wird
über den Grund seines Ausbleibens? Ihm selbst kommt gar kein Leid darüber
auf, daß er heute auf den ihm lieb gewordenen Gang verzichten muß, so sehr
lobt in ihm die Begeisterung über die Mission, die er beim Pfarrer zu erfüllen
hat. Denn wenn einmal der Unkel Hannes, der doch ans der Universität gewesen
ist. sagt, die Sache sei so außerordentlich fein ausgedacht, daß selbst der Pfarrer
nicht daran vorbei käme, so muß es doch auch schon etwas Besonderes sein. Er
freut sich kindlich darüber, daß er auf den guten Gedanken gekommen ist, der den
Bauern am nächsten Sonntag von der Kanzel herunter einen Rüssel eintragen wird.

Vom nächsten Sonntag ab wird er auch nicht mehr in die Frühmesse gehen,
sondern ins Hochamt. Mitten unter seine alten Kameraden wird er sich setzen.
Zweimal hat er nun auch schon die Christenlehre versäumt, die die schulentlassene
Jugend bis zum zwanzigsten Jahre besuchen muß. Da wird ihm der Pfarrer
heute gleich einen Abputzer geben.

Kaum hat die alte große Standuhr, die vom Fußboden bis an die niedere
Decke reicht, ihre fünf Schläge getan, als Karl sich auf den Weg macht.

(Fortsetzung folgt)




Mensch und Technik
Otto Goebe von Dr.

or mir liegen zwei Werke: ein kleines und ein großes. Sie
scheinen nichts weiter miteinander zu tun zu haben, als daß der
Zufall sie gleichzeitig auf meinen Schreibtisch gelegt hat; das
erste heißt: „Entlegene Spuren Goethes"*), das andere: „Die
Technik im zwanzigsten Jahrhundert"**).




*) „Entlegene Spuren Goethes", Goethes Beziehungen zu der Mathematik, Physik,
Chemie und deren Anwendung in der Technik, zum technischen Unterricht und zum Patent¬
wesen. Von Max Genet. R. Oloenbourg, München und Berlin 1911.
**) „Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert", 3 Bände. Georg Westermann, Braun-
schweig 1912.
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[0281] Mensch und Technik Von Vier bis Fünf leiht er den Kindern Bücher aus. Bücher bekommen nur die, die ihren Katechismus geläufig kennen. Und in den Büchern stehen geschrieben die Legenden der Märtyrer und Heiligen, Konvertitengeschichten und Erzählungen aus der Zeit der englischen Katholikenverfolgung. Um die Langeweile zu vertreiben, macht der Bursche sich alles mögliche zu schaffen. Er holt den Staubbesen mit dem langen Stiel aus dem Kellerhaus und kehrt am hellen Sonntag alle Spinnweben aus dem Pferdestall. Dabei fällt Staub auf die Gäule, und er muß sie frisch bürsten und striegeln. Zwischendurch denkt er auch einmal daran, daß er heute nicht nach Pfedders- heim zu Tante Seelchen gehen kann. Was die sich wohl nicht alles einbilden wird über den Grund seines Ausbleibens? Ihm selbst kommt gar kein Leid darüber auf, daß er heute auf den ihm lieb gewordenen Gang verzichten muß, so sehr lobt in ihm die Begeisterung über die Mission, die er beim Pfarrer zu erfüllen hat. Denn wenn einmal der Unkel Hannes, der doch ans der Universität gewesen ist. sagt, die Sache sei so außerordentlich fein ausgedacht, daß selbst der Pfarrer nicht daran vorbei käme, so muß es doch auch schon etwas Besonderes sein. Er freut sich kindlich darüber, daß er auf den guten Gedanken gekommen ist, der den Bauern am nächsten Sonntag von der Kanzel herunter einen Rüssel eintragen wird. Vom nächsten Sonntag ab wird er auch nicht mehr in die Frühmesse gehen, sondern ins Hochamt. Mitten unter seine alten Kameraden wird er sich setzen. Zweimal hat er nun auch schon die Christenlehre versäumt, die die schulentlassene Jugend bis zum zwanzigsten Jahre besuchen muß. Da wird ihm der Pfarrer heute gleich einen Abputzer geben. Kaum hat die alte große Standuhr, die vom Fußboden bis an die niedere Decke reicht, ihre fünf Schläge getan, als Karl sich auf den Weg macht. (Fortsetzung folgt) Mensch und Technik Otto Goebe von Dr. or mir liegen zwei Werke: ein kleines und ein großes. Sie scheinen nichts weiter miteinander zu tun zu haben, als daß der Zufall sie gleichzeitig auf meinen Schreibtisch gelegt hat; das erste heißt: „Entlegene Spuren Goethes"*), das andere: „Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert"**). *) „Entlegene Spuren Goethes", Goethes Beziehungen zu der Mathematik, Physik, Chemie und deren Anwendung in der Technik, zum technischen Unterricht und zum Patent¬ wesen. Von Max Genet. R. Oloenbourg, München und Berlin 1911. **) „Die Technik im zwanzigsten Jahrhundert", 3 Bände. Georg Westermann, Braun- schweig 1912.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/281>, abgerufen am 15.01.2025.