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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley
Margarete ZVindthorst Novelle von(Schluß)

Das Wieschen war nicht tot. Für die, die vom einen Leben ausscheiden,
geht das andere, das rechte Leben erst an. Man sagt es -- glaubt es --
vielen ist es nicht gewiß. Wieschen war gläubig. Ihr stiller starker Glaube
an ihr neues Leben gab ihr die Kraft, mit festen Schritten ihre leere Kammer
zu durchmessen. Sie wischte den Staub von der Fußleiste, wo die Kommode
gestanden hatte und sah sich um, ob sie nichts vergessen hatte, um Ordnung
zurück zu lassen, wenn sie morgen ging. Und sie lächelte, als sie das
Geranium fand.

Sie nahm es auf die Hand und trug es in die Gärtnerei hinunter, wo
der Florentin bei seiner Arbeit war. Sie kam auf diesem Wege an der Aschen¬
grube vorbei, ein zerbrochenes Blumenglas war jüngst hinein gebracht, ein
paar Scherben waren vorbei getroffen, und Wieschen rührte mit dem Fuß daran.
Sie nahm sie auf und legte sie so, als wolle sie die Form des Glases noch
mal zusammen bringen, stieß sie aber wieder auseinander und ging mit gehobenem
Kopf in die Gärtnerei.

Als der Florentin sie sah, fragte er mürrisch: "Was soll's noch sein?"
Er dehnte die Glieder, als habe die Last der Kommode ihn gedrückt und er
kranke noch daran. Seine Stimmung war verdrießlich, und er fragte wie eben:
"Was soll's mit der Gratulationsblume auf einen Tag wie heute?"

"Damit soll es nichts," antwortete Wieschen ruhig. "Ich wollte sie dir
bloß heimbringen, darum komme ich eben." Sie bedachte sich. "Ich komme
auch, um dir Lebewohl zu sagen, Florin."

"Die Blume ist nicht meine, ich habe die weißen nicht," redete er verdreht.

"Sie ist doch deine," sagte Wieschen bestimmt, und ihr Gesicht leuchtete.
"Hast dich eben verkannt in der Blume, es ist nicht schlimm darum, es kann
doch immer kommen, daß man sich in was verkennt. Hast mir das Geranium
geschenkt zu Sommers Anfang -- wann ist es gewesen? Weißt es noch? Nicht
einmal lange ist her damit. Was geht auch die Zeit! Aber das Geranium
hat nicht rot blühen können, wenn's dir auch lieber gewesen wäre, weil du
das Rote gern hast. Es hat nichts anderes ans ihm heraus können, als was
in ihm gewesen ist."


Grenzboten III 1912 47


Die Blumen des Florentin Uley
Margarete ZVindthorst Novelle von(Schluß)

Das Wieschen war nicht tot. Für die, die vom einen Leben ausscheiden,
geht das andere, das rechte Leben erst an. Man sagt es — glaubt es —
vielen ist es nicht gewiß. Wieschen war gläubig. Ihr stiller starker Glaube
an ihr neues Leben gab ihr die Kraft, mit festen Schritten ihre leere Kammer
zu durchmessen. Sie wischte den Staub von der Fußleiste, wo die Kommode
gestanden hatte und sah sich um, ob sie nichts vergessen hatte, um Ordnung
zurück zu lassen, wenn sie morgen ging. Und sie lächelte, als sie das
Geranium fand.

Sie nahm es auf die Hand und trug es in die Gärtnerei hinunter, wo
der Florentin bei seiner Arbeit war. Sie kam auf diesem Wege an der Aschen¬
grube vorbei, ein zerbrochenes Blumenglas war jüngst hinein gebracht, ein
paar Scherben waren vorbei getroffen, und Wieschen rührte mit dem Fuß daran.
Sie nahm sie auf und legte sie so, als wolle sie die Form des Glases noch
mal zusammen bringen, stieß sie aber wieder auseinander und ging mit gehobenem
Kopf in die Gärtnerei.

Als der Florentin sie sah, fragte er mürrisch: „Was soll's noch sein?"
Er dehnte die Glieder, als habe die Last der Kommode ihn gedrückt und er
kranke noch daran. Seine Stimmung war verdrießlich, und er fragte wie eben:
„Was soll's mit der Gratulationsblume auf einen Tag wie heute?"

„Damit soll es nichts," antwortete Wieschen ruhig. „Ich wollte sie dir
bloß heimbringen, darum komme ich eben." Sie bedachte sich. „Ich komme
auch, um dir Lebewohl zu sagen, Florin."

„Die Blume ist nicht meine, ich habe die weißen nicht," redete er verdreht.

„Sie ist doch deine," sagte Wieschen bestimmt, und ihr Gesicht leuchtete.
„Hast dich eben verkannt in der Blume, es ist nicht schlimm darum, es kann
doch immer kommen, daß man sich in was verkennt. Hast mir das Geranium
geschenkt zu Sommers Anfang — wann ist es gewesen? Weißt es noch? Nicht
einmal lange ist her damit. Was geht auch die Zeit! Aber das Geranium
hat nicht rot blühen können, wenn's dir auch lieber gewesen wäre, weil du
das Rote gern hast. Es hat nichts anderes ans ihm heraus können, als was
in ihm gewesen ist."


Grenzboten III 1912 47
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[0377] [Abbildung] Die Blumen des Florentin Uley Margarete ZVindthorst Novelle von(Schluß) Das Wieschen war nicht tot. Für die, die vom einen Leben ausscheiden, geht das andere, das rechte Leben erst an. Man sagt es — glaubt es — vielen ist es nicht gewiß. Wieschen war gläubig. Ihr stiller starker Glaube an ihr neues Leben gab ihr die Kraft, mit festen Schritten ihre leere Kammer zu durchmessen. Sie wischte den Staub von der Fußleiste, wo die Kommode gestanden hatte und sah sich um, ob sie nichts vergessen hatte, um Ordnung zurück zu lassen, wenn sie morgen ging. Und sie lächelte, als sie das Geranium fand. Sie nahm es auf die Hand und trug es in die Gärtnerei hinunter, wo der Florentin bei seiner Arbeit war. Sie kam auf diesem Wege an der Aschen¬ grube vorbei, ein zerbrochenes Blumenglas war jüngst hinein gebracht, ein paar Scherben waren vorbei getroffen, und Wieschen rührte mit dem Fuß daran. Sie nahm sie auf und legte sie so, als wolle sie die Form des Glases noch mal zusammen bringen, stieß sie aber wieder auseinander und ging mit gehobenem Kopf in die Gärtnerei. Als der Florentin sie sah, fragte er mürrisch: „Was soll's noch sein?" Er dehnte die Glieder, als habe die Last der Kommode ihn gedrückt und er kranke noch daran. Seine Stimmung war verdrießlich, und er fragte wie eben: „Was soll's mit der Gratulationsblume auf einen Tag wie heute?" „Damit soll es nichts," antwortete Wieschen ruhig. „Ich wollte sie dir bloß heimbringen, darum komme ich eben." Sie bedachte sich. „Ich komme auch, um dir Lebewohl zu sagen, Florin." „Die Blume ist nicht meine, ich habe die weißen nicht," redete er verdreht. „Sie ist doch deine," sagte Wieschen bestimmt, und ihr Gesicht leuchtete. „Hast dich eben verkannt in der Blume, es ist nicht schlimm darum, es kann doch immer kommen, daß man sich in was verkennt. Hast mir das Geranium geschenkt zu Sommers Anfang — wann ist es gewesen? Weißt es noch? Nicht einmal lange ist her damit. Was geht auch die Zeit! Aber das Geranium hat nicht rot blühen können, wenn's dir auch lieber gewesen wäre, weil du das Rote gern hast. Es hat nichts anderes ans ihm heraus können, als was in ihm gewesen ist." Grenzboten III 1912 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/377>, abgerufen am 29.06.2024.