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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

zu bieten, zum Beispiel für die günstige Lage der Gegend von Lippe oder die
ungünstige der Pfalz oder der Slawen, oder für die Häufigkeit von Körper¬
verletzungen in Süddeutschland und deren Seltenheit in Sachsen. Jene auf das
Schuldkonto der Kirche zu setzen und diese der Sozialdemokratie als Verdienst
anrechnen zu wollen, beweist eine außerordentliche Naivetät und völlige Un¬
wissenheit auf dem Gebiete der Moralstatistik. Wie die Sozialdemokratie auf
die Häufigkeit der Ehescheidungen und andere moralstatistische Erscheinungen
durch ihre sittlichen Anschauungen einwirkt, die hier den christlichen völlig wider¬
sprechen, soll hier unerörtert bleiben.

Die Fabel von der Minderung der Straffälligkeit durch die Sozialdemokratie
sollte endlich zum alten Eisen geworfen werden. Der statistische Beweis, daß
die Sozialdemokratie einen vollwertigen Ersatz für die ethischen Wirkungen der
Religion zu bieten vermöge, ist nicht zu erbringen, und Volk und Staat wird
gut tun, auf die Arbeit der Kirche auch ferner Gewicht zu legen. Religion ist
nicht bloß eine Privatsache, ihre Pflege darf nicht dem Zufall überlassen werden;
sondern sie ist und bleibt Grundlage aller Volkswohlfahrt, also eine öffentliche
Angelegenheit von höchster Bedeutung, ein Kulturfaktor, dessen Verkümmerung
eine Verstümmelung und Gefährdung der gesamten Kultur zur Folge haben müßte.




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Die Blumen des Florentin Uley
Margarete Windthorst Novelle von VII.

Der Florentin trat ein und fand sie so. Er legte mit hastigem Griff
seinen Hut auf die Tischecke, maß den Raum aber zu kurz ab, und der Hut
entfiel seiner Hand. Es kümmerte ihn nicht. Er war hochrot im Gesicht, mit
verwirrtem Haar und vorstehenden glänzenden Augen und kam mit solchen
Schritten wie jäh aufgesprungen und weggerannt von einem Platze, wo man
ihn hatte halten wollen.

"Jetzt bin ich da," sagte er, als wolle er das Wieschen aus aller Er¬
starrung wecken, und war mit einem letzten Schritt bei ihr, faßte und hielt sie,
aber sie wehrte sich, und wie er ihre Hüften umspannte und sie an sich zog,
behielt sie den Arm frei. Sie war von seiner Hand geweckt und lebendig
geworden, aber anders als er sie haben wollte.

"Laß mich los," drohte sie mit gehobener Stimme, eine feine Kühle war
in ihrem Atem, die ihn fremd anwehte, daß es ihm einen Augenblick klar und
nüchtern im Kopf wurde.


Die Blumen des Florentin Kiep

zu bieten, zum Beispiel für die günstige Lage der Gegend von Lippe oder die
ungünstige der Pfalz oder der Slawen, oder für die Häufigkeit von Körper¬
verletzungen in Süddeutschland und deren Seltenheit in Sachsen. Jene auf das
Schuldkonto der Kirche zu setzen und diese der Sozialdemokratie als Verdienst
anrechnen zu wollen, beweist eine außerordentliche Naivetät und völlige Un¬
wissenheit auf dem Gebiete der Moralstatistik. Wie die Sozialdemokratie auf
die Häufigkeit der Ehescheidungen und andere moralstatistische Erscheinungen
durch ihre sittlichen Anschauungen einwirkt, die hier den christlichen völlig wider¬
sprechen, soll hier unerörtert bleiben.

Die Fabel von der Minderung der Straffälligkeit durch die Sozialdemokratie
sollte endlich zum alten Eisen geworfen werden. Der statistische Beweis, daß
die Sozialdemokratie einen vollwertigen Ersatz für die ethischen Wirkungen der
Religion zu bieten vermöge, ist nicht zu erbringen, und Volk und Staat wird
gut tun, auf die Arbeit der Kirche auch ferner Gewicht zu legen. Religion ist
nicht bloß eine Privatsache, ihre Pflege darf nicht dem Zufall überlassen werden;
sondern sie ist und bleibt Grundlage aller Volkswohlfahrt, also eine öffentliche
Angelegenheit von höchster Bedeutung, ein Kulturfaktor, dessen Verkümmerung
eine Verstümmelung und Gefährdung der gesamten Kultur zur Folge haben müßte.




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Die Blumen des Florentin Uley
Margarete Windthorst Novelle von VII.

Der Florentin trat ein und fand sie so. Er legte mit hastigem Griff
seinen Hut auf die Tischecke, maß den Raum aber zu kurz ab, und der Hut
entfiel seiner Hand. Es kümmerte ihn nicht. Er war hochrot im Gesicht, mit
verwirrtem Haar und vorstehenden glänzenden Augen und kam mit solchen
Schritten wie jäh aufgesprungen und weggerannt von einem Platze, wo man
ihn hatte halten wollen.

„Jetzt bin ich da," sagte er, als wolle er das Wieschen aus aller Er¬
starrung wecken, und war mit einem letzten Schritt bei ihr, faßte und hielt sie,
aber sie wehrte sich, und wie er ihre Hüften umspannte und sie an sich zog,
behielt sie den Arm frei. Sie war von seiner Hand geweckt und lebendig
geworden, aber anders als er sie haben wollte.

„Laß mich los," drohte sie mit gehobener Stimme, eine feine Kühle war
in ihrem Atem, die ihn fremd anwehte, daß es ihm einen Augenblick klar und
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[0328] Die Blumen des Florentin Kiep zu bieten, zum Beispiel für die günstige Lage der Gegend von Lippe oder die ungünstige der Pfalz oder der Slawen, oder für die Häufigkeit von Körper¬ verletzungen in Süddeutschland und deren Seltenheit in Sachsen. Jene auf das Schuldkonto der Kirche zu setzen und diese der Sozialdemokratie als Verdienst anrechnen zu wollen, beweist eine außerordentliche Naivetät und völlige Un¬ wissenheit auf dem Gebiete der Moralstatistik. Wie die Sozialdemokratie auf die Häufigkeit der Ehescheidungen und andere moralstatistische Erscheinungen durch ihre sittlichen Anschauungen einwirkt, die hier den christlichen völlig wider¬ sprechen, soll hier unerörtert bleiben. Die Fabel von der Minderung der Straffälligkeit durch die Sozialdemokratie sollte endlich zum alten Eisen geworfen werden. Der statistische Beweis, daß die Sozialdemokratie einen vollwertigen Ersatz für die ethischen Wirkungen der Religion zu bieten vermöge, ist nicht zu erbringen, und Volk und Staat wird gut tun, auf die Arbeit der Kirche auch ferner Gewicht zu legen. Religion ist nicht bloß eine Privatsache, ihre Pflege darf nicht dem Zufall überlassen werden; sondern sie ist und bleibt Grundlage aller Volkswohlfahrt, also eine öffentliche Angelegenheit von höchster Bedeutung, ein Kulturfaktor, dessen Verkümmerung eine Verstümmelung und Gefährdung der gesamten Kultur zur Folge haben müßte. ^ 4 27 3 61 58 92 34 55 28 32 21 ^ 42 73 34 62 59 23 38 41 24 70 72 39 36 42 37 68 71 26 70 46 63 33 7 22 18 61 26 64 46 66 99 23 23 6 13 25 62 44 52 64 57 89 143 57 72 74 18 27 40 Die Blumen des Florentin Uley Margarete Windthorst Novelle von VII. Der Florentin trat ein und fand sie so. Er legte mit hastigem Griff seinen Hut auf die Tischecke, maß den Raum aber zu kurz ab, und der Hut entfiel seiner Hand. Es kümmerte ihn nicht. Er war hochrot im Gesicht, mit verwirrtem Haar und vorstehenden glänzenden Augen und kam mit solchen Schritten wie jäh aufgesprungen und weggerannt von einem Platze, wo man ihn hatte halten wollen. „Jetzt bin ich da," sagte er, als wolle er das Wieschen aus aller Er¬ starrung wecken, und war mit einem letzten Schritt bei ihr, faßte und hielt sie, aber sie wehrte sich, und wie er ihre Hüften umspannte und sie an sich zog, behielt sie den Arm frei. Sie war von seiner Hand geweckt und lebendig geworden, aber anders als er sie haben wollte. „Laß mich los," drohte sie mit gehobener Stimme, eine feine Kühle war in ihrem Atem, die ihn fremd anwehte, daß es ihm einen Augenblick klar und nüchtern im Kopf wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/328>, abgerufen am 29.06.2024.