Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blumen des Florentin Kiep

Sie solle nun nicht wieder mit den alten Geschichten kommen, mit dem
ewigen Unsinn, sagte er. Sie sei sein Mädchen, seines, in Himmel und Welt
nur seines! Je toller sich eben die Regime um ihn gedreht habe, je wilder
habe er nur an sein Wieschen gedacht. Die Unruhe habe ihn hin und her
auf dem Stuhle gerückt, wie ihn die Regime habe festleimen wollen mit Trunk
um Trunk.

"Ja," antwortete Wieschen, "und hast auch getrunken." Ein steigender
Ekel war in dem Wort, sie legte den Kopf mehr zurück, um seinen Atem
nicht zu bekommen.

Er sprach weiter auf sie ein, und sie hörte ihn an. Sie verargte ihm
nichts, hatte gewußt, daß er noch trinken würde, und daß er die Glut, die er
in sich hatte, auch über sein Mädchen bringen wollte -- sie hatte das alles
erwartet und gewußt und es aus Liebe für ihn dulden wollen -- aber der
Ekel vor allem, was er mit sich brachte, faßte sie so an, daß sie wie geschüttelt
stand und wach wurde aus dem Rausch aller letzten Zeit.

"Laß mich los!" befahl sie mit einer Stimme, so schneidend, als wolle
sie damit durchschneiden, was zwischen ihr und dem Burschen bestand.

Als er sie nicht ließ, nahm sie sich zu der Kraft auf, von welcher der
Bursche wußte, und um die er sich wunderte, daß sie in ihren feinen Händen
war, ihr ganzer Körper wuchs in dieser Kraft. Die Kraft wurde größer, als
ihre Liebe je gewesen war. Einmal schien es, als wäre die Mannesstärke in
dem Burschen sieghafter und er überwände das Mädchen, doch sie hatte die
Hände frei, streckte die rechte, sie mußte mit dem Arm eine Bewegung rückwärts
gemacht haben, stieß an eine der Vasen, die mit Blumen gefüllt auf dem
Fensterbrett standen und riß sie nieder. Das Glas zersprang mit einem feinen
Klingen und überschüttete die Dielen.

Es war aber noch etwas anderes in die Stube gefallen, die Hand
des Mädchens über des Florentin Gesicht. Er taumelte zurück und trat
auf welche von den Glasscherben. Wieschen faßte sich mit der Hand, womit
sie ihn geschlagen hatte, an die Stirn und besann sich. Sie hörte das
Knacken und Klingen des Glases unter seinen Füßen, da fiel ihr ein, daß etwas
zerbrochen sei, mit einem einzigen Schlage niedergerissen, das würde kein Leim
und keine Liebe je wieder zusammen treiben.

Wieschen ließ die Hand von der Stirn, stützte sich am Tisch und ging
still an dem Burschen vorbei. Er stand wie jäh und ganz ernüchtert, nur mit
Fäusten, als wolle er den Schlag dem Mädchen rächen. Sie ließ ihn ruhig
an sich kommen und war so groß und kühl, daß dem Burschen die Fäuste an
den Seiten niederfielen. Sie nahm ihr Tuch, welches ihr abgeglitten war, neu
über den Arm und sah, daß sie in aller Zeit den Schlüssel zu ihrer Kammer
in der einen Hand gehalten hatte. Da kam ein Freudeschimmer über ihr Gesicht.

"Der Ring," sagte sie, mit dem Schlüssel auf den Tisch zeigend. "Magst
ihn einer andern bringen, Florentin, er ist mir zu weit gewesen."


Grenzboten III 1912 41
Die Blumen des Florentin Kiep

Sie solle nun nicht wieder mit den alten Geschichten kommen, mit dem
ewigen Unsinn, sagte er. Sie sei sein Mädchen, seines, in Himmel und Welt
nur seines! Je toller sich eben die Regime um ihn gedreht habe, je wilder
habe er nur an sein Wieschen gedacht. Die Unruhe habe ihn hin und her
auf dem Stuhle gerückt, wie ihn die Regime habe festleimen wollen mit Trunk
um Trunk.

„Ja," antwortete Wieschen, „und hast auch getrunken." Ein steigender
Ekel war in dem Wort, sie legte den Kopf mehr zurück, um seinen Atem
nicht zu bekommen.

Er sprach weiter auf sie ein, und sie hörte ihn an. Sie verargte ihm
nichts, hatte gewußt, daß er noch trinken würde, und daß er die Glut, die er
in sich hatte, auch über sein Mädchen bringen wollte — sie hatte das alles
erwartet und gewußt und es aus Liebe für ihn dulden wollen — aber der
Ekel vor allem, was er mit sich brachte, faßte sie so an, daß sie wie geschüttelt
stand und wach wurde aus dem Rausch aller letzten Zeit.

„Laß mich los!" befahl sie mit einer Stimme, so schneidend, als wolle
sie damit durchschneiden, was zwischen ihr und dem Burschen bestand.

Als er sie nicht ließ, nahm sie sich zu der Kraft auf, von welcher der
Bursche wußte, und um die er sich wunderte, daß sie in ihren feinen Händen
war, ihr ganzer Körper wuchs in dieser Kraft. Die Kraft wurde größer, als
ihre Liebe je gewesen war. Einmal schien es, als wäre die Mannesstärke in
dem Burschen sieghafter und er überwände das Mädchen, doch sie hatte die
Hände frei, streckte die rechte, sie mußte mit dem Arm eine Bewegung rückwärts
gemacht haben, stieß an eine der Vasen, die mit Blumen gefüllt auf dem
Fensterbrett standen und riß sie nieder. Das Glas zersprang mit einem feinen
Klingen und überschüttete die Dielen.

Es war aber noch etwas anderes in die Stube gefallen, die Hand
des Mädchens über des Florentin Gesicht. Er taumelte zurück und trat
auf welche von den Glasscherben. Wieschen faßte sich mit der Hand, womit
sie ihn geschlagen hatte, an die Stirn und besann sich. Sie hörte das
Knacken und Klingen des Glases unter seinen Füßen, da fiel ihr ein, daß etwas
zerbrochen sei, mit einem einzigen Schlage niedergerissen, das würde kein Leim
und keine Liebe je wieder zusammen treiben.

Wieschen ließ die Hand von der Stirn, stützte sich am Tisch und ging
still an dem Burschen vorbei. Er stand wie jäh und ganz ernüchtert, nur mit
Fäusten, als wolle er den Schlag dem Mädchen rächen. Sie ließ ihn ruhig
an sich kommen und war so groß und kühl, daß dem Burschen die Fäuste an
den Seiten niederfielen. Sie nahm ihr Tuch, welches ihr abgeglitten war, neu
über den Arm und sah, daß sie in aller Zeit den Schlüssel zu ihrer Kammer
in der einen Hand gehalten hatte. Da kam ein Freudeschimmer über ihr Gesicht.

„Der Ring," sagte sie, mit dem Schlüssel auf den Tisch zeigend. „Magst
ihn einer andern bringen, Florentin, er ist mir zu weit gewesen."


Grenzboten III 1912 41
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322076"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Kiep</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1391"> Sie solle nun nicht wieder mit den alten Geschichten kommen, mit dem<lb/>
ewigen Unsinn, sagte er. Sie sei sein Mädchen, seines, in Himmel und Welt<lb/>
nur seines! Je toller sich eben die Regime um ihn gedreht habe, je wilder<lb/>
habe er nur an sein Wieschen gedacht. Die Unruhe habe ihn hin und her<lb/>
auf dem Stuhle gerückt, wie ihn die Regime habe festleimen wollen mit Trunk<lb/>
um Trunk.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1392"> &#x201E;Ja," antwortete Wieschen, &#x201E;und hast auch getrunken." Ein steigender<lb/>
Ekel war in dem Wort, sie legte den Kopf mehr zurück, um seinen Atem<lb/>
nicht zu bekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1393"> Er sprach weiter auf sie ein, und sie hörte ihn an. Sie verargte ihm<lb/>
nichts, hatte gewußt, daß er noch trinken würde, und daß er die Glut, die er<lb/>
in sich hatte, auch über sein Mädchen bringen wollte &#x2014; sie hatte das alles<lb/>
erwartet und gewußt und es aus Liebe für ihn dulden wollen &#x2014; aber der<lb/>
Ekel vor allem, was er mit sich brachte, faßte sie so an, daß sie wie geschüttelt<lb/>
stand und wach wurde aus dem Rausch aller letzten Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1394"> &#x201E;Laß mich los!" befahl sie mit einer Stimme, so schneidend, als wolle<lb/>
sie damit durchschneiden, was zwischen ihr und dem Burschen bestand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1395"> Als er sie nicht ließ, nahm sie sich zu der Kraft auf, von welcher der<lb/>
Bursche wußte, und um die er sich wunderte, daß sie in ihren feinen Händen<lb/>
war, ihr ganzer Körper wuchs in dieser Kraft. Die Kraft wurde größer, als<lb/>
ihre Liebe je gewesen war. Einmal schien es, als wäre die Mannesstärke in<lb/>
dem Burschen sieghafter und er überwände das Mädchen, doch sie hatte die<lb/>
Hände frei, streckte die rechte, sie mußte mit dem Arm eine Bewegung rückwärts<lb/>
gemacht haben, stieß an eine der Vasen, die mit Blumen gefüllt auf dem<lb/>
Fensterbrett standen und riß sie nieder. Das Glas zersprang mit einem feinen<lb/>
Klingen und überschüttete die Dielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1396"> Es war aber noch etwas anderes in die Stube gefallen, die Hand<lb/>
des Mädchens über des Florentin Gesicht. Er taumelte zurück und trat<lb/>
auf welche von den Glasscherben. Wieschen faßte sich mit der Hand, womit<lb/>
sie ihn geschlagen hatte, an die Stirn und besann sich. Sie hörte das<lb/>
Knacken und Klingen des Glases unter seinen Füßen, da fiel ihr ein, daß etwas<lb/>
zerbrochen sei, mit einem einzigen Schlage niedergerissen, das würde kein Leim<lb/>
und keine Liebe je wieder zusammen treiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1397"> Wieschen ließ die Hand von der Stirn, stützte sich am Tisch und ging<lb/>
still an dem Burschen vorbei. Er stand wie jäh und ganz ernüchtert, nur mit<lb/>
Fäusten, als wolle er den Schlag dem Mädchen rächen. Sie ließ ihn ruhig<lb/>
an sich kommen und war so groß und kühl, daß dem Burschen die Fäuste an<lb/>
den Seiten niederfielen. Sie nahm ihr Tuch, welches ihr abgeglitten war, neu<lb/>
über den Arm und sah, daß sie in aller Zeit den Schlüssel zu ihrer Kammer<lb/>
in der einen Hand gehalten hatte. Da kam ein Freudeschimmer über ihr Gesicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1398"> &#x201E;Der Ring," sagte sie, mit dem Schlüssel auf den Tisch zeigend. &#x201E;Magst<lb/>
ihn einer andern bringen, Florentin, er ist mir zu weit gewesen."</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1912 41</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Die Blumen des Florentin Kiep Sie solle nun nicht wieder mit den alten Geschichten kommen, mit dem ewigen Unsinn, sagte er. Sie sei sein Mädchen, seines, in Himmel und Welt nur seines! Je toller sich eben die Regime um ihn gedreht habe, je wilder habe er nur an sein Wieschen gedacht. Die Unruhe habe ihn hin und her auf dem Stuhle gerückt, wie ihn die Regime habe festleimen wollen mit Trunk um Trunk. „Ja," antwortete Wieschen, „und hast auch getrunken." Ein steigender Ekel war in dem Wort, sie legte den Kopf mehr zurück, um seinen Atem nicht zu bekommen. Er sprach weiter auf sie ein, und sie hörte ihn an. Sie verargte ihm nichts, hatte gewußt, daß er noch trinken würde, und daß er die Glut, die er in sich hatte, auch über sein Mädchen bringen wollte — sie hatte das alles erwartet und gewußt und es aus Liebe für ihn dulden wollen — aber der Ekel vor allem, was er mit sich brachte, faßte sie so an, daß sie wie geschüttelt stand und wach wurde aus dem Rausch aller letzten Zeit. „Laß mich los!" befahl sie mit einer Stimme, so schneidend, als wolle sie damit durchschneiden, was zwischen ihr und dem Burschen bestand. Als er sie nicht ließ, nahm sie sich zu der Kraft auf, von welcher der Bursche wußte, und um die er sich wunderte, daß sie in ihren feinen Händen war, ihr ganzer Körper wuchs in dieser Kraft. Die Kraft wurde größer, als ihre Liebe je gewesen war. Einmal schien es, als wäre die Mannesstärke in dem Burschen sieghafter und er überwände das Mädchen, doch sie hatte die Hände frei, streckte die rechte, sie mußte mit dem Arm eine Bewegung rückwärts gemacht haben, stieß an eine der Vasen, die mit Blumen gefüllt auf dem Fensterbrett standen und riß sie nieder. Das Glas zersprang mit einem feinen Klingen und überschüttete die Dielen. Es war aber noch etwas anderes in die Stube gefallen, die Hand des Mädchens über des Florentin Gesicht. Er taumelte zurück und trat auf welche von den Glasscherben. Wieschen faßte sich mit der Hand, womit sie ihn geschlagen hatte, an die Stirn und besann sich. Sie hörte das Knacken und Klingen des Glases unter seinen Füßen, da fiel ihr ein, daß etwas zerbrochen sei, mit einem einzigen Schlage niedergerissen, das würde kein Leim und keine Liebe je wieder zusammen treiben. Wieschen ließ die Hand von der Stirn, stützte sich am Tisch und ging still an dem Burschen vorbei. Er stand wie jäh und ganz ernüchtert, nur mit Fäusten, als wolle er den Schlag dem Mädchen rächen. Sie ließ ihn ruhig an sich kommen und war so groß und kühl, daß dem Burschen die Fäuste an den Seiten niederfielen. Sie nahm ihr Tuch, welches ihr abgeglitten war, neu über den Arm und sah, daß sie in aller Zeit den Schlüssel zu ihrer Kammer in der einen Hand gehalten hatte. Da kam ein Freudeschimmer über ihr Gesicht. „Der Ring," sagte sie, mit dem Schlüssel auf den Tisch zeigend. „Magst ihn einer andern bringen, Florentin, er ist mir zu weit gewesen." Grenzboten III 1912 41

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/329>, abgerufen am 01.07.2024.