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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Bayern und das Reich

Während das bayerische Heer an der Seite der übrigen deutschen Kontingente,
mit gleicher Tapferkeit und Bravour wie sie, im Sommer 1870 für Deutschlands
Einheit auf den französischen Schlachtfeldern kämpfte, zerbrachen sich die bayerische
Regierung und die bayerische Diplomatie den Kopf über die zukünftige politische
und staatsrechtliche Stellung Bayerns. Zehn Tage nach dem Falle von Sedan
vertrat Graf Bray, der damalige bayerische Ministerpräsident, in einer an den König
Ludwig den Zweiten gerichteten Denkschrift noch den Standpunkt, daß Preuszcn den
bestehenden Bund fallen lassen müsse, falls Bayern in einen neuen Bund eintreten solle.
"Aber auch dann -- heißt es in der Denkschrift -- müßten die Bedingungen
reiflich erwogen werden, unter welchen der Beitritt zuzugestehen wäre, und es
würde von der Konstituierung des Bundes abhängen, ob und in welchem Maße
für den nächst Preußen größten Staat eine Sonder- und Ausnahmestellung zu
vindizieren wäre." Die langen und schwierigen offiziellen und inoffiziellen Ver¬
handlungen mit den bayerischen Staatsmännern, die schließlich zu dem Vertrage
vom 28. November 1870 und damit zu den Eintritt Bayerns in den nord¬
deutschen Bund führten, sind kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Reichs-
gründung. Mehr als einmal spitzten sich in den Herbstmonaten 1870 die Dinge
in einer Weise zu, daß in eingeweihten Kreisen zeitweilig mit der Unmöglichkeit
der Verwirklichung des Reichsgedankens gerechnet wurde. Dieses Schlimmste
wandte Bismarck ab; mit unvergleichlicher Langmut und Nachsicht nahm er
Stellung zu den Forderungen des Grafen Bray, die schlechtverhaltene Selbstsucht,
unangebrachter Ehrgeiz und nicht zu übertreffende partikularistische Gesinnung
diktiert hatten. Man hat es Bismarck in manchen Kreisen verarge, daß er Bayerns
Großmachtsregungen nachgab und ihm Sonder- und Vorrechte zugestand, die zwar
lange nicht soweit gingen wie Graf Bray, der von einer Gleichstellung Bayerns
mit Preußen im neuen Bunde träumte, es gehofft, die aber doch eine unverkenn¬
bare Ausnahmestellung des größten süddeutschen Staates herbeiführten und so von
vornherein auf das helle Licht der kaum gewonnenen nationalen Einheit dunkle
Schatten warfen. So weitgehende Zugeständnisse zu machen, wie er es tat, ist
Bismarck entschieden schwer genug gefallen, aber wie kaum ein anderer verstand
er mit dem Historisch-Gewordenen zu rechnen. In Bayerns Geschichte aber, die
mehr als einmal eine Wendung nahm, durch die bei geschickter Ausnutzung der




Reichsspiegel
Bayern und das Reich

Während das bayerische Heer an der Seite der übrigen deutschen Kontingente,
mit gleicher Tapferkeit und Bravour wie sie, im Sommer 1870 für Deutschlands
Einheit auf den französischen Schlachtfeldern kämpfte, zerbrachen sich die bayerische
Regierung und die bayerische Diplomatie den Kopf über die zukünftige politische
und staatsrechtliche Stellung Bayerns. Zehn Tage nach dem Falle von Sedan
vertrat Graf Bray, der damalige bayerische Ministerpräsident, in einer an den König
Ludwig den Zweiten gerichteten Denkschrift noch den Standpunkt, daß Preuszcn den
bestehenden Bund fallen lassen müsse, falls Bayern in einen neuen Bund eintreten solle.
„Aber auch dann — heißt es in der Denkschrift — müßten die Bedingungen
reiflich erwogen werden, unter welchen der Beitritt zuzugestehen wäre, und es
würde von der Konstituierung des Bundes abhängen, ob und in welchem Maße
für den nächst Preußen größten Staat eine Sonder- und Ausnahmestellung zu
vindizieren wäre." Die langen und schwierigen offiziellen und inoffiziellen Ver¬
handlungen mit den bayerischen Staatsmännern, die schließlich zu dem Vertrage
vom 28. November 1870 und damit zu den Eintritt Bayerns in den nord¬
deutschen Bund führten, sind kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Reichs-
gründung. Mehr als einmal spitzten sich in den Herbstmonaten 1870 die Dinge
in einer Weise zu, daß in eingeweihten Kreisen zeitweilig mit der Unmöglichkeit
der Verwirklichung des Reichsgedankens gerechnet wurde. Dieses Schlimmste
wandte Bismarck ab; mit unvergleichlicher Langmut und Nachsicht nahm er
Stellung zu den Forderungen des Grafen Bray, die schlechtverhaltene Selbstsucht,
unangebrachter Ehrgeiz und nicht zu übertreffende partikularistische Gesinnung
diktiert hatten. Man hat es Bismarck in manchen Kreisen verarge, daß er Bayerns
Großmachtsregungen nachgab und ihm Sonder- und Vorrechte zugestand, die zwar
lange nicht soweit gingen wie Graf Bray, der von einer Gleichstellung Bayerns
mit Preußen im neuen Bunde träumte, es gehofft, die aber doch eine unverkenn¬
bare Ausnahmestellung des größten süddeutschen Staates herbeiführten und so von
vornherein auf das helle Licht der kaum gewonnenen nationalen Einheit dunkle
Schatten warfen. So weitgehende Zugeständnisse zu machen, wie er es tat, ist
Bismarck entschieden schwer genug gefallen, aber wie kaum ein anderer verstand
er mit dem Historisch-Gewordenen zu rechnen. In Bayerns Geschichte aber, die
mehr als einmal eine Wendung nahm, durch die bei geschickter Ausnutzung der


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[0297] [Abbildung] Reichsspiegel Bayern und das Reich Während das bayerische Heer an der Seite der übrigen deutschen Kontingente, mit gleicher Tapferkeit und Bravour wie sie, im Sommer 1870 für Deutschlands Einheit auf den französischen Schlachtfeldern kämpfte, zerbrachen sich die bayerische Regierung und die bayerische Diplomatie den Kopf über die zukünftige politische und staatsrechtliche Stellung Bayerns. Zehn Tage nach dem Falle von Sedan vertrat Graf Bray, der damalige bayerische Ministerpräsident, in einer an den König Ludwig den Zweiten gerichteten Denkschrift noch den Standpunkt, daß Preuszcn den bestehenden Bund fallen lassen müsse, falls Bayern in einen neuen Bund eintreten solle. „Aber auch dann — heißt es in der Denkschrift — müßten die Bedingungen reiflich erwogen werden, unter welchen der Beitritt zuzugestehen wäre, und es würde von der Konstituierung des Bundes abhängen, ob und in welchem Maße für den nächst Preußen größten Staat eine Sonder- und Ausnahmestellung zu vindizieren wäre." Die langen und schwierigen offiziellen und inoffiziellen Ver¬ handlungen mit den bayerischen Staatsmännern, die schließlich zu dem Vertrage vom 28. November 1870 und damit zu den Eintritt Bayerns in den nord¬ deutschen Bund führten, sind kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Reichs- gründung. Mehr als einmal spitzten sich in den Herbstmonaten 1870 die Dinge in einer Weise zu, daß in eingeweihten Kreisen zeitweilig mit der Unmöglichkeit der Verwirklichung des Reichsgedankens gerechnet wurde. Dieses Schlimmste wandte Bismarck ab; mit unvergleichlicher Langmut und Nachsicht nahm er Stellung zu den Forderungen des Grafen Bray, die schlechtverhaltene Selbstsucht, unangebrachter Ehrgeiz und nicht zu übertreffende partikularistische Gesinnung diktiert hatten. Man hat es Bismarck in manchen Kreisen verarge, daß er Bayerns Großmachtsregungen nachgab und ihm Sonder- und Vorrechte zugestand, die zwar lange nicht soweit gingen wie Graf Bray, der von einer Gleichstellung Bayerns mit Preußen im neuen Bunde träumte, es gehofft, die aber doch eine unverkenn¬ bare Ausnahmestellung des größten süddeutschen Staates herbeiführten und so von vornherein auf das helle Licht der kaum gewonnenen nationalen Einheit dunkle Schatten warfen. So weitgehende Zugeständnisse zu machen, wie er es tat, ist Bismarck entschieden schwer genug gefallen, aber wie kaum ein anderer verstand er mit dem Historisch-Gewordenen zu rechnen. In Bayerns Geschichte aber, die mehr als einmal eine Wendung nahm, durch die bei geschickter Ausnutzung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/297>, abgerufen am 29.06.2024.