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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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I>le Blumen des Florentin Kiep

ich es Ihnen gestehen, daß ich in dieser Abnahme des Verbrauches an Trink¬
branntwein einen so großen Vorteil für die Volkskraft und die Volksgesundheit,
einen so hohen Gewinn an ethischen Werten erblicken würde, daß alle finan¬
ziellen Wirkungen dagegen in den Hintergrund müssen." Zweifellos ist es
darum zu begrüßen, daß der Kampf gegen den Alkoholismus, gestützt auf ein
umfangreiches Beweismaterial, immer weitere Kreise zieht und von Tag zu Tag
bessere Erfolge zeitigt.




Die Blumen des Florentin Uley
Margarete ZVindthorst Novelle vonVI.

Dann war Kirmestag mit viel Lärm und Leben. Das Vieh stand zu
Haufen angefahren und wurde einzeln abgetrieben, der Wind bauschte die grauen
Laken der Buden auf, aber den größten Lärm machte doch das Vergnügen, das
Karussell. Es stand auf einem ebenen Rasen hinter der Nolterschlucht und
drehte sich zu den Walzern seiner eigenen Musik. Den ganzen Tag spielten
diese Melodien, und wenn sie einen Augenblick innehielten, so sang oder pfiff
einer auf der Straße sie nach, daß sie nie ganz schwiegen.

Wieschen hörte sie, sie schloß wohl das Fenster der Radstube, aber die
Melodien drangen durch Rillen und Ritzen, und Wieschen wurde krank davon
im Kopfe und wie taub von allem Hören. Sie nähte noch an ihrem Kleid
für den Abend; es wurde dann fertig und war aus neuem weißen Stoff, wie
es recht war für alle die Feier, auf die es sich freuen sollte. Aber es war
ohne Band und Schmuck und sah so totweiß aus, als warte es aufs Sterben.

Der Florentin trat einmal tags herein, besah und lobte das Kleid, er
merkte nicht, wie es falsch zugeschnitten und schlecht genäht war, er ließ sich
täuschen von dem Duft des Neuen, der aus den Falten stieg, dieser Duft
war wie ein Freudeversprechen, und der Florentin dachte nicht an Täuschung
und Lüge.

"Hast mich auch lieb?" fragte er sein Mädchen, und sie nickte mit ihrem
armen, kranken Kopf ein trauriges, aber festes Ja.

Als Jelde die beiden so zusammen sah und der Florentin dann hinaus
war, stieß sie das Mädchen mit dem Fuß an, wo sie auf ihrem Platze dem
Wieschen gegenüber saß, kicherte und rückte mit den Schultern hin und her.
sagte dann: ihr werde ganz eigen in dieser Zeit, wo so vom Freien die Rede
wäre, selber kriegte man zuletzt noch die Lust.


I>le Blumen des Florentin Kiep

ich es Ihnen gestehen, daß ich in dieser Abnahme des Verbrauches an Trink¬
branntwein einen so großen Vorteil für die Volkskraft und die Volksgesundheit,
einen so hohen Gewinn an ethischen Werten erblicken würde, daß alle finan¬
ziellen Wirkungen dagegen in den Hintergrund müssen." Zweifellos ist es
darum zu begrüßen, daß der Kampf gegen den Alkoholismus, gestützt auf ein
umfangreiches Beweismaterial, immer weitere Kreise zieht und von Tag zu Tag
bessere Erfolge zeitigt.




Die Blumen des Florentin Uley
Margarete ZVindthorst Novelle vonVI.

Dann war Kirmestag mit viel Lärm und Leben. Das Vieh stand zu
Haufen angefahren und wurde einzeln abgetrieben, der Wind bauschte die grauen
Laken der Buden auf, aber den größten Lärm machte doch das Vergnügen, das
Karussell. Es stand auf einem ebenen Rasen hinter der Nolterschlucht und
drehte sich zu den Walzern seiner eigenen Musik. Den ganzen Tag spielten
diese Melodien, und wenn sie einen Augenblick innehielten, so sang oder pfiff
einer auf der Straße sie nach, daß sie nie ganz schwiegen.

Wieschen hörte sie, sie schloß wohl das Fenster der Radstube, aber die
Melodien drangen durch Rillen und Ritzen, und Wieschen wurde krank davon
im Kopfe und wie taub von allem Hören. Sie nähte noch an ihrem Kleid
für den Abend; es wurde dann fertig und war aus neuem weißen Stoff, wie
es recht war für alle die Feier, auf die es sich freuen sollte. Aber es war
ohne Band und Schmuck und sah so totweiß aus, als warte es aufs Sterben.

Der Florentin trat einmal tags herein, besah und lobte das Kleid, er
merkte nicht, wie es falsch zugeschnitten und schlecht genäht war, er ließ sich
täuschen von dem Duft des Neuen, der aus den Falten stieg, dieser Duft
war wie ein Freudeversprechen, und der Florentin dachte nicht an Täuschung
und Lüge.

„Hast mich auch lieb?" fragte er sein Mädchen, und sie nickte mit ihrem
armen, kranken Kopf ein trauriges, aber festes Ja.

Als Jelde die beiden so zusammen sah und der Florentin dann hinaus
war, stieß sie das Mädchen mit dem Fuß an, wo sie auf ihrem Platze dem
Wieschen gegenüber saß, kicherte und rückte mit den Schultern hin und her.
sagte dann: ihr werde ganz eigen in dieser Zeit, wo so vom Freien die Rede
wäre, selber kriegte man zuletzt noch die Lust.


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[0283] I>le Blumen des Florentin Kiep ich es Ihnen gestehen, daß ich in dieser Abnahme des Verbrauches an Trink¬ branntwein einen so großen Vorteil für die Volkskraft und die Volksgesundheit, einen so hohen Gewinn an ethischen Werten erblicken würde, daß alle finan¬ ziellen Wirkungen dagegen in den Hintergrund müssen." Zweifellos ist es darum zu begrüßen, daß der Kampf gegen den Alkoholismus, gestützt auf ein umfangreiches Beweismaterial, immer weitere Kreise zieht und von Tag zu Tag bessere Erfolge zeitigt. Die Blumen des Florentin Uley Margarete ZVindthorst Novelle vonVI. Dann war Kirmestag mit viel Lärm und Leben. Das Vieh stand zu Haufen angefahren und wurde einzeln abgetrieben, der Wind bauschte die grauen Laken der Buden auf, aber den größten Lärm machte doch das Vergnügen, das Karussell. Es stand auf einem ebenen Rasen hinter der Nolterschlucht und drehte sich zu den Walzern seiner eigenen Musik. Den ganzen Tag spielten diese Melodien, und wenn sie einen Augenblick innehielten, so sang oder pfiff einer auf der Straße sie nach, daß sie nie ganz schwiegen. Wieschen hörte sie, sie schloß wohl das Fenster der Radstube, aber die Melodien drangen durch Rillen und Ritzen, und Wieschen wurde krank davon im Kopfe und wie taub von allem Hören. Sie nähte noch an ihrem Kleid für den Abend; es wurde dann fertig und war aus neuem weißen Stoff, wie es recht war für alle die Feier, auf die es sich freuen sollte. Aber es war ohne Band und Schmuck und sah so totweiß aus, als warte es aufs Sterben. Der Florentin trat einmal tags herein, besah und lobte das Kleid, er merkte nicht, wie es falsch zugeschnitten und schlecht genäht war, er ließ sich täuschen von dem Duft des Neuen, der aus den Falten stieg, dieser Duft war wie ein Freudeversprechen, und der Florentin dachte nicht an Täuschung und Lüge. „Hast mich auch lieb?" fragte er sein Mädchen, und sie nickte mit ihrem armen, kranken Kopf ein trauriges, aber festes Ja. Als Jelde die beiden so zusammen sah und der Florentin dann hinaus war, stieß sie das Mädchen mit dem Fuß an, wo sie auf ihrem Platze dem Wieschen gegenüber saß, kicherte und rückte mit den Schultern hin und her. sagte dann: ihr werde ganz eigen in dieser Zeit, wo so vom Freien die Rede wäre, selber kriegte man zuletzt noch die Lust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/283>, abgerufen am 29.06.2024.