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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Mainbrücke wäre wieder hochgezogen und die Entwicklung würde denen recht
geben, welche entsprechende Eindrücke bereits von dem Vertretertage mitnehmen
konnten. Daß sich auch im Hessenlande Anhänger des altnationalliberalen Ver¬
bandes finden, würde als Ausnahme jenen Regelfall nur bestätigen. Deshalb
muß man die Neugründung aufs tiefste beklagen, weil sie den erhofften Partei¬
frieden aufs neue zu stören und den Bestand ver Partei zu gefährden geeignet
ist. Und das zu einer Zeit, wo alle anderen großen Parteien, Konservative,
Ultramontane und Sozialdemokraten, unabhängig von den auch bei ihnen
bestehenden Streitigkeiten, jedenfalls die nämliche Taktik in Preußen wie im Reiche
befolgen. -- Mit diesen Aussichten für die nationalliberale Partei zu werben,
erschwert das Geschäft ungemein. Denn wer in diesen ernsten politischen Zeiten
Anschluß an eine Partei sucht, um sich selbst zu orientieren und an den öffent¬
lichen Angelegenheiten, die alle angehen, mitzuwirken, der wird nur nach einer
starken Hand greifen, die im Stande ist, ihn zu leiten. Niemand aber wird
jemanden zum Führer wählen, der selbst nicht weiß, wohin er will.




Die naturwissenschaftliche Weltanschauung
als Schöpferin der französischen Literatur
des neunzehnten Jahrhunderts
Dr, p. Hauck von
1. Der inkonsequente Positivismus in Theorie und Praxis
(Beule, Balzac, Auguste Comte und H. Tanne)

aß sich dauernde Fortschritte in der Entwicklung der Menschheit
nicht durch plötzlich eintretende Gewalt erzielen lassen, davon
bietet auch die französische Revolution ein Beispiel. Wie schnell
war der erste Siegestaumel verrauscht, und wie schnell begannen
die alten Zustände zurückzukehren! Die Monarchie löste gar
bald die Republik wieder ab, und die Abkehr von der Kirche fand im
Konkordat ein frühes Ende. Das Geistesleben des beginnenden Jahr¬
hunderts schritt sogar noch weit hinter das Jahr 1739 zurück. Nicht die
Aufklärungsphilosophie Voltaires, nicht der Materialismus Condillcics, nicht
Rousseaus romantisches Ideal von der Rückkehr zur Natur erhoben ihr
Haupt aus den Trümmerhaufen der Revolution; ein fremdländisches Gewächs
zeigte sich plötzlich dem erstaunten Blick und wucherte fast zwanzig Jahre
so üppig auf dem Brandland, daß die junge Saat nicht aufgehen konnte.


Mainbrücke wäre wieder hochgezogen und die Entwicklung würde denen recht
geben, welche entsprechende Eindrücke bereits von dem Vertretertage mitnehmen
konnten. Daß sich auch im Hessenlande Anhänger des altnationalliberalen Ver¬
bandes finden, würde als Ausnahme jenen Regelfall nur bestätigen. Deshalb
muß man die Neugründung aufs tiefste beklagen, weil sie den erhofften Partei¬
frieden aufs neue zu stören und den Bestand ver Partei zu gefährden geeignet
ist. Und das zu einer Zeit, wo alle anderen großen Parteien, Konservative,
Ultramontane und Sozialdemokraten, unabhängig von den auch bei ihnen
bestehenden Streitigkeiten, jedenfalls die nämliche Taktik in Preußen wie im Reiche
befolgen. — Mit diesen Aussichten für die nationalliberale Partei zu werben,
erschwert das Geschäft ungemein. Denn wer in diesen ernsten politischen Zeiten
Anschluß an eine Partei sucht, um sich selbst zu orientieren und an den öffent¬
lichen Angelegenheiten, die alle angehen, mitzuwirken, der wird nur nach einer
starken Hand greifen, die im Stande ist, ihn zu leiten. Niemand aber wird
jemanden zum Führer wählen, der selbst nicht weiß, wohin er will.




Die naturwissenschaftliche Weltanschauung
als Schöpferin der französischen Literatur
des neunzehnten Jahrhunderts
Dr, p. Hauck von
1. Der inkonsequente Positivismus in Theorie und Praxis
(Beule, Balzac, Auguste Comte und H. Tanne)

aß sich dauernde Fortschritte in der Entwicklung der Menschheit
nicht durch plötzlich eintretende Gewalt erzielen lassen, davon
bietet auch die französische Revolution ein Beispiel. Wie schnell
war der erste Siegestaumel verrauscht, und wie schnell begannen
die alten Zustände zurückzukehren! Die Monarchie löste gar
bald die Republik wieder ab, und die Abkehr von der Kirche fand im
Konkordat ein frühes Ende. Das Geistesleben des beginnenden Jahr¬
hunderts schritt sogar noch weit hinter das Jahr 1739 zurück. Nicht die
Aufklärungsphilosophie Voltaires, nicht der Materialismus Condillcics, nicht
Rousseaus romantisches Ideal von der Rückkehr zur Natur erhoben ihr
Haupt aus den Trümmerhaufen der Revolution; ein fremdländisches Gewächs
zeigte sich plötzlich dem erstaunten Blick und wucherte fast zwanzig Jahre
so üppig auf dem Brandland, daß die junge Saat nicht aufgehen konnte.


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[0022] Mainbrücke wäre wieder hochgezogen und die Entwicklung würde denen recht geben, welche entsprechende Eindrücke bereits von dem Vertretertage mitnehmen konnten. Daß sich auch im Hessenlande Anhänger des altnationalliberalen Ver¬ bandes finden, würde als Ausnahme jenen Regelfall nur bestätigen. Deshalb muß man die Neugründung aufs tiefste beklagen, weil sie den erhofften Partei¬ frieden aufs neue zu stören und den Bestand ver Partei zu gefährden geeignet ist. Und das zu einer Zeit, wo alle anderen großen Parteien, Konservative, Ultramontane und Sozialdemokraten, unabhängig von den auch bei ihnen bestehenden Streitigkeiten, jedenfalls die nämliche Taktik in Preußen wie im Reiche befolgen. — Mit diesen Aussichten für die nationalliberale Partei zu werben, erschwert das Geschäft ungemein. Denn wer in diesen ernsten politischen Zeiten Anschluß an eine Partei sucht, um sich selbst zu orientieren und an den öffent¬ lichen Angelegenheiten, die alle angehen, mitzuwirken, der wird nur nach einer starken Hand greifen, die im Stande ist, ihn zu leiten. Niemand aber wird jemanden zum Führer wählen, der selbst nicht weiß, wohin er will. Die naturwissenschaftliche Weltanschauung als Schöpferin der französischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts Dr, p. Hauck von 1. Der inkonsequente Positivismus in Theorie und Praxis (Beule, Balzac, Auguste Comte und H. Tanne) aß sich dauernde Fortschritte in der Entwicklung der Menschheit nicht durch plötzlich eintretende Gewalt erzielen lassen, davon bietet auch die französische Revolution ein Beispiel. Wie schnell war der erste Siegestaumel verrauscht, und wie schnell begannen die alten Zustände zurückzukehren! Die Monarchie löste gar bald die Republik wieder ab, und die Abkehr von der Kirche fand im Konkordat ein frühes Ende. Das Geistesleben des beginnenden Jahr¬ hunderts schritt sogar noch weit hinter das Jahr 1739 zurück. Nicht die Aufklärungsphilosophie Voltaires, nicht der Materialismus Condillcics, nicht Rousseaus romantisches Ideal von der Rückkehr zur Natur erhoben ihr Haupt aus den Trümmerhaufen der Revolution; ein fremdländisches Gewächs zeigte sich plötzlich dem erstaunten Blick und wucherte fast zwanzig Jahre so üppig auf dem Brandland, daß die junge Saat nicht aufgehen konnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/22>, abgerufen am 29.06.2024.