Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Schleiermacher in politischer Verfolgung
Von Professor O, Johannes !vendland

/?Z^meer den Männern, denen wir die nationale Wiedergeburt Preußens
vor hundert Jahren verdanken, steht Friedrich Schleiermacher in
vorderster Reihe. Er war aufgewachsen in Bewunderung Friedrichs
des Großen, in dessen Heer sein Vater Feldprediger gewesen war.
Dann hatte er sich ebenso wie Kant, Schiller, Fichte und Hegel
für die frauzöftsche Revolution begeistert. Als Preußen 1806 zusammenbrach,
suchte Schleiermacher von höherer Warte aus das übermächtige Schicksal zu
deuten: vieles Veraltete und Faule habe vernichtet werden müssen. Aber nun
sei die Zeit gekommen, in der Volk und König sich zusammenschließen müssen.
Jeder müsse bereit sein, Opfer zu bringen für das Vaterland. Die Kanzel der
Dreifaltigkeitskirche in Berlin wurde die Stätte, von der aus seine gewaltige Wirk¬
samkeit ausging. Ohne Fichtes "Reden an die deutsche Nation", E. M. Arndts
"Kriegs- und Wehrlieder" und Schleiermachers "Predigten" wären die
Freiheitskriege schwerlich gewonnen worden. Er rüttelte die feigen, egoistischen
Gemüter durch sein Wort und Beispiel auf.

Trotzdem hat Schleiermacher nach den Freiheitskriegen jahrelang als politisch
verdächtig gegolten. Derselbe Mann, der 1806 sein Vaterland Preußen nicht
verlassen wollte, obwohl ihm eine ehrenvolle Wirksamkeit in Bremen winkte,
wäre fast gewaltsam aus Preußen ausgestoßen worden. Der verknöcherte, eng¬
herzige Geist der Staatsleiter ertrug nach den Freiheitskriegen nicht mehr den
weiten, freien Geist eines Scharnhorst, Stein, Schleiermacher. 1313 predigte
Schleiermacher: Eine große Zeit ist gekommen, die alten Zeichen erneuen
sich wieder, denn Blinde sehen, Lahme gehen, Tote stehen auf! Indessen so
groß die Zeit begonnen hatte, so klein endete sie durch die Schuld einer Re¬
gierung, die die Zeichen der Zeit nicht verstand und nicht verstehen wollte.")

Schleiermacher wäre am liebsten mit in das Feld gezogen. Er half mit,
daß die Freiwilligen möglichst schnell zu den angewiesenen Punkten gesandt
wurden und erntete hierfür den besonderen Dank Scharnhorsts. Als er im



') Eine Reihe der im Folgenden benutzten Aktenstücke sind zum erstenmal veröffentlicht von
Max Lenz in seiner "Geschichte der Universität Berlin" 1910. Anderes war schon bekannt ans
Grund des Briefwechsels: "Aus Schleiermachers Leben. In Briefen." 18S8 bis 1862,


Schleiermacher in politischer Verfolgung
Von Professor O, Johannes !vendland

/?Z^meer den Männern, denen wir die nationale Wiedergeburt Preußens
vor hundert Jahren verdanken, steht Friedrich Schleiermacher in
vorderster Reihe. Er war aufgewachsen in Bewunderung Friedrichs
des Großen, in dessen Heer sein Vater Feldprediger gewesen war.
Dann hatte er sich ebenso wie Kant, Schiller, Fichte und Hegel
für die frauzöftsche Revolution begeistert. Als Preußen 1806 zusammenbrach,
suchte Schleiermacher von höherer Warte aus das übermächtige Schicksal zu
deuten: vieles Veraltete und Faule habe vernichtet werden müssen. Aber nun
sei die Zeit gekommen, in der Volk und König sich zusammenschließen müssen.
Jeder müsse bereit sein, Opfer zu bringen für das Vaterland. Die Kanzel der
Dreifaltigkeitskirche in Berlin wurde die Stätte, von der aus seine gewaltige Wirk¬
samkeit ausging. Ohne Fichtes „Reden an die deutsche Nation", E. M. Arndts
„Kriegs- und Wehrlieder" und Schleiermachers „Predigten" wären die
Freiheitskriege schwerlich gewonnen worden. Er rüttelte die feigen, egoistischen
Gemüter durch sein Wort und Beispiel auf.

Trotzdem hat Schleiermacher nach den Freiheitskriegen jahrelang als politisch
verdächtig gegolten. Derselbe Mann, der 1806 sein Vaterland Preußen nicht
verlassen wollte, obwohl ihm eine ehrenvolle Wirksamkeit in Bremen winkte,
wäre fast gewaltsam aus Preußen ausgestoßen worden. Der verknöcherte, eng¬
herzige Geist der Staatsleiter ertrug nach den Freiheitskriegen nicht mehr den
weiten, freien Geist eines Scharnhorst, Stein, Schleiermacher. 1313 predigte
Schleiermacher: Eine große Zeit ist gekommen, die alten Zeichen erneuen
sich wieder, denn Blinde sehen, Lahme gehen, Tote stehen auf! Indessen so
groß die Zeit begonnen hatte, so klein endete sie durch die Schuld einer Re¬
gierung, die die Zeichen der Zeit nicht verstand und nicht verstehen wollte.")

Schleiermacher wäre am liebsten mit in das Feld gezogen. Er half mit,
daß die Freiwilligen möglichst schnell zu den angewiesenen Punkten gesandt
wurden und erntete hierfür den besonderen Dank Scharnhorsts. Als er im



') Eine Reihe der im Folgenden benutzten Aktenstücke sind zum erstenmal veröffentlicht von
Max Lenz in seiner „Geschichte der Universität Berlin" 1910. Anderes war schon bekannt ans
Grund des Briefwechsels: „Aus Schleiermachers Leben. In Briefen." 18S8 bis 1862,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321357"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321357_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Schleiermacher in politischer Verfolgung<lb/><note type="byline"> Von Professor O, Johannes !vendland</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1131"> /?Z^meer den Männern, denen wir die nationale Wiedergeburt Preußens<lb/>
vor hundert Jahren verdanken, steht Friedrich Schleiermacher in<lb/>
vorderster Reihe. Er war aufgewachsen in Bewunderung Friedrichs<lb/>
des Großen, in dessen Heer sein Vater Feldprediger gewesen war.<lb/>
Dann hatte er sich ebenso wie Kant, Schiller, Fichte und Hegel<lb/>
für die frauzöftsche Revolution begeistert. Als Preußen 1806 zusammenbrach,<lb/>
suchte Schleiermacher von höherer Warte aus das übermächtige Schicksal zu<lb/>
deuten: vieles Veraltete und Faule habe vernichtet werden müssen. Aber nun<lb/>
sei die Zeit gekommen, in der Volk und König sich zusammenschließen müssen.<lb/>
Jeder müsse bereit sein, Opfer zu bringen für das Vaterland. Die Kanzel der<lb/>
Dreifaltigkeitskirche in Berlin wurde die Stätte, von der aus seine gewaltige Wirk¬<lb/>
samkeit ausging. Ohne Fichtes &#x201E;Reden an die deutsche Nation", E. M. Arndts<lb/>
&#x201E;Kriegs- und Wehrlieder" und Schleiermachers &#x201E;Predigten" wären die<lb/>
Freiheitskriege schwerlich gewonnen worden. Er rüttelte die feigen, egoistischen<lb/>
Gemüter durch sein Wort und Beispiel auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1132"> Trotzdem hat Schleiermacher nach den Freiheitskriegen jahrelang als politisch<lb/>
verdächtig gegolten. Derselbe Mann, der 1806 sein Vaterland Preußen nicht<lb/>
verlassen wollte, obwohl ihm eine ehrenvolle Wirksamkeit in Bremen winkte,<lb/>
wäre fast gewaltsam aus Preußen ausgestoßen worden. Der verknöcherte, eng¬<lb/>
herzige Geist der Staatsleiter ertrug nach den Freiheitskriegen nicht mehr den<lb/>
weiten, freien Geist eines Scharnhorst, Stein, Schleiermacher. 1313 predigte<lb/>
Schleiermacher: Eine große Zeit ist gekommen, die alten Zeichen erneuen<lb/>
sich wieder, denn Blinde sehen, Lahme gehen, Tote stehen auf! Indessen so<lb/>
groß die Zeit begonnen hatte, so klein endete sie durch die Schuld einer Re¬<lb/>
gierung, die die Zeichen der Zeit nicht verstand und nicht verstehen wollte.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1133" next="#ID_1134"> Schleiermacher wäre am liebsten mit in das Feld gezogen. Er half mit,<lb/>
daß die Freiwilligen möglichst schnell zu den angewiesenen Punkten gesandt<lb/>
wurden und erntete hierfür den besonderen Dank Scharnhorsts.  Als er im</p><lb/>
          <note xml:id="FID_39" place="foot"> ') Eine Reihe der im Folgenden benutzten Aktenstücke sind zum erstenmal veröffentlicht von<lb/>
Max Lenz in seiner &#x201E;Geschichte der Universität Berlin" 1910. Anderes war schon bekannt ans<lb/>
Grund des Briefwechsels: &#x201E;Aus Schleiermachers Leben.  In Briefen."  18S8 bis 1862,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] [Abbildung] Schleiermacher in politischer Verfolgung Von Professor O, Johannes !vendland /?Z^meer den Männern, denen wir die nationale Wiedergeburt Preußens vor hundert Jahren verdanken, steht Friedrich Schleiermacher in vorderster Reihe. Er war aufgewachsen in Bewunderung Friedrichs des Großen, in dessen Heer sein Vater Feldprediger gewesen war. Dann hatte er sich ebenso wie Kant, Schiller, Fichte und Hegel für die frauzöftsche Revolution begeistert. Als Preußen 1806 zusammenbrach, suchte Schleiermacher von höherer Warte aus das übermächtige Schicksal zu deuten: vieles Veraltete und Faule habe vernichtet werden müssen. Aber nun sei die Zeit gekommen, in der Volk und König sich zusammenschließen müssen. Jeder müsse bereit sein, Opfer zu bringen für das Vaterland. Die Kanzel der Dreifaltigkeitskirche in Berlin wurde die Stätte, von der aus seine gewaltige Wirk¬ samkeit ausging. Ohne Fichtes „Reden an die deutsche Nation", E. M. Arndts „Kriegs- und Wehrlieder" und Schleiermachers „Predigten" wären die Freiheitskriege schwerlich gewonnen worden. Er rüttelte die feigen, egoistischen Gemüter durch sein Wort und Beispiel auf. Trotzdem hat Schleiermacher nach den Freiheitskriegen jahrelang als politisch verdächtig gegolten. Derselbe Mann, der 1806 sein Vaterland Preußen nicht verlassen wollte, obwohl ihm eine ehrenvolle Wirksamkeit in Bremen winkte, wäre fast gewaltsam aus Preußen ausgestoßen worden. Der verknöcherte, eng¬ herzige Geist der Staatsleiter ertrug nach den Freiheitskriegen nicht mehr den weiten, freien Geist eines Scharnhorst, Stein, Schleiermacher. 1313 predigte Schleiermacher: Eine große Zeit ist gekommen, die alten Zeichen erneuen sich wieder, denn Blinde sehen, Lahme gehen, Tote stehen auf! Indessen so groß die Zeit begonnen hatte, so klein endete sie durch die Schuld einer Re¬ gierung, die die Zeichen der Zeit nicht verstand und nicht verstehen wollte.") Schleiermacher wäre am liebsten mit in das Feld gezogen. Er half mit, daß die Freiwilligen möglichst schnell zu den angewiesenen Punkten gesandt wurden und erntete hierfür den besonderen Dank Scharnhorsts. Als er im ') Eine Reihe der im Folgenden benutzten Aktenstücke sind zum erstenmal veröffentlicht von Max Lenz in seiner „Geschichte der Universität Berlin" 1910. Anderes war schon bekannt ans Grund des Briefwechsels: „Aus Schleiermachers Leben. In Briefen." 18S8 bis 1862,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/274>, abgerufen am 22.07.2024.