Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Ein Später Derer van Doorn blicke nur wie ein vom Stamme gelöstes Herbstblatt. Er saß in den ver¬ Erst wie die Erde erblich und das Meer mit grauen Schaumkämmen den Viertes Kapitel Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern und Dornen gelebt. Auch Es war gut, daß der Winter gekommen war und die Sonne im Lande Da lag das Kroensche Landschlößchen leer. Da gab es viele Einsamkeiten in den verstreuten, niederen Giebelhäuschen Es gab viele Einsamkeiten über das Land und den Meerstrand gebreitet. Hunderttausende von weißen, schillernden Meervögeln saßen reglos im Was in Hieronymus van Doorn vorgegangen war, seitdem er aus dem Ein Später Derer van Doorn blicke nur wie ein vom Stamme gelöstes Herbstblatt. Er saß in den ver¬ Erst wie die Erde erblich und das Meer mit grauen Schaumkämmen den Viertes Kapitel Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern und Dornen gelebt. Auch Es war gut, daß der Winter gekommen war und die Sonne im Lande Da lag das Kroensche Landschlößchen leer. Da gab es viele Einsamkeiten in den verstreuten, niederen Giebelhäuschen Es gab viele Einsamkeiten über das Land und den Meerstrand gebreitet. Hunderttausende von weißen, schillernden Meervögeln saßen reglos im Was in Hieronymus van Doorn vorgegangen war, seitdem er aus dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320611"/> <fw type="header" place="top"> Ein Später Derer van Doorn</fw><lb/> <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> blicke nur wie ein vom Stamme gelöstes Herbstblatt. Er saß in den ver¬<lb/> bleichenden Strahlen der goldenen Himmelsscheibe und wußte nur jetzt, daß er<lb/> ein echter van Doorn und aus vornehmem, altem Geschlechte war. Man sprach<lb/> von weltlichen Dingen. Schüchtern rühmte er den Glanz der Erde und die<lb/> Schönheit des Kroenschen Strandschlößchens. Und er begann froh in Fran<lb/> Hartjes Augen hinein von den Burgen Derer van Doorn, die sie einst im<lb/> Lande besaßen, eine flüchtige Erzählung.</p><lb/> <p xml:id="ID_708"> Erst wie die Erde erblich und das Meer mit grauen Schaumkämmen den<lb/> Strand peitschte und in Nacht einsank, ging der junge Priester hastig und ohne<lb/> Acht auf deu fauchenden Seewind mit mancherlei lichten Gestalten in Blut und<lb/> Sinnen durch die Dünen heimwärts.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Viertes Kapitel</head><lb/> <p xml:id="ID_709"> Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern und Dornen gelebt. Auch<lb/> jetzt saß er eingekerkert und gebunden und verstrickt in seine heiligen Entsagungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_710"> Es war gut, daß der Winter gekommen war und die Sonne im Lande<lb/> ganz ausblies.</p><lb/> <p xml:id="ID_711"> Da lag das Kroensche Landschlößchen leer.</p><lb/> <p xml:id="ID_712"> Da gab es viele Einsamkeiten in den verstreuten, niederen Giebelhäuschen<lb/> am Meerstrand. Und aus dem einst wetterharten Gesichte manchen Fischer¬<lb/> mannes, der in der Wogenwelt im Sturme unerschrocken die Segel gerefft, und<lb/> der jetzt die finstere Balkendecke des einsilbigen Raumes anstarrte, seinen inneren<lb/> Blick in Demut und Begier der Erlösung zugewandt, gab es ein Leuchten und<lb/> eine rechte Verklärung, wenn Hieronymus van Doorns weihevoller Schatten im<lb/> Dämmer ragte und Hieronymus heiße Flüstergespräche den Engeln riefen, die<lb/> arme, sterbende Seele in Gottes Schoß zu tragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_713"> Es gab viele Einsamkeiten über das Land und den Meerstrand gebreitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_714"> Hunderttausende von weißen, schillernden Meervögeln saßen reglos im<lb/> Sande, darin Eisscheiben sich zerbrochen stauten, oder machten ein geltes,<lb/> schrilles Gekreisch, das die graue, grenzenlose Meerluft ganz ausfüllte, wenn sie<lb/> sich flügelrauschend wie hoffnungslose Geister erhoben, dem Zuge der wilden<lb/> Wolkennacht nachzuziehen. Hunderttausende von Krähen krächzten im Meersande,<lb/> scheu und gewitterhaft zusammenhockend, nur aufgestört von dem verhallenden,<lb/> barschen Schritt eines Fischers, den der Sturm fast zerriß. Oder sie gaben sich<lb/> eintönig klagende Warnrufe am dunklen Nachtufer hin, wenn die heilige Be¬<lb/> rufung als Helfer und Rat den jungen Priester hinausgeführt und er in der<lb/> flatternden Finsternis mit verlorenem Stapfen fast nachtwandlerisch nur in seine<lb/> inneren Gesichte eingehüllt durch die Dünenhügel heimkehrte.</p><lb/> <p xml:id="ID_715" next="#ID_716"> Was in Hieronymus van Doorn vorgegangen war, seitdem er aus dem<lb/> Hause der Kroens heimgekehrt und die fröhlichen Worte und das klingende<lb/> Lachen von Frau Hartje noch im Ohre mit sich getragen, wußte niemand.<lb/> Wenn er noch im Auge von Frau Hartje schüchtern und scheinbar froh dagestanden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0194]
Ein Später Derer van Doorn
blicke nur wie ein vom Stamme gelöstes Herbstblatt. Er saß in den ver¬
bleichenden Strahlen der goldenen Himmelsscheibe und wußte nur jetzt, daß er
ein echter van Doorn und aus vornehmem, altem Geschlechte war. Man sprach
von weltlichen Dingen. Schüchtern rühmte er den Glanz der Erde und die
Schönheit des Kroenschen Strandschlößchens. Und er begann froh in Fran
Hartjes Augen hinein von den Burgen Derer van Doorn, die sie einst im
Lande besaßen, eine flüchtige Erzählung.
Erst wie die Erde erblich und das Meer mit grauen Schaumkämmen den
Strand peitschte und in Nacht einsank, ging der junge Priester hastig und ohne
Acht auf deu fauchenden Seewind mit mancherlei lichten Gestalten in Blut und
Sinnen durch die Dünen heimwärts.
Viertes Kapitel
Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern und Dornen gelebt. Auch
jetzt saß er eingekerkert und gebunden und verstrickt in seine heiligen Entsagungen.
Es war gut, daß der Winter gekommen war und die Sonne im Lande
ganz ausblies.
Da lag das Kroensche Landschlößchen leer.
Da gab es viele Einsamkeiten in den verstreuten, niederen Giebelhäuschen
am Meerstrand. Und aus dem einst wetterharten Gesichte manchen Fischer¬
mannes, der in der Wogenwelt im Sturme unerschrocken die Segel gerefft, und
der jetzt die finstere Balkendecke des einsilbigen Raumes anstarrte, seinen inneren
Blick in Demut und Begier der Erlösung zugewandt, gab es ein Leuchten und
eine rechte Verklärung, wenn Hieronymus van Doorns weihevoller Schatten im
Dämmer ragte und Hieronymus heiße Flüstergespräche den Engeln riefen, die
arme, sterbende Seele in Gottes Schoß zu tragen.
Es gab viele Einsamkeiten über das Land und den Meerstrand gebreitet.
Hunderttausende von weißen, schillernden Meervögeln saßen reglos im
Sande, darin Eisscheiben sich zerbrochen stauten, oder machten ein geltes,
schrilles Gekreisch, das die graue, grenzenlose Meerluft ganz ausfüllte, wenn sie
sich flügelrauschend wie hoffnungslose Geister erhoben, dem Zuge der wilden
Wolkennacht nachzuziehen. Hunderttausende von Krähen krächzten im Meersande,
scheu und gewitterhaft zusammenhockend, nur aufgestört von dem verhallenden,
barschen Schritt eines Fischers, den der Sturm fast zerriß. Oder sie gaben sich
eintönig klagende Warnrufe am dunklen Nachtufer hin, wenn die heilige Be¬
rufung als Helfer und Rat den jungen Priester hinausgeführt und er in der
flatternden Finsternis mit verlorenem Stapfen fast nachtwandlerisch nur in seine
inneren Gesichte eingehüllt durch die Dünenhügel heimkehrte.
Was in Hieronymus van Doorn vorgegangen war, seitdem er aus dem
Hause der Kroens heimgekehrt und die fröhlichen Worte und das klingende
Lachen von Frau Hartje noch im Ohre mit sich getragen, wußte niemand.
Wenn er noch im Auge von Frau Hartje schüchtern und scheinbar froh dagestanden
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