Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Gin Später Derer van Doorn und zu all den heiteren Worten der blonden Genesenden auch seinerseits heiter Aber in einer Nacht in: Winter, in der Weihnacht, als die Glocken der Es ist ein Reis entsprungen Aus einer Wurzel zart, Wie uns die Alten sungen, Von Jesse kam die Art; Und hat ein Blümlein bracht, Mitten im kalten Winter, Wohl zu der halben Nacht. Am Himmel war ein wundersames Leuchten. Die Sterne waren groß, wie Wer sein schmales, mageres, verhärmtes Gesicht sonst kannte, hätte jetzt Gin Später Derer van Doorn und zu all den heiteren Worten der blonden Genesenden auch seinerseits heiter Aber in einer Nacht in: Winter, in der Weihnacht, als die Glocken der Es ist ein Reis entsprungen Aus einer Wurzel zart, Wie uns die Alten sungen, Von Jesse kam die Art; Und hat ein Blümlein bracht, Mitten im kalten Winter, Wohl zu der halben Nacht. Am Himmel war ein wundersames Leuchten. Die Sterne waren groß, wie Wer sein schmales, mageres, verhärmtes Gesicht sonst kannte, hätte jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320612"/> <fw type="header" place="top"> Gin Später Derer van Doorn</fw><lb/> <p xml:id="ID_716" prev="#ID_715"> und zu all den heiteren Worten der blonden Genesenden auch seinerseits heiter<lb/> sich verneigt hatte, schon daheim im Pfarrhause hatte die Gottesjungfrau auf<lb/> seinem Altare wie mit überirdischemLichte geleuchtet. Und er hatte davor gelegen mit<lb/> harten Schwüren, daß die Heilige sich zu ihm geneigt, und himmlische Chöre<lb/> aus dunkler Nachthöhe das K^rie eleison in seine erlösenden Gebete gesungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_717"> Aber in einer Nacht in: Winter, in der Weihnacht, als die Glocken der<lb/> Strandkirche längst verhallt waren, fand Hieronymus in seiner Einsamkeit keine<lb/> Ruhe. Er war noch im Meßgewands in die Dünen hinaufgelaufen. Der Nacht-<lb/> Himmel glänzte, Stern an Stern. Es war eisig. Es war in ihm gleich eine<lb/> seltsame Freude. Wie wenn einer, der lange in einer Umnachtung gelebt,<lb/> plötzlich irgendwoher ein Licht sieht. Die Tage vorher hatte er nicht geruht<lb/> mit Fasten und Beten. Er war in die Dünen gelaufen und hatte vor sich<lb/> hin ein Lied psalmodiert. Es war gleich wie ein Rausch. Er ging und ging,<lb/> Hügel auf, Hügel ab. Die Schneedecke war dünn und knirschte. In den Dünen<lb/> stand auch ein Bild der Gottesmutter in einer Nische, davor ein Strandhase<lb/> aufgescheucht in die Höhe sprang und als mächtiger, schwarzer Schatten entschwand.<lb/> Das Licht der Sterne war in dieser Nacht so hell, daß es auch die heilige<lb/> Jungfrau kräftig beschien und man die goldenen Metallsterne um ihr seliges<lb/> Angesicht blinken sah. Aber der junge Priester hatte sich dabei durchaus nicht<lb/> weiter aufgehalten. Ein Gebet war ihm in diesem Augenblicke gar nicht auf<lb/> die Lippen gekommen. Das Lied, das er psalmodierte, und das wie ein Weih¬<lb/> nachtslied klang, hatte etwas ganz Fröhliches. Fröhlicher noch, als wie es in<lb/> der Gemeinde der Fischer aus den barschen Kehlen geklungen. Der junge Pfarrer<lb/> sang es jetzt ganz voll und hörbar in die Sterne:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l> Es ist ein Reis entsprungen<lb/> Aus einer Wurzel zart,<lb/> Wie uns die Alten sungen,<lb/> Von Jesse kam die Art;<lb/> Und hat ein Blümlein bracht,<lb/> Mitten im kalten Winter,<lb/> Wohl zu der halben Nacht.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_718"> Am Himmel war ein wundersames Leuchten. Die Sterne waren groß, wie<lb/> goldene Bälle, und die Nachttiefe wie tiefblaue Gründe. Wer aufblickte, mußte die<lb/> Weihnacht fühlen. Und der Pfarrer wanderte und psalmodierte ohn Unterlaß.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_719" next="#ID_720"> Wer sein schmales, mageres, verhärmtes Gesicht sonst kannte, hätte jetzt<lb/> «in sonderlich vom Aufblick wie erschöpftes, vom Heißhunger seliges Gesicht</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0195]
Gin Später Derer van Doorn
und zu all den heiteren Worten der blonden Genesenden auch seinerseits heiter
sich verneigt hatte, schon daheim im Pfarrhause hatte die Gottesjungfrau auf
seinem Altare wie mit überirdischemLichte geleuchtet. Und er hatte davor gelegen mit
harten Schwüren, daß die Heilige sich zu ihm geneigt, und himmlische Chöre
aus dunkler Nachthöhe das K^rie eleison in seine erlösenden Gebete gesungen.
Aber in einer Nacht in: Winter, in der Weihnacht, als die Glocken der
Strandkirche längst verhallt waren, fand Hieronymus in seiner Einsamkeit keine
Ruhe. Er war noch im Meßgewands in die Dünen hinaufgelaufen. Der Nacht-
Himmel glänzte, Stern an Stern. Es war eisig. Es war in ihm gleich eine
seltsame Freude. Wie wenn einer, der lange in einer Umnachtung gelebt,
plötzlich irgendwoher ein Licht sieht. Die Tage vorher hatte er nicht geruht
mit Fasten und Beten. Er war in die Dünen gelaufen und hatte vor sich
hin ein Lied psalmodiert. Es war gleich wie ein Rausch. Er ging und ging,
Hügel auf, Hügel ab. Die Schneedecke war dünn und knirschte. In den Dünen
stand auch ein Bild der Gottesmutter in einer Nische, davor ein Strandhase
aufgescheucht in die Höhe sprang und als mächtiger, schwarzer Schatten entschwand.
Das Licht der Sterne war in dieser Nacht so hell, daß es auch die heilige
Jungfrau kräftig beschien und man die goldenen Metallsterne um ihr seliges
Angesicht blinken sah. Aber der junge Priester hatte sich dabei durchaus nicht
weiter aufgehalten. Ein Gebet war ihm in diesem Augenblicke gar nicht auf
die Lippen gekommen. Das Lied, das er psalmodierte, und das wie ein Weih¬
nachtslied klang, hatte etwas ganz Fröhliches. Fröhlicher noch, als wie es in
der Gemeinde der Fischer aus den barschen Kehlen geklungen. Der junge Pfarrer
sang es jetzt ganz voll und hörbar in die Sterne:
Es ist ein Reis entsprungen
Aus einer Wurzel zart,
Wie uns die Alten sungen,
Von Jesse kam die Art;
Und hat ein Blümlein bracht,
Mitten im kalten Winter,
Wohl zu der halben Nacht.
Am Himmel war ein wundersames Leuchten. Die Sterne waren groß, wie
goldene Bälle, und die Nachttiefe wie tiefblaue Gründe. Wer aufblickte, mußte die
Weihnacht fühlen. Und der Pfarrer wanderte und psalmodierte ohn Unterlaß.
Wer sein schmales, mageres, verhärmtes Gesicht sonst kannte, hätte jetzt
«in sonderlich vom Aufblick wie erschöpftes, vom Heißhunger seliges Gesicht
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