Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel Die Reichstagswahlen Das zahlenmäßige Ergebnis -- Die Wahlen von 1903 -- Stichwahlaussichten -- Hervortreten der Regierung 88 Zentrumsmänner, 66 Sozialdemokraten, 38 Konservative, 14 Polen, Die neu geschaffene Lage erinnert lebhaft an die Verhältnisse nach den Auch damals war das Ergebnis: starkes Anschwellen der sozialdemo¬ Die Stichwahlen dürsten an der dem neuen Reichstage schon jetzt Reichsspiegel Die Reichstagswahlen Das zahlenmäßige Ergebnis — Die Wahlen von 1903 — Stichwahlaussichten — Hervortreten der Regierung 88 Zentrumsmänner, 66 Sozialdemokraten, 38 Konservative, 14 Polen, Die neu geschaffene Lage erinnert lebhaft an die Verhältnisse nach den Auch damals war das Ergebnis: starkes Anschwellen der sozialdemo¬ Die Stichwahlen dürsten an der dem neuen Reichstage schon jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320568"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_320416/figures/grenzboten_341895_320416_320568_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Die Reichstagswahlen</head><lb/> <note type="argument"> Das zahlenmäßige Ergebnis — Die Wahlen von 1903 — Stichwahlaussichten —<lb/> Hervortreten der Regierung</note><lb/> <p xml:id="ID_549"> 88 Zentrumsmänner, 66 Sozialdemokraten, 38 Konservative, 14 Polen,<lb/> 4 Wilde und 4 Nationalliberale! Das ist das vorläufige Ergebnis des<lb/> sogenannten Volksgerichts vom 12. Januar 1912. Dazu kommen in die Stich¬<lb/> wahl 126 Liberale, 113 Sozialdemokraten, 74 Konservative, 37 Zentrums-<lb/> männer, 10 Polen und 10 Wilde.</p><lb/> <p xml:id="ID_550"> Die neu geschaffene Lage erinnert lebhaft an die Verhältnisse nach den<lb/> Wahlen von 1903.</p><lb/> <p xml:id="ID_551"> Auch damals war das Ergebnis: starkes Anschwellen der sozialdemo¬<lb/> kratischen Partei, Stärkung der Bedeutung des Zentrums und erhebliche Min¬<lb/> derung der Parteien mit vermittelnden Tendenzen. Aber eine Nuance drängt<lb/> sich noch stärker in den Vordergrund, die 1903 zwar schon vorhanden war,<lb/> aber doch nicht ganz so verheerend auf die Mittelparteien zu wirken vermochte:<lb/> die Einwirkung der wirtschaftlichen Verbände. Die wirtschaftlichen Parolen<lb/> waren beim jüngsten Wahlkampfe überaus mannigfaltig: hier hieß es lücken¬<lb/> loser Zolltarif, dort Kampf den Brotoerteuerern! hier Schwerindustrie, dort<lb/> verarbeitende Gewerbe I hier Grundrente, dort Bodenreform! Lauter Parolen<lb/> kleiner Interessengruppen, die die Mehrheit jeweils zum Gegner hatten. Nur<lb/> das Zentrum und die Sozialdemokratie konnten bei ihrer Agitation auf Werte<lb/> hinweisen, die über den Alltagsbedars hin ausreichen, und die sehr wohl Gemeingut<lb/> verschiedenartiger sozialer Schichten sein können. Darum mußten beide auch<lb/> so fest aus dem ersten Wahlgänge hervorgehen. Zwei Parteien, die so tief in<lb/> den breiten Schichten der Nation wurzeln, wie die genannten, lassen sich viel¬<lb/> leicht zusammen mit der Nation umbilden, nicht aber' kurzerhand aus ihr<lb/> herausreißen. Darum wollen wir auch nicht Trübsal über das blasen, was<lb/> eingetreten ist, sondern versuchen, aus dem Vorhandenen den größtmöglichen<lb/> Nutzen zu ziehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_552" next="#ID_553"> Die Stichwahlen dürsten an der dem neuen Reichstage schon jetzt<lb/> gegebenen Signatur kaum etwas ändern. Das Zentrum wird aller Wahr¬<lb/> scheinlichkeit nach in einer Stärke von 100 bis 110 Abgeordneten in den</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Die Reichstagswahlen
Das zahlenmäßige Ergebnis — Die Wahlen von 1903 — Stichwahlaussichten —
Hervortreten der Regierung
88 Zentrumsmänner, 66 Sozialdemokraten, 38 Konservative, 14 Polen,
4 Wilde und 4 Nationalliberale! Das ist das vorläufige Ergebnis des
sogenannten Volksgerichts vom 12. Januar 1912. Dazu kommen in die Stich¬
wahl 126 Liberale, 113 Sozialdemokraten, 74 Konservative, 37 Zentrums-
männer, 10 Polen und 10 Wilde.
Die neu geschaffene Lage erinnert lebhaft an die Verhältnisse nach den
Wahlen von 1903.
Auch damals war das Ergebnis: starkes Anschwellen der sozialdemo¬
kratischen Partei, Stärkung der Bedeutung des Zentrums und erhebliche Min¬
derung der Parteien mit vermittelnden Tendenzen. Aber eine Nuance drängt
sich noch stärker in den Vordergrund, die 1903 zwar schon vorhanden war,
aber doch nicht ganz so verheerend auf die Mittelparteien zu wirken vermochte:
die Einwirkung der wirtschaftlichen Verbände. Die wirtschaftlichen Parolen
waren beim jüngsten Wahlkampfe überaus mannigfaltig: hier hieß es lücken¬
loser Zolltarif, dort Kampf den Brotoerteuerern! hier Schwerindustrie, dort
verarbeitende Gewerbe I hier Grundrente, dort Bodenreform! Lauter Parolen
kleiner Interessengruppen, die die Mehrheit jeweils zum Gegner hatten. Nur
das Zentrum und die Sozialdemokratie konnten bei ihrer Agitation auf Werte
hinweisen, die über den Alltagsbedars hin ausreichen, und die sehr wohl Gemeingut
verschiedenartiger sozialer Schichten sein können. Darum mußten beide auch
so fest aus dem ersten Wahlgänge hervorgehen. Zwei Parteien, die so tief in
den breiten Schichten der Nation wurzeln, wie die genannten, lassen sich viel¬
leicht zusammen mit der Nation umbilden, nicht aber' kurzerhand aus ihr
herausreißen. Darum wollen wir auch nicht Trübsal über das blasen, was
eingetreten ist, sondern versuchen, aus dem Vorhandenen den größtmöglichen
Nutzen zu ziehen.
Die Stichwahlen dürsten an der dem neuen Reichstage schon jetzt
gegebenen Signatur kaum etwas ändern. Das Zentrum wird aller Wahr¬
scheinlichkeit nach in einer Stärke von 100 bis 110 Abgeordneten in den
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