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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Deutsch - französische Randbemerkungen
Franz ZVngk von

in Tage nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Marotto-
Kongoabkommens befand ich mich in einer Gesellschaft französischer
Herren, die teils der Pariser Börsenwelt angehörten, teils den Kreisen
der Intellektuellen, die aber gleichzeitig fast sämtlich alte Soldaten
waren und in der Mehrzahl noch vor kurzer Zeit Reserveosfizier-
übungen durchgemacht hatten. Im allgemeinen ist unter uns die Politik streng
verpönt; an jenein Abend aber war es ja schlechterdings unmöglich, sich um das
große Thema des Tages -- Marokko, Kongo und die deutsch-französischen Be¬
ziehungen -- herumzudrücken und schließlich kamen wir sogar auf die feuergefähr¬
liche Frage des Krieges. Unter guten Bekannten legt man sich keinen Zwang auf
und die Herren versicherten mir schließlich in aller Freundschaft, aber auch mit
imponierender Kaltblütigkeit, daß Deutschland von Frankreich ganz jämmerlich
verhauen wäre, wenn es sich auf einen Wassergang eingelassen hätte. Das schien
mir denn doch etwas stark und ich antwortete mit einer Schärfe, die ein kurzes,
peinliches Schweigen dem lauten Stimmengewirr folgen ließ. Dann gab
man mir aber mit jener Höflichkeit und Liebenswürdigkeit, durch die der
wirklich fein gebildete Franzose sich so auszeichnet, alle wünschenswerten
Erklärungen und ich zögerte nicht, mich durch diese geschmeidigen Bitten
um Entschuldigung versöhnen zu lassen. Selbstverständlich änderte das aber an
den Überzeugungen der Herren nichts: sie glaubten und glauben noch heute,
uns gewaltig überlegen zu sein. Diesem naiven Größenwahn, wie er sich seit
etwa einem Jahr hier entwickelt hat, kommt nur die Verwunderung darüber
gleich, daß der Deutsche an die Sicherheit des Sieges für Frankreich nicht glauben
will. Freilich müssen wir hier dazusetzen, daß der Franzose selbst leicht aus An¬
fällen von maßloser Selbstüberschätzung in Perioden pessimistischer Verzweiflung
an der Zukunft seiner Nation fällt. Wenn man diese Stimmungssprünge im
französischen Charakter kennt, nimmt man die chauvinistischen Ausschweifungen
hier nicht mehr so tragisch.

Als sich unsere Gesellschaft trennte, schloß sich mir auf dem nächtlichen
Heimgange einer der Herren an, die durch ihre hohe allgemeine Bildung
und ihre weiten Reisen am meisten in die Lage gekommen waren, sich von engen,
blauweißroten Vorurteilen frei zu machen. Anderseits ist er als Angehöriger einer




Deutsch - französische Randbemerkungen
Franz ZVngk von

in Tage nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Marotto-
Kongoabkommens befand ich mich in einer Gesellschaft französischer
Herren, die teils der Pariser Börsenwelt angehörten, teils den Kreisen
der Intellektuellen, die aber gleichzeitig fast sämtlich alte Soldaten
waren und in der Mehrzahl noch vor kurzer Zeit Reserveosfizier-
übungen durchgemacht hatten. Im allgemeinen ist unter uns die Politik streng
verpönt; an jenein Abend aber war es ja schlechterdings unmöglich, sich um das
große Thema des Tages — Marokko, Kongo und die deutsch-französischen Be¬
ziehungen — herumzudrücken und schließlich kamen wir sogar auf die feuergefähr¬
liche Frage des Krieges. Unter guten Bekannten legt man sich keinen Zwang auf
und die Herren versicherten mir schließlich in aller Freundschaft, aber auch mit
imponierender Kaltblütigkeit, daß Deutschland von Frankreich ganz jämmerlich
verhauen wäre, wenn es sich auf einen Wassergang eingelassen hätte. Das schien
mir denn doch etwas stark und ich antwortete mit einer Schärfe, die ein kurzes,
peinliches Schweigen dem lauten Stimmengewirr folgen ließ. Dann gab
man mir aber mit jener Höflichkeit und Liebenswürdigkeit, durch die der
wirklich fein gebildete Franzose sich so auszeichnet, alle wünschenswerten
Erklärungen und ich zögerte nicht, mich durch diese geschmeidigen Bitten
um Entschuldigung versöhnen zu lassen. Selbstverständlich änderte das aber an
den Überzeugungen der Herren nichts: sie glaubten und glauben noch heute,
uns gewaltig überlegen zu sein. Diesem naiven Größenwahn, wie er sich seit
etwa einem Jahr hier entwickelt hat, kommt nur die Verwunderung darüber
gleich, daß der Deutsche an die Sicherheit des Sieges für Frankreich nicht glauben
will. Freilich müssen wir hier dazusetzen, daß der Franzose selbst leicht aus An¬
fällen von maßloser Selbstüberschätzung in Perioden pessimistischer Verzweiflung
an der Zukunft seiner Nation fällt. Wenn man diese Stimmungssprünge im
französischen Charakter kennt, nimmt man die chauvinistischen Ausschweifungen
hier nicht mehr so tragisch.

Als sich unsere Gesellschaft trennte, schloß sich mir auf dem nächtlichen
Heimgange einer der Herren an, die durch ihre hohe allgemeine Bildung
und ihre weiten Reisen am meisten in die Lage gekommen waren, sich von engen,
blauweißroten Vorurteilen frei zu machen. Anderseits ist er als Angehöriger einer


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[0440] [Abbildung] Deutsch - französische Randbemerkungen Franz ZVngk von in Tage nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Marotto- Kongoabkommens befand ich mich in einer Gesellschaft französischer Herren, die teils der Pariser Börsenwelt angehörten, teils den Kreisen der Intellektuellen, die aber gleichzeitig fast sämtlich alte Soldaten waren und in der Mehrzahl noch vor kurzer Zeit Reserveosfizier- übungen durchgemacht hatten. Im allgemeinen ist unter uns die Politik streng verpönt; an jenein Abend aber war es ja schlechterdings unmöglich, sich um das große Thema des Tages — Marokko, Kongo und die deutsch-französischen Be¬ ziehungen — herumzudrücken und schließlich kamen wir sogar auf die feuergefähr¬ liche Frage des Krieges. Unter guten Bekannten legt man sich keinen Zwang auf und die Herren versicherten mir schließlich in aller Freundschaft, aber auch mit imponierender Kaltblütigkeit, daß Deutschland von Frankreich ganz jämmerlich verhauen wäre, wenn es sich auf einen Wassergang eingelassen hätte. Das schien mir denn doch etwas stark und ich antwortete mit einer Schärfe, die ein kurzes, peinliches Schweigen dem lauten Stimmengewirr folgen ließ. Dann gab man mir aber mit jener Höflichkeit und Liebenswürdigkeit, durch die der wirklich fein gebildete Franzose sich so auszeichnet, alle wünschenswerten Erklärungen und ich zögerte nicht, mich durch diese geschmeidigen Bitten um Entschuldigung versöhnen zu lassen. Selbstverständlich änderte das aber an den Überzeugungen der Herren nichts: sie glaubten und glauben noch heute, uns gewaltig überlegen zu sein. Diesem naiven Größenwahn, wie er sich seit etwa einem Jahr hier entwickelt hat, kommt nur die Verwunderung darüber gleich, daß der Deutsche an die Sicherheit des Sieges für Frankreich nicht glauben will. Freilich müssen wir hier dazusetzen, daß der Franzose selbst leicht aus An¬ fällen von maßloser Selbstüberschätzung in Perioden pessimistischer Verzweiflung an der Zukunft seiner Nation fällt. Wenn man diese Stimmungssprünge im französischen Charakter kennt, nimmt man die chauvinistischen Ausschweifungen hier nicht mehr so tragisch. Als sich unsere Gesellschaft trennte, schloß sich mir auf dem nächtlichen Heimgange einer der Herren an, die durch ihre hohe allgemeine Bildung und ihre weiten Reisen am meisten in die Lage gekommen waren, sich von engen, blauweißroten Vorurteilen frei zu machen. Anderseits ist er als Angehöriger einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/440>, abgerufen am 03.07.2024.