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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

von dort nach dem einzig schönen Tempel Pi-pur-sse, der landschaftlich und
architektonisch zu dem Schönsten gehört, was wir überhaupt an Tempelbauten
gesehen haben. Von Pi-pur-sse ging es dann nach Peking zurück.

(Weitere Briefe folgen)




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
Julius R. Haarhaus von X.

Merge gab sich als Schülerin wirklich redliche Mühe. Jeden Morgen, wenn
ihr Gatte schon draußen auf dem Felde oder im Stall und Scheune tätig war,
oder wenn die Gubernatorin noch schlief, fand sie sich bei der Priorin ein und
buchstabierte mit heißen Wangen aus einem alten Bande der Frankfurter Relationen
den "Wider-Abzug deß Königs in Polen aus der Statt Dantzig" oder den "Feldzug
deß Fürsten in Siebenbürgen, Herrn Georgii Ragoczy, ins Königreich Polen".

Schwester Felicitas sprach und schrieb ihr jedes Wort vor und hatte die Genug¬
tuung, daß sich ihre Methode auss beste bewährte. Seltsamerweise fand die jung
Frau das Schreiben leichter als das Lesen, und wenn sich in ihrer ungelenken
Hand der Gänsekiel auch manchmal etwas widerspenstig zeigte, so gelang es ihr
doch, sich die Schriftzeichen schneller und fester einzuprägen als die verschnörkelten
Druckbuchstaben.

"Glaubt Ihr, daß ich bald einen Brief zustande bringe?" fragte sie eines
Tages ihre Lehrerin.

"Wenn du weiter so fleißig bist, wird es nicht mehr lange dauern," meinte
die geistliche Dame, glücklich über Mergens Eifer.

"Ach, das wäre herrlich I Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ich mich
darauf freue," sagte die junge Frau mit strahlenden Augen.

"Du möchtest wohl deinem Manne zum neuen Jahr eine lettre cZo isliLitation,
will sagen: einen Gratulationsbrief schreiben?"

"Ja -- das wohl auch," antwortete Merge etwas gedehnt, "aber die Haupt¬
sache ist doch, daß ich bald einen richtigen Brief schreiben kann."

"Und an wen möchtest du so einen richtigen Brief schreiben?"

"An den Mathias zu Wachendorf."

Sie sagte es ein wenig unsicher, und ihre Unsicherheit wuchs, als sie die
Augen ihrer Lehrerin mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens auf sich
gerichtet sah.

"So, so, also ein Kittel an den neveu! Und was willst du ihm mitteilen?"

Merge errötete bis zu den Schläfen, aber sie faßte sich ein Herz rend
sagte keck:


Das Glück des Hauses Rottland

von dort nach dem einzig schönen Tempel Pi-pur-sse, der landschaftlich und
architektonisch zu dem Schönsten gehört, was wir überhaupt an Tempelbauten
gesehen haben. Von Pi-pur-sse ging es dann nach Peking zurück.

(Weitere Briefe folgen)




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
Julius R. Haarhaus von X.

Merge gab sich als Schülerin wirklich redliche Mühe. Jeden Morgen, wenn
ihr Gatte schon draußen auf dem Felde oder im Stall und Scheune tätig war,
oder wenn die Gubernatorin noch schlief, fand sie sich bei der Priorin ein und
buchstabierte mit heißen Wangen aus einem alten Bande der Frankfurter Relationen
den „Wider-Abzug deß Königs in Polen aus der Statt Dantzig" oder den „Feldzug
deß Fürsten in Siebenbürgen, Herrn Georgii Ragoczy, ins Königreich Polen".

Schwester Felicitas sprach und schrieb ihr jedes Wort vor und hatte die Genug¬
tuung, daß sich ihre Methode auss beste bewährte. Seltsamerweise fand die jung
Frau das Schreiben leichter als das Lesen, und wenn sich in ihrer ungelenken
Hand der Gänsekiel auch manchmal etwas widerspenstig zeigte, so gelang es ihr
doch, sich die Schriftzeichen schneller und fester einzuprägen als die verschnörkelten
Druckbuchstaben.

„Glaubt Ihr, daß ich bald einen Brief zustande bringe?" fragte sie eines
Tages ihre Lehrerin.

„Wenn du weiter so fleißig bist, wird es nicht mehr lange dauern," meinte
die geistliche Dame, glücklich über Mergens Eifer.

„Ach, das wäre herrlich I Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ich mich
darauf freue," sagte die junge Frau mit strahlenden Augen.

„Du möchtest wohl deinem Manne zum neuen Jahr eine lettre cZo isliLitation,
will sagen: einen Gratulationsbrief schreiben?"

„Ja — das wohl auch," antwortete Merge etwas gedehnt, „aber die Haupt¬
sache ist doch, daß ich bald einen richtigen Brief schreiben kann."

„Und an wen möchtest du so einen richtigen Brief schreiben?"

„An den Mathias zu Wachendorf."

Sie sagte es ein wenig unsicher, und ihre Unsicherheit wuchs, als sie die
Augen ihrer Lehrerin mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens auf sich
gerichtet sah.

„So, so, also ein Kittel an den neveu! Und was willst du ihm mitteilen?"

Merge errötete bis zu den Schläfen, aber sie faßte sich ein Herz rend
sagte keck:


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[0343] Das Glück des Hauses Rottland von dort nach dem einzig schönen Tempel Pi-pur-sse, der landschaftlich und architektonisch zu dem Schönsten gehört, was wir überhaupt an Tempelbauten gesehen haben. Von Pi-pur-sse ging es dann nach Peking zurück. (Weitere Briefe folgen) Das Glück des Hauses Rottland Roman Julius R. Haarhaus von X. Merge gab sich als Schülerin wirklich redliche Mühe. Jeden Morgen, wenn ihr Gatte schon draußen auf dem Felde oder im Stall und Scheune tätig war, oder wenn die Gubernatorin noch schlief, fand sie sich bei der Priorin ein und buchstabierte mit heißen Wangen aus einem alten Bande der Frankfurter Relationen den „Wider-Abzug deß Königs in Polen aus der Statt Dantzig" oder den „Feldzug deß Fürsten in Siebenbürgen, Herrn Georgii Ragoczy, ins Königreich Polen". Schwester Felicitas sprach und schrieb ihr jedes Wort vor und hatte die Genug¬ tuung, daß sich ihre Methode auss beste bewährte. Seltsamerweise fand die jung Frau das Schreiben leichter als das Lesen, und wenn sich in ihrer ungelenken Hand der Gänsekiel auch manchmal etwas widerspenstig zeigte, so gelang es ihr doch, sich die Schriftzeichen schneller und fester einzuprägen als die verschnörkelten Druckbuchstaben. „Glaubt Ihr, daß ich bald einen Brief zustande bringe?" fragte sie eines Tages ihre Lehrerin. „Wenn du weiter so fleißig bist, wird es nicht mehr lange dauern," meinte die geistliche Dame, glücklich über Mergens Eifer. „Ach, das wäre herrlich I Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ich mich darauf freue," sagte die junge Frau mit strahlenden Augen. „Du möchtest wohl deinem Manne zum neuen Jahr eine lettre cZo isliLitation, will sagen: einen Gratulationsbrief schreiben?" „Ja — das wohl auch," antwortete Merge etwas gedehnt, „aber die Haupt¬ sache ist doch, daß ich bald einen richtigen Brief schreiben kann." „Und an wen möchtest du so einen richtigen Brief schreiben?" „An den Mathias zu Wachendorf." Sie sagte es ein wenig unsicher, und ihre Unsicherheit wuchs, als sie die Augen ihrer Lehrerin mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens auf sich gerichtet sah. „So, so, also ein Kittel an den neveu! Und was willst du ihm mitteilen?" Merge errötete bis zu den Schläfen, aber sie faßte sich ein Herz rend sagte keck:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/343>, abgerufen am 03.07.2024.