Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.Reichsspiegel Innere Politik Zusammentritt des Reichstags -- Beziehungen der Parteien zueinander -- Konser¬ vativ-nationalliberale Annäherung -- Freihandel oder Schutzzoll -- Ostmarkenfrage Die Volksboden sind an Dienstag wieder aus allen deutschen Gauen nach Die Frage der Aussöhnung zwischen Nationalliberalen und Reichsspiegel Innere Politik Zusammentritt des Reichstags — Beziehungen der Parteien zueinander — Konser¬ vativ-nationalliberale Annäherung — Freihandel oder Schutzzoll — Ostmarkenfrage Die Volksboden sind an Dienstag wieder aus allen deutschen Gauen nach Die Frage der Aussöhnung zwischen Nationalliberalen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319808"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_319600/figures/grenzboten_341893_319600_319808_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Innere Politik</head><lb/> <note type="argument"> Zusammentritt des Reichstags — Beziehungen der Parteien zueinander — Konser¬<lb/> vativ-nationalliberale Annäherung — Freihandel oder Schutzzoll — Ostmarkenfrage</note><lb/> <p xml:id="ID_856"> Die Volksboden sind an Dienstag wieder aus allen deutschen Gauen nach<lb/> Berlin gekommen, und der Reichstag hat seine Arbeiten nach vierundeinhalb-<lb/> monatlicher Pause wieder aufgenommen. Nicht gern, — sogar widerwillig!<lb/> Allen Abgeordneten liegt bereits die bevorstehende Wahl in den Gliedern, und<lb/> da von den bürgerlichen nur wenige mit bestimmter Sicherheit auf die Wieder¬<lb/> wahl rechnen dürfen, so ist man mit den Gedanken weniger bei den trockenen<lb/> Dingen der Gesetzgebung, als draußen bei den Wählern, und noch weniger als<lb/> sonst schon ist alles Trachten und Reden durch die Rücksicht auf die Sache als<lb/> auf den Eindruck im Wahlkreise beeinflußt. So stellt denn die Versammlung<lb/> im Wallotbau — einst das Ziel der heißesten Kämpfe der Nation — einen so<lb/> wenig erfreulichen Anblick dar, daß man leicht zu der Frage gelangen kann,<lb/> ob sie, die kostspielige und unproduktive Quelle so vieler Mißverständnisse und<lb/> so vielen Streites in ihrer heutigen Verfassung noch den Bedürfnissen<lb/> entspricht. In dem quirlenden Durcheinander von persönlichen Zielen und<lb/> Auffassungen, Ängsten und Verstimmungen scheint alles höher strebende,<lb/> auf das Allgemeine gerichtete Wollen untergegangen. Kleinlicher Eigennutz<lb/> triumphiert. Über dem Vaterlande die Partei und über der Partei das Ich!<lb/> Nur zwei Gruppen bewahren eine ruhigeHaltung und bringen dadurch zum Ausdruck,<lb/> daß sie sich als die Matadore des Heute und als Sieger des Morgen fühlen.<lb/> Sozialdemokraten und Zentrum, — diese von allen beneidet und von rechts<lb/> achtungsvoll behandelt, jene würdelos umbuhlt von den Gruppen der bürgerlichen<lb/> Linken. Von der Mitte her aber spinnen sich wieder Fäden nach rechts, und<lb/> von rechts zieht's schmeichelnd zur Mitte, und wie im Vorjahr sieht man<lb/> bestimmte Herren bald mit einem konservativen Abgeordneten bald mit einem<lb/> nationalliberalen eindringlich verhandeln. Was die mißlungene Neichsfinanz-<lb/> reform trennte, soll vor der Wahlschlacht noch zusammengeführt werden, dem<lb/> Ansturm der Noten zu begegnen. Das andere, tiefer gehende, das das Volk<lb/> in Herz und Gefühl trägt, wird als belanglos beiseite geschoben. Aber das<lb/> „Wirtschaftssystem", das ist wichtig!</p><lb/> <p xml:id="ID_857" next="#ID_858"> Die Frage der Aussöhnung zwischen Nationalliberalen und<lb/> Konservativen ist viel zu ernst und von viel zu großer Tragweite für die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Innere Politik
Zusammentritt des Reichstags — Beziehungen der Parteien zueinander — Konser¬
vativ-nationalliberale Annäherung — Freihandel oder Schutzzoll — Ostmarkenfrage
Die Volksboden sind an Dienstag wieder aus allen deutschen Gauen nach
Berlin gekommen, und der Reichstag hat seine Arbeiten nach vierundeinhalb-
monatlicher Pause wieder aufgenommen. Nicht gern, — sogar widerwillig!
Allen Abgeordneten liegt bereits die bevorstehende Wahl in den Gliedern, und
da von den bürgerlichen nur wenige mit bestimmter Sicherheit auf die Wieder¬
wahl rechnen dürfen, so ist man mit den Gedanken weniger bei den trockenen
Dingen der Gesetzgebung, als draußen bei den Wählern, und noch weniger als
sonst schon ist alles Trachten und Reden durch die Rücksicht auf die Sache als
auf den Eindruck im Wahlkreise beeinflußt. So stellt denn die Versammlung
im Wallotbau — einst das Ziel der heißesten Kämpfe der Nation — einen so
wenig erfreulichen Anblick dar, daß man leicht zu der Frage gelangen kann,
ob sie, die kostspielige und unproduktive Quelle so vieler Mißverständnisse und
so vielen Streites in ihrer heutigen Verfassung noch den Bedürfnissen
entspricht. In dem quirlenden Durcheinander von persönlichen Zielen und
Auffassungen, Ängsten und Verstimmungen scheint alles höher strebende,
auf das Allgemeine gerichtete Wollen untergegangen. Kleinlicher Eigennutz
triumphiert. Über dem Vaterlande die Partei und über der Partei das Ich!
Nur zwei Gruppen bewahren eine ruhigeHaltung und bringen dadurch zum Ausdruck,
daß sie sich als die Matadore des Heute und als Sieger des Morgen fühlen.
Sozialdemokraten und Zentrum, — diese von allen beneidet und von rechts
achtungsvoll behandelt, jene würdelos umbuhlt von den Gruppen der bürgerlichen
Linken. Von der Mitte her aber spinnen sich wieder Fäden nach rechts, und
von rechts zieht's schmeichelnd zur Mitte, und wie im Vorjahr sieht man
bestimmte Herren bald mit einem konservativen Abgeordneten bald mit einem
nationalliberalen eindringlich verhandeln. Was die mißlungene Neichsfinanz-
reform trennte, soll vor der Wahlschlacht noch zusammengeführt werden, dem
Ansturm der Noten zu begegnen. Das andere, tiefer gehende, das das Volk
in Herz und Gefühl trägt, wird als belanglos beiseite geschoben. Aber das
„Wirtschaftssystem", das ist wichtig!
Die Frage der Aussöhnung zwischen Nationalliberalen und
Konservativen ist viel zu ernst und von viel zu großer Tragweite für die
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