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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Inkognito

Inkognito
Geschichte einer Wanderung
von "Lari Niebuhr

^"V?M!pät und nebelumdampft trat die Sonne über den Horizont des
Herbstmorgens. Sie gab dem dunklen Bergwall des Harzgebirges
wieder Gestalt, und sie weckte zugleich Leben in dem kleinen Städtchen
Osterode an seinem Fuße. Aus den Essen der roten Ziegeldächer
I begannen feine Rauchschwaden aufzuquellen, die Kühe versammelten
sich gemächlich auf dem langgestreckten Marktplatze, um dann im Läutemarsch dem
Hüter und seinen Hunden waldwärts zu folgen. Am Brunnen wechselten die
Gruppen wasserholender Kübel- und EimertrKgerinnen, und vor dem Hoftor des
Gasthofs zum "Weißen Roß" schüttelten die vier derben Frachtgäule klirrend ihren
Messingschmuck. Der Fuhrknecht im blauen Hemdkittel prüfte noch einmal das
Radwerk des festbeladenen Planwagens; es dauerte eine gute Weile, bis er sich
überzeugt hatte, sür die Unbilden des langen, schlechten und steilen Bergweges
genügend vorbereitet zu sein. Dann gellte die Peitsche, der Spitz setzte sich lärmend
in Trab und umkreiste ermunternd die gelassen anziehenden Pferde.

Der Wirt des "Weißen Rosses" blickte gewohnheitsmäßig dem Gefährt nach,
bis ihn eine Stimme im Hause an den Beginn seiner Obliegenheiten mahnte.
Das war der Göttinger Student "mit dem hübschen Gesicht", der gestern Abend
als bestäubter Wandersmann angekommen und jetzt schon wieder reisefertig war --
zum Leidwesen der Stubenmagd, die das Gesicht des Gastes zuerst so günstig
beurteilt hatte und die ihm jetzt den Morgenkaffee brachte. Man täte unrecht, zu
verschweigen, daß der nette junge Mann für so viel Sympathie auch mit der
Erwiderung nicht kargte. Dadurch wurde das Servieren zu einem umständlichen
Geschäft, bis das Erscheinen des Wirtes im Gastzimmer ihm eine Wendung ins
Korrekte gab und dem verstohlen lächelnden Mädchen die rasche Beendigung
nahelegte.

Er nahm die Dazwischenkunft von der besten Seite, der Herr Doktor aus
Göttingen, und bald hatte der behäbige Wirt über alles mögliche Rede zu stehen.
Der genußreichste Weg nach Klausthal? Soundso; immer links oben, dann in
der Fahrstraße. Jawohl, das Wetter verspräche sicher, freundlich zu bleiben.
"Wie ein guter Wirt es den Gästen auch schuldig ist," bestätigte der Fragesteller
darauf etwas notare. -- Die Schloßruine dort drüben? Aber gewiß, sehr lohnend.

Eine Viertelstunde später trat der Fremdling den Weg dorthin an. Seine
schlanke Gestalt im Verein mit der Kleidung -- grüne Mütze, brauner Überrock,
gestreifte Weste, gelbe Pantalons, dazu ein Tornister aus grünem Wachsleinen --
fiel auf. Aus mehr als einem Fenster blickten neugierige Augen dem Wanderer
nach. Besonders die Bewohner des Hauses gegenüber dem "Weißen Roß" schien
die Erscheinung zu fesseln, und als braver Nachbar verfehlte der Wirt nicht, gleich
darauf hinüberzuspazicren und sein Wissen freiwillig anzubringen.

"Sieh, sieh", unterbrach er sich nach den ersten Worten. "Der Herr Vetter
zum Besuch, -- wußte ich gar nicht. Gehorsamster Diener, Herr Oberamts-
sekretarius Deppe. Sind wieder kerngesund, denke ich mit allem Respekt."


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Geschichte einer Wanderung
von «Lari Niebuhr

^«V?M!pät und nebelumdampft trat die Sonne über den Horizont des
Herbstmorgens. Sie gab dem dunklen Bergwall des Harzgebirges
wieder Gestalt, und sie weckte zugleich Leben in dem kleinen Städtchen
Osterode an seinem Fuße. Aus den Essen der roten Ziegeldächer
I begannen feine Rauchschwaden aufzuquellen, die Kühe versammelten
sich gemächlich auf dem langgestreckten Marktplatze, um dann im Läutemarsch dem
Hüter und seinen Hunden waldwärts zu folgen. Am Brunnen wechselten die
Gruppen wasserholender Kübel- und EimertrKgerinnen, und vor dem Hoftor des
Gasthofs zum „Weißen Roß" schüttelten die vier derben Frachtgäule klirrend ihren
Messingschmuck. Der Fuhrknecht im blauen Hemdkittel prüfte noch einmal das
Radwerk des festbeladenen Planwagens; es dauerte eine gute Weile, bis er sich
überzeugt hatte, sür die Unbilden des langen, schlechten und steilen Bergweges
genügend vorbereitet zu sein. Dann gellte die Peitsche, der Spitz setzte sich lärmend
in Trab und umkreiste ermunternd die gelassen anziehenden Pferde.

Der Wirt des „Weißen Rosses" blickte gewohnheitsmäßig dem Gefährt nach,
bis ihn eine Stimme im Hause an den Beginn seiner Obliegenheiten mahnte.
Das war der Göttinger Student „mit dem hübschen Gesicht", der gestern Abend
als bestäubter Wandersmann angekommen und jetzt schon wieder reisefertig war —
zum Leidwesen der Stubenmagd, die das Gesicht des Gastes zuerst so günstig
beurteilt hatte und die ihm jetzt den Morgenkaffee brachte. Man täte unrecht, zu
verschweigen, daß der nette junge Mann für so viel Sympathie auch mit der
Erwiderung nicht kargte. Dadurch wurde das Servieren zu einem umständlichen
Geschäft, bis das Erscheinen des Wirtes im Gastzimmer ihm eine Wendung ins
Korrekte gab und dem verstohlen lächelnden Mädchen die rasche Beendigung
nahelegte.

Er nahm die Dazwischenkunft von der besten Seite, der Herr Doktor aus
Göttingen, und bald hatte der behäbige Wirt über alles mögliche Rede zu stehen.
Der genußreichste Weg nach Klausthal? Soundso; immer links oben, dann in
der Fahrstraße. Jawohl, das Wetter verspräche sicher, freundlich zu bleiben.
„Wie ein guter Wirt es den Gästen auch schuldig ist," bestätigte der Fragesteller
darauf etwas notare. — Die Schloßruine dort drüben? Aber gewiß, sehr lohnend.

Eine Viertelstunde später trat der Fremdling den Weg dorthin an. Seine
schlanke Gestalt im Verein mit der Kleidung — grüne Mütze, brauner Überrock,
gestreifte Weste, gelbe Pantalons, dazu ein Tornister aus grünem Wachsleinen —
fiel auf. Aus mehr als einem Fenster blickten neugierige Augen dem Wanderer
nach. Besonders die Bewohner des Hauses gegenüber dem „Weißen Roß" schien
die Erscheinung zu fesseln, und als braver Nachbar verfehlte der Wirt nicht, gleich
darauf hinüberzuspazicren und sein Wissen freiwillig anzubringen.

„Sieh, sieh", unterbrach er sich nach den ersten Worten. „Der Herr Vetter
zum Besuch, — wußte ich gar nicht. Gehorsamster Diener, Herr Oberamts-
sekretarius Deppe. Sind wieder kerngesund, denke ich mit allem Respekt."


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[0092] Inkognito Inkognito Geschichte einer Wanderung von «Lari Niebuhr ^«V?M!pät und nebelumdampft trat die Sonne über den Horizont des Herbstmorgens. Sie gab dem dunklen Bergwall des Harzgebirges wieder Gestalt, und sie weckte zugleich Leben in dem kleinen Städtchen Osterode an seinem Fuße. Aus den Essen der roten Ziegeldächer I begannen feine Rauchschwaden aufzuquellen, die Kühe versammelten sich gemächlich auf dem langgestreckten Marktplatze, um dann im Läutemarsch dem Hüter und seinen Hunden waldwärts zu folgen. Am Brunnen wechselten die Gruppen wasserholender Kübel- und EimertrKgerinnen, und vor dem Hoftor des Gasthofs zum „Weißen Roß" schüttelten die vier derben Frachtgäule klirrend ihren Messingschmuck. Der Fuhrknecht im blauen Hemdkittel prüfte noch einmal das Radwerk des festbeladenen Planwagens; es dauerte eine gute Weile, bis er sich überzeugt hatte, sür die Unbilden des langen, schlechten und steilen Bergweges genügend vorbereitet zu sein. Dann gellte die Peitsche, der Spitz setzte sich lärmend in Trab und umkreiste ermunternd die gelassen anziehenden Pferde. Der Wirt des „Weißen Rosses" blickte gewohnheitsmäßig dem Gefährt nach, bis ihn eine Stimme im Hause an den Beginn seiner Obliegenheiten mahnte. Das war der Göttinger Student „mit dem hübschen Gesicht", der gestern Abend als bestäubter Wandersmann angekommen und jetzt schon wieder reisefertig war — zum Leidwesen der Stubenmagd, die das Gesicht des Gastes zuerst so günstig beurteilt hatte und die ihm jetzt den Morgenkaffee brachte. Man täte unrecht, zu verschweigen, daß der nette junge Mann für so viel Sympathie auch mit der Erwiderung nicht kargte. Dadurch wurde das Servieren zu einem umständlichen Geschäft, bis das Erscheinen des Wirtes im Gastzimmer ihm eine Wendung ins Korrekte gab und dem verstohlen lächelnden Mädchen die rasche Beendigung nahelegte. Er nahm die Dazwischenkunft von der besten Seite, der Herr Doktor aus Göttingen, und bald hatte der behäbige Wirt über alles mögliche Rede zu stehen. Der genußreichste Weg nach Klausthal? Soundso; immer links oben, dann in der Fahrstraße. Jawohl, das Wetter verspräche sicher, freundlich zu bleiben. „Wie ein guter Wirt es den Gästen auch schuldig ist," bestätigte der Fragesteller darauf etwas notare. — Die Schloßruine dort drüben? Aber gewiß, sehr lohnend. Eine Viertelstunde später trat der Fremdling den Weg dorthin an. Seine schlanke Gestalt im Verein mit der Kleidung — grüne Mütze, brauner Überrock, gestreifte Weste, gelbe Pantalons, dazu ein Tornister aus grünem Wachsleinen — fiel auf. Aus mehr als einem Fenster blickten neugierige Augen dem Wanderer nach. Besonders die Bewohner des Hauses gegenüber dem „Weißen Roß" schien die Erscheinung zu fesseln, und als braver Nachbar verfehlte der Wirt nicht, gleich darauf hinüberzuspazicren und sein Wissen freiwillig anzubringen. „Sieh, sieh", unterbrach er sich nach den ersten Worten. „Der Herr Vetter zum Besuch, — wußte ich gar nicht. Gehorsamster Diener, Herr Oberamts- sekretarius Deppe. Sind wieder kerngesund, denke ich mit allem Respekt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/92>, abgerufen am 29.12.2024.