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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne

Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne
von Dr, w, Warflat

us hat anscheinend eine ganz folgerichtige Entwicklung zum Natur¬
theater, zur Freilichtbühne geführt.

Das naturalistische Drama verlangte von der Regiekunst auf
der Bühne auch eine möglichst naturalistische Ausstattung. Das
Detail wurde von: Dichter und vom Regisseur mit gleicher Sorgfalt
behandelt, die naturalistische Einzelheit wurde als besonders wertvoll und zweck¬
dienlich angesehen.

Das naturalistische Drama liegt in den letzten Zügen, ja, manche sagen,
es sei schon gestorben. Darüber wollen wir hier nicht streiten.

Eines steht aber fest! Die naturalistische Bühne, die sich das naturalistische
Drama geschaffen hat, wirkt heute nur noch als Form, und zwar als tote Form
auf die Zeitgenossen. Das läßt sich an verschiedenen Anzeichen erkennen.

Wenn aus der künstlerischen Form der entsprechende Inhalt weicht, wenn
die Form erstarrt und zur Manier wird, so fängt eine weiterstrebende Zeit mit
der alten Form zu experimentieren an, falls sich ihr nicht ein neuer Inhalt
bietet, den sie in ganz neuen Formen gestalten kann.

Aus dem Umstand, daß unsere Zeit ein Zeitalter des Experimentiereus
an der Bühnenform ist, daß sie den Entwicklungsgang eines Reinhardt vom
Juliner und Künstlertheater bis zum Zirkus gesehen und getragen hat, daraus
dürfen wir zuerst also wohl schließen, daß es vorläufig an einem neuen und
gewaltigen Inhalt für unser Bühnenschaffen fehlt, dann aber, daß auch die
Freilichtbühne eine Erscheinung unseres Theaterlebens ist, die man als Resultat
jenes Experimentiereus mit der Form, als eine Wucherung, einen Auswuchs
der Form ansehen muß.

In einer solchen Bezeichnung liegt zugleich eine Kritik. Diese Kritik soll
aber nicht eine radikal-vernichtende sein, sie soll vielmehr sich nur auf das
Ungesunde und Lebenswidrige richten und es zu beseitigen suchen, dagegen
alles Lebenskräftige, das Wertvolle hervorheben und es womöglich in seiner
Weiterentwicklung und in seinem Bestände fördern.

Der Gedanke liegt für eine naturalistische Kunst, die allem Zufälligen der
Natur nacheifert, gar nicht so ferne, anstatt eines naturalistischen Milieus die
Natur selbst bühnentechnisch zu verwenden und die Bühne ins Freie, in die
Natur zu verlegen.

Die "Freilichtbühne" war fertig, und in diesem Namen schuf man sich gleichsam
einen Präjudizfall, indem man ihn an "Freilichtmalerei" anklingen ließ.
"

Unsere heutige Freilichtbühne ist also eine "naturalistische Freilichtbühne,
wenn man so sagen darf; und man darf es.


Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne

Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne
von Dr, w, Warflat

us hat anscheinend eine ganz folgerichtige Entwicklung zum Natur¬
theater, zur Freilichtbühne geführt.

Das naturalistische Drama verlangte von der Regiekunst auf
der Bühne auch eine möglichst naturalistische Ausstattung. Das
Detail wurde von: Dichter und vom Regisseur mit gleicher Sorgfalt
behandelt, die naturalistische Einzelheit wurde als besonders wertvoll und zweck¬
dienlich angesehen.

Das naturalistische Drama liegt in den letzten Zügen, ja, manche sagen,
es sei schon gestorben. Darüber wollen wir hier nicht streiten.

Eines steht aber fest! Die naturalistische Bühne, die sich das naturalistische
Drama geschaffen hat, wirkt heute nur noch als Form, und zwar als tote Form
auf die Zeitgenossen. Das läßt sich an verschiedenen Anzeichen erkennen.

Wenn aus der künstlerischen Form der entsprechende Inhalt weicht, wenn
die Form erstarrt und zur Manier wird, so fängt eine weiterstrebende Zeit mit
der alten Form zu experimentieren an, falls sich ihr nicht ein neuer Inhalt
bietet, den sie in ganz neuen Formen gestalten kann.

Aus dem Umstand, daß unsere Zeit ein Zeitalter des Experimentiereus
an der Bühnenform ist, daß sie den Entwicklungsgang eines Reinhardt vom
Juliner und Künstlertheater bis zum Zirkus gesehen und getragen hat, daraus
dürfen wir zuerst also wohl schließen, daß es vorläufig an einem neuen und
gewaltigen Inhalt für unser Bühnenschaffen fehlt, dann aber, daß auch die
Freilichtbühne eine Erscheinung unseres Theaterlebens ist, die man als Resultat
jenes Experimentiereus mit der Form, als eine Wucherung, einen Auswuchs
der Form ansehen muß.

In einer solchen Bezeichnung liegt zugleich eine Kritik. Diese Kritik soll
aber nicht eine radikal-vernichtende sein, sie soll vielmehr sich nur auf das
Ungesunde und Lebenswidrige richten und es zu beseitigen suchen, dagegen
alles Lebenskräftige, das Wertvolle hervorheben und es womöglich in seiner
Weiterentwicklung und in seinem Bestände fördern.

Der Gedanke liegt für eine naturalistische Kunst, die allem Zufälligen der
Natur nacheifert, gar nicht so ferne, anstatt eines naturalistischen Milieus die
Natur selbst bühnentechnisch zu verwenden und die Bühne ins Freie, in die
Natur zu verlegen.

Die „Freilichtbühne" war fertig, und in diesem Namen schuf man sich gleichsam
einen Präjudizfall, indem man ihn an „Freilichtmalerei" anklingen ließ.
"

Unsere heutige Freilichtbühne ist also eine „naturalistische Freilichtbühne,
wenn man so sagen darf; und man darf es.


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[0453] Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne von Dr, w, Warflat us hat anscheinend eine ganz folgerichtige Entwicklung zum Natur¬ theater, zur Freilichtbühne geführt. Das naturalistische Drama verlangte von der Regiekunst auf der Bühne auch eine möglichst naturalistische Ausstattung. Das Detail wurde von: Dichter und vom Regisseur mit gleicher Sorgfalt behandelt, die naturalistische Einzelheit wurde als besonders wertvoll und zweck¬ dienlich angesehen. Das naturalistische Drama liegt in den letzten Zügen, ja, manche sagen, es sei schon gestorben. Darüber wollen wir hier nicht streiten. Eines steht aber fest! Die naturalistische Bühne, die sich das naturalistische Drama geschaffen hat, wirkt heute nur noch als Form, und zwar als tote Form auf die Zeitgenossen. Das läßt sich an verschiedenen Anzeichen erkennen. Wenn aus der künstlerischen Form der entsprechende Inhalt weicht, wenn die Form erstarrt und zur Manier wird, so fängt eine weiterstrebende Zeit mit der alten Form zu experimentieren an, falls sich ihr nicht ein neuer Inhalt bietet, den sie in ganz neuen Formen gestalten kann. Aus dem Umstand, daß unsere Zeit ein Zeitalter des Experimentiereus an der Bühnenform ist, daß sie den Entwicklungsgang eines Reinhardt vom Juliner und Künstlertheater bis zum Zirkus gesehen und getragen hat, daraus dürfen wir zuerst also wohl schließen, daß es vorläufig an einem neuen und gewaltigen Inhalt für unser Bühnenschaffen fehlt, dann aber, daß auch die Freilichtbühne eine Erscheinung unseres Theaterlebens ist, die man als Resultat jenes Experimentiereus mit der Form, als eine Wucherung, einen Auswuchs der Form ansehen muß. In einer solchen Bezeichnung liegt zugleich eine Kritik. Diese Kritik soll aber nicht eine radikal-vernichtende sein, sie soll vielmehr sich nur auf das Ungesunde und Lebenswidrige richten und es zu beseitigen suchen, dagegen alles Lebenskräftige, das Wertvolle hervorheben und es womöglich in seiner Weiterentwicklung und in seinem Bestände fördern. Der Gedanke liegt für eine naturalistische Kunst, die allem Zufälligen der Natur nacheifert, gar nicht so ferne, anstatt eines naturalistischen Milieus die Natur selbst bühnentechnisch zu verwenden und die Bühne ins Freie, in die Natur zu verlegen. Die „Freilichtbühne" war fertig, und in diesem Namen schuf man sich gleichsam einen Präjudizfall, indem man ihn an „Freilichtmalerei" anklingen ließ. " Unsere heutige Freilichtbühne ist also eine „naturalistische Freilichtbühne, wenn man so sagen darf; und man darf es.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/453>, abgerufen am 29.12.2024.