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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Ansstellungsreisc

bezieht, rafft er sich auf, steigt nieder und hat auf der Piazza del Popolo, im
Angesicht der Pforte Berninis, die weiße Stadt der Kunst dort oben vergessen.


Florenz

Und wieder rufen den Kunstmüden Bilder an: Florenz hat den Riesenblock
des Palazzo Vecchio mit einer Ausstellung von Porträts erfüllt und so mehr
als drei Jahrhunderte in ihren besten Menschen zu kurzem, gemeinsamen
Schattenleben wieder erweckt. Am tiefsten bleibt der erste Eindruck an der
Schwelle jener Sala del Consiglio, an deren Wänden sich die Kunst des
Michelangelo mit jener des Leonardo da Vinci hatte messen sollen, ungeheuerster
Wettstreit aller Völker und Zeiten, von dem nur Zeichnungen Ahnung lassen:
die Pläne der Schlacht von Anghiari und eines Überfalls auf badende Krieger.
Heute tragen diese Wände die Malereien des Vasari aus Arezzo. Aber jetzt
stehen, nach den Linien des Saales geordnet, lebensgroße Bildnisse auf Staffeleien,
die meisten von der Hand des Vlamen Sustermans, in dem man mit einemmal
einen großen Künstler wahrnimmt. Unvergeßlich aus der Fülle bleibt das Bild
Katherinas der Zweiten von Rußland, aus dem Winterpalais geliehen, eine
Überraschung des sonst konventionellen Wiener Hofmalers Lamvi, nicht minder
jener starke, auf sein Gewehr gestützte Kriegsmann Borgognones und einer
jungen, schönen Genueserin edel träumende Gestalt, die Carbone unvergleichlich
gemalt hat. Und nun beginnt die Wanderung durch die Säle, vorbei an
Bildern kleiner Künstler, vorbei an Gemälden, auf denen Blick und Züge des
Dargestellten den Reiz des Lebens, nicht aber den der Kunst ausüben. Garibaldis
Löwenhaupt mit diamantenem Augen rettet den Namen des Malers Gollino,
ein Bild des Dichters Manzoni bringt den einst gefeierten Venezianer Hanez zu
neuen Ehren. Man lernt längst Vergessene wie Ciseri, Bezzuoli, Palizzi, Morelli
als ehrlich Strebende gerne achten und will den Namen eines bescheidenen
Porträtisten, Gordigiani, um dessentwillen bewahren, daß er Robert und Elisabeth'
Browning gemalt hat. Ja, er hat sie so gemalt, daß die Phantasie eines
Liebenden oder nur Bewundernden seinen hohen und ihren schmerzvollen Blick
mit Leben gefüllt, gewahren mag und gern ergänzt sie, wo die Kraft des
Künstlers -- auf einem Weg aus solcher Tiefe! -- versagen muß. -- Das
zweite Stockwerk zeigt größere Ferne: Die letzten Venezianer: Tiepolo, Pitloni,
Belotti, der mit dem wohlgelungenen Porträt eines Edelmanns überrascht. Ein
Bild Peters des Großen von Casanovas Bruder, glatt gemalt, räumt der Person
des Künstlers noch das stärkste Interesse ein. Aber Gemälde von Batoni führen
zur Kunst wieder zurück, nur sein Porträt Winckelmanns lenkt zum Dargestellten
leise ab. Ihn hat auch Mengs, der hier glänzend zur Geltung kommt, weitaus
besser gemalt. Und jetzt begegnen wir der göttlichen Angelika wieder, deren
"Kardinal Rezzonico" alles um sich her übertrifft, sehen eine lange Reihe ver¬
schiedener Canova-Porträts und fühlen uns zu dem edlen, schwärmerischen
Antlitz leise hingezogen, bis uns Lamvi mit starkem Farbenschein wegzieht und
uns aufs neue ins Bewundern bringt. Höher steigen wir in die Geschichte


Italienische Ansstellungsreisc

bezieht, rafft er sich auf, steigt nieder und hat auf der Piazza del Popolo, im
Angesicht der Pforte Berninis, die weiße Stadt der Kunst dort oben vergessen.


Florenz

Und wieder rufen den Kunstmüden Bilder an: Florenz hat den Riesenblock
des Palazzo Vecchio mit einer Ausstellung von Porträts erfüllt und so mehr
als drei Jahrhunderte in ihren besten Menschen zu kurzem, gemeinsamen
Schattenleben wieder erweckt. Am tiefsten bleibt der erste Eindruck an der
Schwelle jener Sala del Consiglio, an deren Wänden sich die Kunst des
Michelangelo mit jener des Leonardo da Vinci hatte messen sollen, ungeheuerster
Wettstreit aller Völker und Zeiten, von dem nur Zeichnungen Ahnung lassen:
die Pläne der Schlacht von Anghiari und eines Überfalls auf badende Krieger.
Heute tragen diese Wände die Malereien des Vasari aus Arezzo. Aber jetzt
stehen, nach den Linien des Saales geordnet, lebensgroße Bildnisse auf Staffeleien,
die meisten von der Hand des Vlamen Sustermans, in dem man mit einemmal
einen großen Künstler wahrnimmt. Unvergeßlich aus der Fülle bleibt das Bild
Katherinas der Zweiten von Rußland, aus dem Winterpalais geliehen, eine
Überraschung des sonst konventionellen Wiener Hofmalers Lamvi, nicht minder
jener starke, auf sein Gewehr gestützte Kriegsmann Borgognones und einer
jungen, schönen Genueserin edel träumende Gestalt, die Carbone unvergleichlich
gemalt hat. Und nun beginnt die Wanderung durch die Säle, vorbei an
Bildern kleiner Künstler, vorbei an Gemälden, auf denen Blick und Züge des
Dargestellten den Reiz des Lebens, nicht aber den der Kunst ausüben. Garibaldis
Löwenhaupt mit diamantenem Augen rettet den Namen des Malers Gollino,
ein Bild des Dichters Manzoni bringt den einst gefeierten Venezianer Hanez zu
neuen Ehren. Man lernt längst Vergessene wie Ciseri, Bezzuoli, Palizzi, Morelli
als ehrlich Strebende gerne achten und will den Namen eines bescheidenen
Porträtisten, Gordigiani, um dessentwillen bewahren, daß er Robert und Elisabeth'
Browning gemalt hat. Ja, er hat sie so gemalt, daß die Phantasie eines
Liebenden oder nur Bewundernden seinen hohen und ihren schmerzvollen Blick
mit Leben gefüllt, gewahren mag und gern ergänzt sie, wo die Kraft des
Künstlers — auf einem Weg aus solcher Tiefe! — versagen muß. — Das
zweite Stockwerk zeigt größere Ferne: Die letzten Venezianer: Tiepolo, Pitloni,
Belotti, der mit dem wohlgelungenen Porträt eines Edelmanns überrascht. Ein
Bild Peters des Großen von Casanovas Bruder, glatt gemalt, räumt der Person
des Künstlers noch das stärkste Interesse ein. Aber Gemälde von Batoni führen
zur Kunst wieder zurück, nur sein Porträt Winckelmanns lenkt zum Dargestellten
leise ab. Ihn hat auch Mengs, der hier glänzend zur Geltung kommt, weitaus
besser gemalt. Und jetzt begegnen wir der göttlichen Angelika wieder, deren
„Kardinal Rezzonico" alles um sich her übertrifft, sehen eine lange Reihe ver¬
schiedener Canova-Porträts und fühlen uns zu dem edlen, schwärmerischen
Antlitz leise hingezogen, bis uns Lamvi mit starkem Farbenschein wegzieht und
uns aufs neue ins Bewundern bringt. Höher steigen wir in die Geschichte


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[0434] Italienische Ansstellungsreisc bezieht, rafft er sich auf, steigt nieder und hat auf der Piazza del Popolo, im Angesicht der Pforte Berninis, die weiße Stadt der Kunst dort oben vergessen. Florenz Und wieder rufen den Kunstmüden Bilder an: Florenz hat den Riesenblock des Palazzo Vecchio mit einer Ausstellung von Porträts erfüllt und so mehr als drei Jahrhunderte in ihren besten Menschen zu kurzem, gemeinsamen Schattenleben wieder erweckt. Am tiefsten bleibt der erste Eindruck an der Schwelle jener Sala del Consiglio, an deren Wänden sich die Kunst des Michelangelo mit jener des Leonardo da Vinci hatte messen sollen, ungeheuerster Wettstreit aller Völker und Zeiten, von dem nur Zeichnungen Ahnung lassen: die Pläne der Schlacht von Anghiari und eines Überfalls auf badende Krieger. Heute tragen diese Wände die Malereien des Vasari aus Arezzo. Aber jetzt stehen, nach den Linien des Saales geordnet, lebensgroße Bildnisse auf Staffeleien, die meisten von der Hand des Vlamen Sustermans, in dem man mit einemmal einen großen Künstler wahrnimmt. Unvergeßlich aus der Fülle bleibt das Bild Katherinas der Zweiten von Rußland, aus dem Winterpalais geliehen, eine Überraschung des sonst konventionellen Wiener Hofmalers Lamvi, nicht minder jener starke, auf sein Gewehr gestützte Kriegsmann Borgognones und einer jungen, schönen Genueserin edel träumende Gestalt, die Carbone unvergleichlich gemalt hat. Und nun beginnt die Wanderung durch die Säle, vorbei an Bildern kleiner Künstler, vorbei an Gemälden, auf denen Blick und Züge des Dargestellten den Reiz des Lebens, nicht aber den der Kunst ausüben. Garibaldis Löwenhaupt mit diamantenem Augen rettet den Namen des Malers Gollino, ein Bild des Dichters Manzoni bringt den einst gefeierten Venezianer Hanez zu neuen Ehren. Man lernt längst Vergessene wie Ciseri, Bezzuoli, Palizzi, Morelli als ehrlich Strebende gerne achten und will den Namen eines bescheidenen Porträtisten, Gordigiani, um dessentwillen bewahren, daß er Robert und Elisabeth' Browning gemalt hat. Ja, er hat sie so gemalt, daß die Phantasie eines Liebenden oder nur Bewundernden seinen hohen und ihren schmerzvollen Blick mit Leben gefüllt, gewahren mag und gern ergänzt sie, wo die Kraft des Künstlers — auf einem Weg aus solcher Tiefe! — versagen muß. — Das zweite Stockwerk zeigt größere Ferne: Die letzten Venezianer: Tiepolo, Pitloni, Belotti, der mit dem wohlgelungenen Porträt eines Edelmanns überrascht. Ein Bild Peters des Großen von Casanovas Bruder, glatt gemalt, räumt der Person des Künstlers noch das stärkste Interesse ein. Aber Gemälde von Batoni führen zur Kunst wieder zurück, nur sein Porträt Winckelmanns lenkt zum Dargestellten leise ab. Ihn hat auch Mengs, der hier glänzend zur Geltung kommt, weitaus besser gemalt. Und jetzt begegnen wir der göttlichen Angelika wieder, deren „Kardinal Rezzonico" alles um sich her übertrifft, sehen eine lange Reihe ver¬ schiedener Canova-Porträts und fühlen uns zu dem edlen, schwärmerischen Antlitz leise hingezogen, bis uns Lamvi mit starkem Farbenschein wegzieht und uns aufs neue ins Bewundern bringt. Höher steigen wir in die Geschichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/434>, abgerufen am 29.12.2024.