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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief
Von Dr. lNanretanns

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DMle in den letzten Zeiten vor dem Untergang der Sultansherrlichkeit
des Mulay Abdul Asts wütet auch jetzt wieder der Aufruhr unab¬
hängiger Stämme vor den Toren des heiligen Fes, und noch kann
niemand sagen, ob nicht auch Mulay Hafid ihm zum Opfer
fallen wird.

Eines aber ist sicher: Frankreich wird, wenn die Sultansherrlichkeit ernstlich
in Gefahr geraten sollte, diesmal keinen Augenblick zögern, seinen Schützling
mit allen ihm zu Gebote stehenden Machtmitteln zu halten, und deshalb muß
sich Europa darauf gefaßt machen, eines Tages die algerischen und senegalesischen
Schützenbataillone in der marokkanischen Hauptstadt zu sehen.

Damit wäre die marokkanische Frage in ein neues Stadium getreten und
die Grundlage der Algecirasakte völlig aufgegeben. Es mag sehr zweifelhaft
sein, ob die kühler Denkenden unter den französischen Politikern von einer solchen
Expedition sehr erbaut sind, denn sie würde die Veranlassung zu neuem Gedanken¬
austausch mit den übrigen Mächten werden und bei der gegenwärtigen politischen
Konstellation dürfte sein Erfolg vielleicht recht zweifelhaft sein.

Sollte es aber zu einer militärischen Intervention in Fes kommen, so
muß auf einen Umstand nachdrücklichst hingewiesen werden:

Nach allen bisherigen Nachrichten richtet sich die jetzige Bewegung nicht
gegen die Europäer, sondern nur gegen den Sultan. In dem Augenblick aber,
wo französische Truppen gegen die Hauptstadt marschieren, kommt es bei den
aufrührerischen Stämmen unfehlbar zum heiligen Kriege, und dann ist kein
Europäer im Innern seines Lebens mehr sicher! Eine etwaige Intervention
kann also die ernstesten Folgen haben.


GrenzSoten II 1911 26


Marokkanischer Brief
Von Dr. lNanretanns

MH>
DMle in den letzten Zeiten vor dem Untergang der Sultansherrlichkeit
des Mulay Abdul Asts wütet auch jetzt wieder der Aufruhr unab¬
hängiger Stämme vor den Toren des heiligen Fes, und noch kann
niemand sagen, ob nicht auch Mulay Hafid ihm zum Opfer
fallen wird.

Eines aber ist sicher: Frankreich wird, wenn die Sultansherrlichkeit ernstlich
in Gefahr geraten sollte, diesmal keinen Augenblick zögern, seinen Schützling
mit allen ihm zu Gebote stehenden Machtmitteln zu halten, und deshalb muß
sich Europa darauf gefaßt machen, eines Tages die algerischen und senegalesischen
Schützenbataillone in der marokkanischen Hauptstadt zu sehen.

Damit wäre die marokkanische Frage in ein neues Stadium getreten und
die Grundlage der Algecirasakte völlig aufgegeben. Es mag sehr zweifelhaft
sein, ob die kühler Denkenden unter den französischen Politikern von einer solchen
Expedition sehr erbaut sind, denn sie würde die Veranlassung zu neuem Gedanken¬
austausch mit den übrigen Mächten werden und bei der gegenwärtigen politischen
Konstellation dürfte sein Erfolg vielleicht recht zweifelhaft sein.

Sollte es aber zu einer militärischen Intervention in Fes kommen, so
muß auf einen Umstand nachdrücklichst hingewiesen werden:

Nach allen bisherigen Nachrichten richtet sich die jetzige Bewegung nicht
gegen die Europäer, sondern nur gegen den Sultan. In dem Augenblick aber,
wo französische Truppen gegen die Hauptstadt marschieren, kommt es bei den
aufrührerischen Stämmen unfehlbar zum heiligen Kriege, und dann ist kein
Europäer im Innern seines Lebens mehr sicher! Eine etwaige Intervention
kann also die ernstesten Folgen haben.


GrenzSoten II 1911 26
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[0205] [Abbildung] Marokkanischer Brief Von Dr. lNanretanns MH> DMle in den letzten Zeiten vor dem Untergang der Sultansherrlichkeit des Mulay Abdul Asts wütet auch jetzt wieder der Aufruhr unab¬ hängiger Stämme vor den Toren des heiligen Fes, und noch kann niemand sagen, ob nicht auch Mulay Hafid ihm zum Opfer fallen wird. Eines aber ist sicher: Frankreich wird, wenn die Sultansherrlichkeit ernstlich in Gefahr geraten sollte, diesmal keinen Augenblick zögern, seinen Schützling mit allen ihm zu Gebote stehenden Machtmitteln zu halten, und deshalb muß sich Europa darauf gefaßt machen, eines Tages die algerischen und senegalesischen Schützenbataillone in der marokkanischen Hauptstadt zu sehen. Damit wäre die marokkanische Frage in ein neues Stadium getreten und die Grundlage der Algecirasakte völlig aufgegeben. Es mag sehr zweifelhaft sein, ob die kühler Denkenden unter den französischen Politikern von einer solchen Expedition sehr erbaut sind, denn sie würde die Veranlassung zu neuem Gedanken¬ austausch mit den übrigen Mächten werden und bei der gegenwärtigen politischen Konstellation dürfte sein Erfolg vielleicht recht zweifelhaft sein. Sollte es aber zu einer militärischen Intervention in Fes kommen, so muß auf einen Umstand nachdrücklichst hingewiesen werden: Nach allen bisherigen Nachrichten richtet sich die jetzige Bewegung nicht gegen die Europäer, sondern nur gegen den Sultan. In dem Augenblick aber, wo französische Truppen gegen die Hauptstadt marschieren, kommt es bei den aufrührerischen Stämmen unfehlbar zum heiligen Kriege, und dann ist kein Europäer im Innern seines Lebens mehr sicher! Eine etwaige Intervention kann also die ernstesten Folgen haben. GrenzSoten II 1911 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/205>, abgerufen am 28.09.2024.