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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Höhere schule und kommunale Selbstverwaltung.
Rückbildung oder Fortschritt?
von Oberlehrer Dr. p. Hauck

as Allgemeine Landrecht bedeutet auf dem Gebiet des gesamten
Unterrichtswesens theoretisch einen großen Fortschritt. Es erklärte
alle öffentlichen Schulen für Veranstaltungen des Staates. Das
waren bis dahin besonders die höheren Schulen vielfach nicht.
Eine große Anzahl derselben, und oft die besten, war von
privaten Stiftern errichtet worden, zuweilen auch schon von Kommunen. Diese
Patronatsschulen blieben nun, trotz der völlig veränderten rechtlichen Grund¬
lagen, weiter bestehen. Es wurde in ihrem Bestände praktisch gar nichts
geändert, es trat nur das Aufsichtsrecht des Staates hinzu. Der nen geschaffene
Staatscharakter der höheren Schulen kommt also in diesem Aufsichtsrecht zum
Ausdruck. Dieses schließt in sich die Verantwortlichkeit des Staates dafür, daß
die Schule ihre Aufgaben auch wirklich erfüllt, also die Pflicht, die Vor"
bedingungen für die Anstellung der Lehrer festzulegen und bei der Auswahl
der Lehrer mitzuwirken, trotzdem nachher das Patronat die Lehrer besoldete.
Ist doch die Aufsichtsbehörde auch für den von ihr Beaufsichtigten verantwortlich.
Es ist also notwendig, daß diese Lehrer ihr unterstellt sind, indem sie die vom
Staat gestellte Ausgabe in ihrer dienstlichen Tätigkeit erfüllen. Aus diesen
Erwägungen heraus kommt der Gesetzgeber des Allgemeinen Landrechts ganz
folgerichtig zu der bekannten Bestimmung, daß die Lehrer aller höheren Schulen
"die Rechte und Pflichten der Staatsdiener" haben; und dieser Satz stellt nur
eine Definition des staatlichen Aufsichtsrechts dar. Für die Zeit der Verkündigung
des Allgemeinen Landrechts waren mit diesen Bestimmungen auch die Rechte
der Patronate genau abgegrenzt. Außer dem ausdrücklich Festgesetzten behielten
sie, was sie bisher gehabt hatten, nämlich die "Verwaltung" der Schule, d. h. des
Stiftungsvermögens. Auch das Recht, sich ihre Lehrer und Direktoren aus¬
zusuchen, ist ihnen geblieben, nur daß der Staat sich gezwungen sah, sich die
Prüfung der Wahl vorzubehalten. Diese Pflicht übte der Staat aus, indem
er sich das Bestätigungsrecht wahrte. Im allgemeinen kann man also diese
Lage dahin kennzeichnen, daß der Staat seine Aufsichtspflicht in der Weise


Grenzboten I 1911 10


Höhere schule und kommunale Selbstverwaltung.
Rückbildung oder Fortschritt?
von Oberlehrer Dr. p. Hauck

as Allgemeine Landrecht bedeutet auf dem Gebiet des gesamten
Unterrichtswesens theoretisch einen großen Fortschritt. Es erklärte
alle öffentlichen Schulen für Veranstaltungen des Staates. Das
waren bis dahin besonders die höheren Schulen vielfach nicht.
Eine große Anzahl derselben, und oft die besten, war von
privaten Stiftern errichtet worden, zuweilen auch schon von Kommunen. Diese
Patronatsschulen blieben nun, trotz der völlig veränderten rechtlichen Grund¬
lagen, weiter bestehen. Es wurde in ihrem Bestände praktisch gar nichts
geändert, es trat nur das Aufsichtsrecht des Staates hinzu. Der nen geschaffene
Staatscharakter der höheren Schulen kommt also in diesem Aufsichtsrecht zum
Ausdruck. Dieses schließt in sich die Verantwortlichkeit des Staates dafür, daß
die Schule ihre Aufgaben auch wirklich erfüllt, also die Pflicht, die Vor»
bedingungen für die Anstellung der Lehrer festzulegen und bei der Auswahl
der Lehrer mitzuwirken, trotzdem nachher das Patronat die Lehrer besoldete.
Ist doch die Aufsichtsbehörde auch für den von ihr Beaufsichtigten verantwortlich.
Es ist also notwendig, daß diese Lehrer ihr unterstellt sind, indem sie die vom
Staat gestellte Ausgabe in ihrer dienstlichen Tätigkeit erfüllen. Aus diesen
Erwägungen heraus kommt der Gesetzgeber des Allgemeinen Landrechts ganz
folgerichtig zu der bekannten Bestimmung, daß die Lehrer aller höheren Schulen
„die Rechte und Pflichten der Staatsdiener" haben; und dieser Satz stellt nur
eine Definition des staatlichen Aufsichtsrechts dar. Für die Zeit der Verkündigung
des Allgemeinen Landrechts waren mit diesen Bestimmungen auch die Rechte
der Patronate genau abgegrenzt. Außer dem ausdrücklich Festgesetzten behielten
sie, was sie bisher gehabt hatten, nämlich die „Verwaltung" der Schule, d. h. des
Stiftungsvermögens. Auch das Recht, sich ihre Lehrer und Direktoren aus¬
zusuchen, ist ihnen geblieben, nur daß der Staat sich gezwungen sah, sich die
Prüfung der Wahl vorzubehalten. Diese Pflicht übte der Staat aus, indem
er sich das Bestätigungsrecht wahrte. Im allgemeinen kann man also diese
Lage dahin kennzeichnen, daß der Staat seine Aufsichtspflicht in der Weise


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[0087] [Abbildung] Höhere schule und kommunale Selbstverwaltung. Rückbildung oder Fortschritt? von Oberlehrer Dr. p. Hauck as Allgemeine Landrecht bedeutet auf dem Gebiet des gesamten Unterrichtswesens theoretisch einen großen Fortschritt. Es erklärte alle öffentlichen Schulen für Veranstaltungen des Staates. Das waren bis dahin besonders die höheren Schulen vielfach nicht. Eine große Anzahl derselben, und oft die besten, war von privaten Stiftern errichtet worden, zuweilen auch schon von Kommunen. Diese Patronatsschulen blieben nun, trotz der völlig veränderten rechtlichen Grund¬ lagen, weiter bestehen. Es wurde in ihrem Bestände praktisch gar nichts geändert, es trat nur das Aufsichtsrecht des Staates hinzu. Der nen geschaffene Staatscharakter der höheren Schulen kommt also in diesem Aufsichtsrecht zum Ausdruck. Dieses schließt in sich die Verantwortlichkeit des Staates dafür, daß die Schule ihre Aufgaben auch wirklich erfüllt, also die Pflicht, die Vor» bedingungen für die Anstellung der Lehrer festzulegen und bei der Auswahl der Lehrer mitzuwirken, trotzdem nachher das Patronat die Lehrer besoldete. Ist doch die Aufsichtsbehörde auch für den von ihr Beaufsichtigten verantwortlich. Es ist also notwendig, daß diese Lehrer ihr unterstellt sind, indem sie die vom Staat gestellte Ausgabe in ihrer dienstlichen Tätigkeit erfüllen. Aus diesen Erwägungen heraus kommt der Gesetzgeber des Allgemeinen Landrechts ganz folgerichtig zu der bekannten Bestimmung, daß die Lehrer aller höheren Schulen „die Rechte und Pflichten der Staatsdiener" haben; und dieser Satz stellt nur eine Definition des staatlichen Aufsichtsrechts dar. Für die Zeit der Verkündigung des Allgemeinen Landrechts waren mit diesen Bestimmungen auch die Rechte der Patronate genau abgegrenzt. Außer dem ausdrücklich Festgesetzten behielten sie, was sie bisher gehabt hatten, nämlich die „Verwaltung" der Schule, d. h. des Stiftungsvermögens. Auch das Recht, sich ihre Lehrer und Direktoren aus¬ zusuchen, ist ihnen geblieben, nur daß der Staat sich gezwungen sah, sich die Prüfung der Wahl vorzubehalten. Diese Pflicht übte der Staat aus, indem er sich das Bestätigungsrecht wahrte. Im allgemeinen kann man also diese Lage dahin kennzeichnen, daß der Staat seine Aufsichtspflicht in der Weise Grenzboten I 1911 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/87>, abgerufen am 24.07.2024.