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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichssxiegel

keine Steigerung zu erwarten sei, wie es ein Schüler Brentanos erst kürzlich
wieder getan hat. (Leo Jurowski, "Der russische Getreideexport, seine Entwicklung
und Organisation", Stuttgart und Berlin 1910, S. 28/29.)

Der gestrige Sonntag hat einen Schritt weiter auf dem Wege zur Einigung
der liberalen Parteien gebracht. Die Nationalliberalen wie die Frei¬
sinnigen haben ihre Vorstünde zu gut besuchten Sitzungen zusammenberufen,
und von beiden Organisationen ist freimütig der Wunsch ausgesprochen worden,
miteinander in bessere Beziehungen zu treten, die vielleicht über die Wahlen
hinaus dauern könnten. Bei der Betrachtung der beiderseitigen Parteiprogramme
ist es eigentlich schwer, einen tiefgehenden Gegensatz zwischen den Parteien zu
finden. In den großen nationalen Fragen sind die Ideen, die in den achtzehn-
Hundertsiebziger Jahren von Konservativen und Nationalliberalen verbreitet
wurden, nun auch Gemeingut des Freisinns geworden. In Heeres- und Marine¬
fragen, in Dingen des Schutzes der nationalen Arbeit ebenso wie in Kolonial¬
fragen hat der Freisinn seit Richters Tode eine Stellung eingenommen, die sich
nur wenig von der der Konservativen unterscheidet. Dieser großen Entwicklung
zum Zusammenschluß der Mittelparteien stehen eigentlich nur örtliche und per¬
sönliche Verhältnisse hindernd entgegen. In der Provinz stehen die freisinnigen
und nationalliberalen Kreise einander noch vielfach fremd, ja feindlich gegen¬
über, weil man es seit vierzig Jahren nicht anders kennt. Doch auch dort
beginnen die Gegensätze sich zu verwischen, und man fängt an, sich zum Kampf
gegen die .Konservativen zu einigen.


Bank und Geld

Herr Delbrück und die Schwerindustrie -- Freundschaft zwischen Industrie und Staats-
regierung -- Dividenden -- Erneuerung der großen Verbände -- Die Elektrizitäts-
firmen -- Vcmkinsolvenzen -- DaS Bilanzschema

Fragen der Bank- und Wirtschaftspolitik haben den Reichstag in dieser
Woche wieder beschäftigt. War es vor zwei Wochen der Handelsminister, der
wegen des Kapitalexportes und der Überschwemmung des deutschen Marktes
mit ausländischen Wertpapieren in: Landtag Rede und Antwort zu stehen hatte,
so galt es diesmal dem Staatssekretär des Innern, dem von rechts wie
links ziemlich scharf zugesetzt wurde. Zunächst waren es die Sozialdemokraten,
die Herrn Delbrück allzu großer Intimität mit den Jndustriemagnaten ziehen.
Herr Delbrück nahm die Vorwürfe wegen seiner Teilnahme am Diner des
Zenträlverbandes deutscher Industrieller, bei welchem Herr Bueck -- flankiert
von zwei Ministern -- den Vorsitz geführt hatte, mit Recht nicht gerade tragisch.
Wer sollte es ihm verargen, einer Einladung zu folgen? Auch Minister essen
gern bei Adlon, selbst wenn die Gastgeber die Jndustriefürsten sind. Herr
Delbrück fand aber auch kräftige Worte zur Verteidigung der Freundschaft
zwischen Industrie und Staatsregierung. Das ist sehr erfreulich; man
wird sich erinnern, daß diese Freundschaft nicht immer so eng war. Sind es


Reichssxiegel

keine Steigerung zu erwarten sei, wie es ein Schüler Brentanos erst kürzlich
wieder getan hat. (Leo Jurowski, „Der russische Getreideexport, seine Entwicklung
und Organisation", Stuttgart und Berlin 1910, S. 28/29.)

Der gestrige Sonntag hat einen Schritt weiter auf dem Wege zur Einigung
der liberalen Parteien gebracht. Die Nationalliberalen wie die Frei¬
sinnigen haben ihre Vorstünde zu gut besuchten Sitzungen zusammenberufen,
und von beiden Organisationen ist freimütig der Wunsch ausgesprochen worden,
miteinander in bessere Beziehungen zu treten, die vielleicht über die Wahlen
hinaus dauern könnten. Bei der Betrachtung der beiderseitigen Parteiprogramme
ist es eigentlich schwer, einen tiefgehenden Gegensatz zwischen den Parteien zu
finden. In den großen nationalen Fragen sind die Ideen, die in den achtzehn-
Hundertsiebziger Jahren von Konservativen und Nationalliberalen verbreitet
wurden, nun auch Gemeingut des Freisinns geworden. In Heeres- und Marine¬
fragen, in Dingen des Schutzes der nationalen Arbeit ebenso wie in Kolonial¬
fragen hat der Freisinn seit Richters Tode eine Stellung eingenommen, die sich
nur wenig von der der Konservativen unterscheidet. Dieser großen Entwicklung
zum Zusammenschluß der Mittelparteien stehen eigentlich nur örtliche und per¬
sönliche Verhältnisse hindernd entgegen. In der Provinz stehen die freisinnigen
und nationalliberalen Kreise einander noch vielfach fremd, ja feindlich gegen¬
über, weil man es seit vierzig Jahren nicht anders kennt. Doch auch dort
beginnen die Gegensätze sich zu verwischen, und man fängt an, sich zum Kampf
gegen die .Konservativen zu einigen.


Bank und Geld

Herr Delbrück und die Schwerindustrie — Freundschaft zwischen Industrie und Staats-
regierung — Dividenden — Erneuerung der großen Verbände — Die Elektrizitäts-
firmen — Vcmkinsolvenzen — DaS Bilanzschema

Fragen der Bank- und Wirtschaftspolitik haben den Reichstag in dieser
Woche wieder beschäftigt. War es vor zwei Wochen der Handelsminister, der
wegen des Kapitalexportes und der Überschwemmung des deutschen Marktes
mit ausländischen Wertpapieren in: Landtag Rede und Antwort zu stehen hatte,
so galt es diesmal dem Staatssekretär des Innern, dem von rechts wie
links ziemlich scharf zugesetzt wurde. Zunächst waren es die Sozialdemokraten,
die Herrn Delbrück allzu großer Intimität mit den Jndustriemagnaten ziehen.
Herr Delbrück nahm die Vorwürfe wegen seiner Teilnahme am Diner des
Zenträlverbandes deutscher Industrieller, bei welchem Herr Bueck — flankiert
von zwei Ministern — den Vorsitz geführt hatte, mit Recht nicht gerade tragisch.
Wer sollte es ihm verargen, einer Einladung zu folgen? Auch Minister essen
gern bei Adlon, selbst wenn die Gastgeber die Jndustriefürsten sind. Herr
Delbrück fand aber auch kräftige Worte zur Verteidigung der Freundschaft
zwischen Industrie und Staatsregierung. Das ist sehr erfreulich; man
wird sich erinnern, daß diese Freundschaft nicht immer so eng war. Sind es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/610>, abgerufen am 27.12.2024.