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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Stendhal (Henry Leyte)

Wie hübsch werden wir etwa über t^i-tker belehrt! Weigand nahm auch einige
wortbildende Elemente auf' man lese die treffliche Behandlung der Ableitungs¬
silben -Liren, -ac -kalt in der neuen Auflage nach. Die Bearbeiter haben
sich durchweg mit großer Gewissenhaftigkeit bemüht, die grammatische und lexiko¬
graphische Arbeit eines Menschenalters dem Werke zugute kommen zu lassen. Das
Werk steht in dieser Beziehung völlig auf der Höhe. Sie haben in dem
Bestreben, überall die ältesten Belege für den heutigen Gebrauch zu geben, das
Belegmaterial erheblich vermehrt. Das gilt namentlich auch für die Fremdwörter.

Wenn behauptet worden ist, die neue Bearbeitung lasse die "Etymologie viel
zu sehr in den Vordergrund treten und komme dadurch zumeist Bedürfnissen ent¬
gegen, die weniger gesund sind als die, welche Weigand selbst befriedigte", so kann
ich diesen Vorwurf nicht gerechtfertigt finden. Weigand hatte es für nützlich gehalten,
"die Wortforschung und mit ihr gleichsam die Naturgeschichte der Wörter" in sein
Werk aufzunehmen. Man kann über die Berechtigung dazu streiten. Gewiß ist
es ja nicht unbedingt nötig, in einem neuhochdeutschen Wörterbuch einem größeren
Publikum mitzuteilen, daß übt. clenken auch ahd. clenken heißt (mit Prat. clickte,
Konj. eiferte, Part. gectälU), ahd. ctenclren, clenken, asächs. tkcmkian, übt. cZenKen,
afries. tnenkia, ags. tnenkan, anord. tneKKis (der Druckfehler tkenkisn ist zu
korrigieren!) usw., und die Bearbeiter hätten derartige Bemerkungen auch
streichen können. Schwerlich hätten sie doch dafür Beifall geerntet! Den Charakter
des Weigcmdschen Wörterbuchs hätten sie jedenfalls gründlich geändert. Ließen sie
aber das etymologische Beiwerk bestehen (und bei manchen Artikeln ist es eben
unentbehrlich), so mußten sie sich auch entschließen, einen Schritt über Weigand
hinauszugehen und nicht beim Urgermanischen Halt zu machen, sondern, soweit
sich einigermaßen sichere.Kombinationen ergaben, auf die verwandten Sprachen
einzugehen. Das ist im allgemeinen mit Geschick geschehen, und es ist offenbar in
erster Linie Hermen Hirts Fleiß und Kenntnissen zu danken, daß auch dieser
Teil der Aufgabe in wissenschaftlicher Weise befriedigend gelöst ist.

Ich will noch hinzufügen, daß die Verlagsbuchhandlung das in zwölf Liefe¬
rungen jetzt fertig vorliegende Werk zu einem mäßigen Preise vortrefflich aus¬
gestattet hat.




Stendhal (Henry Veyle)
Guido Dinkgraeve- v on

tendhal gehört ganz gewiß zu den Schriftstellern, die weniger gelesen
als besprochen werden. Er ist so wenig ein Unterhaltungsschrift¬
steller und er selbst hat so unverhohlen seinen Widerwillen gegen
die breite Masse der Literaturkonsumenten ausgesprochen, daß es
einen wundern muß, daß ein deutscher Verleger eine Übersetzung
aller seiner Hauptschriften und seiner Briefe herauszubringen wagt. Es wird zurzeit
allerdings von ihm sehr viel gesprochen und deshalb wird er auch Wohl gekauft',
er ist modern, und diese Modernität hat vermutlich allein Nietzsches Lob hervor-


Stendhal (Henry Leyte)

Wie hübsch werden wir etwa über t^i-tker belehrt! Weigand nahm auch einige
wortbildende Elemente auf' man lese die treffliche Behandlung der Ableitungs¬
silben -Liren, -ac -kalt in der neuen Auflage nach. Die Bearbeiter haben
sich durchweg mit großer Gewissenhaftigkeit bemüht, die grammatische und lexiko¬
graphische Arbeit eines Menschenalters dem Werke zugute kommen zu lassen. Das
Werk steht in dieser Beziehung völlig auf der Höhe. Sie haben in dem
Bestreben, überall die ältesten Belege für den heutigen Gebrauch zu geben, das
Belegmaterial erheblich vermehrt. Das gilt namentlich auch für die Fremdwörter.

Wenn behauptet worden ist, die neue Bearbeitung lasse die „Etymologie viel
zu sehr in den Vordergrund treten und komme dadurch zumeist Bedürfnissen ent¬
gegen, die weniger gesund sind als die, welche Weigand selbst befriedigte", so kann
ich diesen Vorwurf nicht gerechtfertigt finden. Weigand hatte es für nützlich gehalten,
„die Wortforschung und mit ihr gleichsam die Naturgeschichte der Wörter" in sein
Werk aufzunehmen. Man kann über die Berechtigung dazu streiten. Gewiß ist
es ja nicht unbedingt nötig, in einem neuhochdeutschen Wörterbuch einem größeren
Publikum mitzuteilen, daß übt. clenken auch ahd. clenken heißt (mit Prat. clickte,
Konj. eiferte, Part. gectälU), ahd. ctenclren, clenken, asächs. tkcmkian, übt. cZenKen,
afries. tnenkia, ags. tnenkan, anord. tneKKis (der Druckfehler tkenkisn ist zu
korrigieren!) usw., und die Bearbeiter hätten derartige Bemerkungen auch
streichen können. Schwerlich hätten sie doch dafür Beifall geerntet! Den Charakter
des Weigcmdschen Wörterbuchs hätten sie jedenfalls gründlich geändert. Ließen sie
aber das etymologische Beiwerk bestehen (und bei manchen Artikeln ist es eben
unentbehrlich), so mußten sie sich auch entschließen, einen Schritt über Weigand
hinauszugehen und nicht beim Urgermanischen Halt zu machen, sondern, soweit
sich einigermaßen sichere.Kombinationen ergaben, auf die verwandten Sprachen
einzugehen. Das ist im allgemeinen mit Geschick geschehen, und es ist offenbar in
erster Linie Hermen Hirts Fleiß und Kenntnissen zu danken, daß auch dieser
Teil der Aufgabe in wissenschaftlicher Weise befriedigend gelöst ist.

Ich will noch hinzufügen, daß die Verlagsbuchhandlung das in zwölf Liefe¬
rungen jetzt fertig vorliegende Werk zu einem mäßigen Preise vortrefflich aus¬
gestattet hat.




Stendhal (Henry Veyle)
Guido Dinkgraeve- v on

tendhal gehört ganz gewiß zu den Schriftstellern, die weniger gelesen
als besprochen werden. Er ist so wenig ein Unterhaltungsschrift¬
steller und er selbst hat so unverhohlen seinen Widerwillen gegen
die breite Masse der Literaturkonsumenten ausgesprochen, daß es
einen wundern muß, daß ein deutscher Verleger eine Übersetzung
aller seiner Hauptschriften und seiner Briefe herauszubringen wagt. Es wird zurzeit
allerdings von ihm sehr viel gesprochen und deshalb wird er auch Wohl gekauft',
er ist modern, und diese Modernität hat vermutlich allein Nietzsches Lob hervor-


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[0550] Stendhal (Henry Leyte) Wie hübsch werden wir etwa über t^i-tker belehrt! Weigand nahm auch einige wortbildende Elemente auf' man lese die treffliche Behandlung der Ableitungs¬ silben -Liren, -ac -kalt in der neuen Auflage nach. Die Bearbeiter haben sich durchweg mit großer Gewissenhaftigkeit bemüht, die grammatische und lexiko¬ graphische Arbeit eines Menschenalters dem Werke zugute kommen zu lassen. Das Werk steht in dieser Beziehung völlig auf der Höhe. Sie haben in dem Bestreben, überall die ältesten Belege für den heutigen Gebrauch zu geben, das Belegmaterial erheblich vermehrt. Das gilt namentlich auch für die Fremdwörter. Wenn behauptet worden ist, die neue Bearbeitung lasse die „Etymologie viel zu sehr in den Vordergrund treten und komme dadurch zumeist Bedürfnissen ent¬ gegen, die weniger gesund sind als die, welche Weigand selbst befriedigte", so kann ich diesen Vorwurf nicht gerechtfertigt finden. Weigand hatte es für nützlich gehalten, „die Wortforschung und mit ihr gleichsam die Naturgeschichte der Wörter" in sein Werk aufzunehmen. Man kann über die Berechtigung dazu streiten. Gewiß ist es ja nicht unbedingt nötig, in einem neuhochdeutschen Wörterbuch einem größeren Publikum mitzuteilen, daß übt. clenken auch ahd. clenken heißt (mit Prat. clickte, Konj. eiferte, Part. gectälU), ahd. ctenclren, clenken, asächs. tkcmkian, übt. cZenKen, afries. tnenkia, ags. tnenkan, anord. tneKKis (der Druckfehler tkenkisn ist zu korrigieren!) usw., und die Bearbeiter hätten derartige Bemerkungen auch streichen können. Schwerlich hätten sie doch dafür Beifall geerntet! Den Charakter des Weigcmdschen Wörterbuchs hätten sie jedenfalls gründlich geändert. Ließen sie aber das etymologische Beiwerk bestehen (und bei manchen Artikeln ist es eben unentbehrlich), so mußten sie sich auch entschließen, einen Schritt über Weigand hinauszugehen und nicht beim Urgermanischen Halt zu machen, sondern, soweit sich einigermaßen sichere.Kombinationen ergaben, auf die verwandten Sprachen einzugehen. Das ist im allgemeinen mit Geschick geschehen, und es ist offenbar in erster Linie Hermen Hirts Fleiß und Kenntnissen zu danken, daß auch dieser Teil der Aufgabe in wissenschaftlicher Weise befriedigend gelöst ist. Ich will noch hinzufügen, daß die Verlagsbuchhandlung das in zwölf Liefe¬ rungen jetzt fertig vorliegende Werk zu einem mäßigen Preise vortrefflich aus¬ gestattet hat. Stendhal (Henry Veyle) Guido Dinkgraeve- v on tendhal gehört ganz gewiß zu den Schriftstellern, die weniger gelesen als besprochen werden. Er ist so wenig ein Unterhaltungsschrift¬ steller und er selbst hat so unverhohlen seinen Widerwillen gegen die breite Masse der Literaturkonsumenten ausgesprochen, daß es einen wundern muß, daß ein deutscher Verleger eine Übersetzung aller seiner Hauptschriften und seiner Briefe herauszubringen wagt. Es wird zurzeit allerdings von ihm sehr viel gesprochen und deshalb wird er auch Wohl gekauft', er ist modern, und diese Modernität hat vermutlich allein Nietzsches Lob hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/550>, abgerufen am 04.07.2024.