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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Jede der wenigen Personen des Stücks ist bis zum Letzten durchgefeilt, und
dennoch steht hier nicht etwa klug aufgerichtetes bloßes Theater vor uns, sondern
über allem ist jener letzte Schauer, der die tragische Kunst zum tragischen Erlebnis
macht. -- Die Einheit aber, die sich aus der Heiterkeit des "Schwarzkünstlers"
und der Tragödientiefe des "Edelwilds" zur menschlichen Tragikomödie vereint,
spricht aus der in hellen Farben glänzenden "Mauserung". Das nahezu Unglaub¬
liche wird hier Ereignis: eine Fürstin zieht den niedrig geborenen, lange geliebten
Mann an die Brust, nachdem sie eben sein Liebeln mit einer hübschen Dienerin
gemerkt hat. Und wir unterschreiben die Schlußworte des alten Fürsten: "Das
schreibt sich seinen eigenen Adelsbrief!" -- denn ohne stelzbeinige Sprünge wächst
Roland, der junge Geliebte, vor uns auf als der, der wirklich diesem Schicksal
und dieser Frau von holdem Reiz gewachsen ist. -- Wie vor einem unerforsch-
lichen Rätsel steht man vor diesem in selbstgewählter Einsamkeit erfolglos dahin¬
gegangenen Dichterleben, dessen innerer Erwerb nun zum dauerhaften Besitz unserer
Literatur gehören wird.

Wird Hans Hoffmann auch einmal, wie Hans Hopfen, zu den Halbvergessenen
gehören? Um solcher unlieben Zukunftsaussicht vorzubeugen, wäre es erwünscht,
daß sein Verleger seine besten Werke (vor allem "Das Gymnasium zu Stolpen-
bürg" und "Wider den Kurfürsten") in recht billigen Ausgaben herausbrächte.
Was Hoffmann uns war und noch sein kann, lehrt der Nachlaßband "Das Sonnen¬
land",' der soeben, von Carl Schüddekopf besorgt, (bei Georg Müller in München)
erschienen ist. Sein Wert liegt nicht in den Novellen, die nicht ganz auf Hoffmanns
sonstiger Höhe sind, sondern in den Märchen. Wer kann überhaupt noch heute
so wundervoll, in so wonniger Ruhe, mit so lichtem Humor und so folgsamer
Phantasie Märchen erzählen, wie dieser Hans Hoffmann sie uns aus dem Harz
darbringt. "Die Teufelsmauer", "Schattenseite" und das tiefernste "Sonnenland"
~~ eine volle Frucht neben der andern. Wer sie liest, wird den Anreiz empfinden,
sich diesen feinen und reinen Poeten ganz zu eigen zu machen. Denn die Erinnerung
an Dichter, die vergessen sind oder vielleicht der Vergessenheit entgegengehen, hat
ja nur dann Wert, wenn dem Gedanken die Tat, die Versenkung in die Werke folgt,
damit die Vergessenen wieder zu in Liebe und Treue von uns Besessenen werden.




Weigands Wörterbuch in neuer Auflage
Prof. or. Victor Michels von

ist oft darüber geklagt worden, das; der Deutsche in fremd-
sprachlicher Umgebung seine Muttersprache so leicht aufgebe. Solche
I muß sich ernsten Männern in die Mahnung wandeln, daran

daß sich jeder Deutsche, mehr als das offenbar
Fall ist, bewußt werde, welchen Schah wir an der Sprache
besitzen, die "für uns dichtet und denkt", die ein gutes Stück unserer Geschichte
widerspiegelt. Rudolf Hildebmnds Bild tritt mir. indem ich diese Worte nieder-


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Jede der wenigen Personen des Stücks ist bis zum Letzten durchgefeilt, und
dennoch steht hier nicht etwa klug aufgerichtetes bloßes Theater vor uns, sondern
über allem ist jener letzte Schauer, der die tragische Kunst zum tragischen Erlebnis
macht. — Die Einheit aber, die sich aus der Heiterkeit des „Schwarzkünstlers"
und der Tragödientiefe des „Edelwilds" zur menschlichen Tragikomödie vereint,
spricht aus der in hellen Farben glänzenden „Mauserung". Das nahezu Unglaub¬
liche wird hier Ereignis: eine Fürstin zieht den niedrig geborenen, lange geliebten
Mann an die Brust, nachdem sie eben sein Liebeln mit einer hübschen Dienerin
gemerkt hat. Und wir unterschreiben die Schlußworte des alten Fürsten: „Das
schreibt sich seinen eigenen Adelsbrief!" — denn ohne stelzbeinige Sprünge wächst
Roland, der junge Geliebte, vor uns auf als der, der wirklich diesem Schicksal
und dieser Frau von holdem Reiz gewachsen ist. — Wie vor einem unerforsch-
lichen Rätsel steht man vor diesem in selbstgewählter Einsamkeit erfolglos dahin¬
gegangenen Dichterleben, dessen innerer Erwerb nun zum dauerhaften Besitz unserer
Literatur gehören wird.

Wird Hans Hoffmann auch einmal, wie Hans Hopfen, zu den Halbvergessenen
gehören? Um solcher unlieben Zukunftsaussicht vorzubeugen, wäre es erwünscht,
daß sein Verleger seine besten Werke (vor allem „Das Gymnasium zu Stolpen-
bürg" und „Wider den Kurfürsten") in recht billigen Ausgaben herausbrächte.
Was Hoffmann uns war und noch sein kann, lehrt der Nachlaßband „Das Sonnen¬
land",' der soeben, von Carl Schüddekopf besorgt, (bei Georg Müller in München)
erschienen ist. Sein Wert liegt nicht in den Novellen, die nicht ganz auf Hoffmanns
sonstiger Höhe sind, sondern in den Märchen. Wer kann überhaupt noch heute
so wundervoll, in so wonniger Ruhe, mit so lichtem Humor und so folgsamer
Phantasie Märchen erzählen, wie dieser Hans Hoffmann sie uns aus dem Harz
darbringt. „Die Teufelsmauer", „Schattenseite" und das tiefernste „Sonnenland"
~~ eine volle Frucht neben der andern. Wer sie liest, wird den Anreiz empfinden,
sich diesen feinen und reinen Poeten ganz zu eigen zu machen. Denn die Erinnerung
an Dichter, die vergessen sind oder vielleicht der Vergessenheit entgegengehen, hat
ja nur dann Wert, wenn dem Gedanken die Tat, die Versenkung in die Werke folgt,
damit die Vergessenen wieder zu in Liebe und Treue von uns Besessenen werden.




Weigands Wörterbuch in neuer Auflage
Prof. or. Victor Michels von

ist oft darüber geklagt worden, das; der Deutsche in fremd-
sprachlicher Umgebung seine Muttersprache so leicht aufgebe. Solche
I muß sich ernsten Männern in die Mahnung wandeln, daran

daß sich jeder Deutsche, mehr als das offenbar
Fall ist, bewußt werde, welchen Schah wir an der Sprache
besitzen, die „für uns dichtet und denkt", die ein gutes Stück unserer Geschichte
widerspiegelt. Rudolf Hildebmnds Bild tritt mir. indem ich diese Worte nieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/547>, abgerufen am 27.12.2024.