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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Biographien und Briefwechsel [Spaltenumbruch]

brach und er als "Königsmürder un Thrvn-
ümstöter" zum Tode verurteilt, dann aber zu
dreißig Jahren Festungshaft begnadigt wurde.
"De Utsicht was stimm, de Insicht was
summer." Anschaulich wird die martervolle
"Festungstid" geschildert, die wir ja auch aus
Reuters eigenen Werken kennen, in denen er
"Fiegen von den Diesteln Plückte". Es folgt
die ruhelose "Stromtid," die endlich in der
Verbindung mit seinem "Lowising" Kuntze
und dein Umzug nach Treptow n. d. Tollense
ihr Ende findet. "Hei treckte er den Schaul-
meisterrock an." Allmählich kam Reuter
uun zur Schriftstellerei, und aus dein ehe-
maligen"KönigSmürder" wurde bald der viel¬
gelesene Humorist und beste plnttdeutscheDichter.
Wir sehen seine behäbige, untersetzte Figur
Plastisch vor Augen, wie er nach den ersten
klingenden Erfolgen treuherzig zu seiner Frau
sagt: "Das versprochene Seidenkleid nehmen
wir vom allerbesten End', mein liebes Wiesing,
aber die Fische brätst du mir von jetzt an
nicht mehr in Wasser, sonst ---". Das War
denn auch uicht mehr nötig, denn Reuter wurde
uicht nur berühmt, souderu auch begütert. --
Unter den vielen zum hundertsten Geburts¬
tag Reuters erschienenen Büchern ist Wnrnckes
Biographie die erschöpfendste. Sie kommt dem
Geist des Dichters am nächsten und zeigt in
dessen eigener Sprache am treuesten, "woaus
hei lewt un schrewe" hett".

w. Z. R.
Tolstois Briefe.

Das Schlagwort der
Mode, das "Psychologisch Interessante", ver¬
mag, trotz aller Mißverständnisse und hohlen
Phrasen, die es deckt, den wahren Kern unseres
Erkenntnisstrebens nicht zu entstellen; unser
ernstes Bemühen richtet sich gegenwärtig vor

[Ende Spaltensatz]

Mit tiefer Liebe und bewundernswertem
Fleiß hat Paul Warncke, der sich als Heraus¬
geber des "Kladderadatsch" manchen Freund,
aber vielleicht auch manchen Feind gewonnen
hat, die Dokumente und Erinnerungen über
Reuters Leben und Schaffen zusammen¬
getragen und damit ein kultur- und literar¬
historisch gleich wertvolles Bild von wunder¬
barer Klarheit und Lebenswahrheit geschaffen.
(Fritz Reuter. Woails hei lewt un schrewc"
hett. Verteilt von Paul Warncke Mit vele
Bitter. Berlin, bei Meyer u, Jessen.Preis 3 M.)
Nicht nur Lichter malt der Verfasser, er ver¬
schweigt auch nicht die Schattenseiten im
Charakter und der Lebensführung des Dichters;
aber alles kommt so richtig "lau Platz", daß
am Schluß ein ganzer Kerl, unser lieber,
kerniger Fritz Reuter dasteht. Der gemüt-
und humorvolle Ton, der seine Werke so an¬
ziehend macht, ist hier mit Meisterschaft ge¬
troffen. Oft meinen wir unsern "Fritzing"
selbst zu hören. In dem Kapitel "Sllernhus un
Kmnerjohren" tritt uns der Vater des Dichters
als "Sülwstherrscher" und Bürgermeister von
Stavenhagen leibhaft entgegen. "Hei was M
Kirk von baben bet unum, von Ur lau Emil',
en Mann mit livre Ogcn un hellen Kopp,
mit 'n fahles Hart un mit 'ne Jsenhcmd."
Diese Eisensand hat oft schwer auf dem
Jungen gelegen; "up dit Mag hett de Oil
de Sal nich up 't richtige Eur' cmsnäden."
Besserverstnndes"sinMudding", eine kränkliche,
stille Frau, den Sohn zu lenken, den wir in
dem Buche durch seine "schaukelt" und die
ziemlich zügellosen Studentenjahre in Rostock
und Jena begleiten, bis die Katastrophe herein¬




Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Biographien und Briefwechsel [Spaltenumbruch]

brach und er als „Königsmürder un Thrvn-
ümstöter" zum Tode verurteilt, dann aber zu
dreißig Jahren Festungshaft begnadigt wurde.
„De Utsicht was stimm, de Insicht was
summer." Anschaulich wird die martervolle
„Festungstid" geschildert, die wir ja auch aus
Reuters eigenen Werken kennen, in denen er
„Fiegen von den Diesteln Plückte". Es folgt
die ruhelose „Stromtid," die endlich in der
Verbindung mit seinem „Lowising" Kuntze
und dein Umzug nach Treptow n. d. Tollense
ihr Ende findet. „Hei treckte er den Schaul-
meisterrock an." Allmählich kam Reuter
uun zur Schriftstellerei, und aus dein ehe-
maligen„KönigSmürder" wurde bald der viel¬
gelesene Humorist und beste plnttdeutscheDichter.
Wir sehen seine behäbige, untersetzte Figur
Plastisch vor Augen, wie er nach den ersten
klingenden Erfolgen treuherzig zu seiner Frau
sagt: „Das versprochene Seidenkleid nehmen
wir vom allerbesten End', mein liebes Wiesing,
aber die Fische brätst du mir von jetzt an
nicht mehr in Wasser, sonst —-". Das War
denn auch uicht mehr nötig, denn Reuter wurde
uicht nur berühmt, souderu auch begütert. —
Unter den vielen zum hundertsten Geburts¬
tag Reuters erschienenen Büchern ist Wnrnckes
Biographie die erschöpfendste. Sie kommt dem
Geist des Dichters am nächsten und zeigt in
dessen eigener Sprache am treuesten, „woaus
hei lewt un schrewe» hett".

w. Z. R.
Tolstois Briefe.

Das Schlagwort der
Mode, das „Psychologisch Interessante", ver¬
mag, trotz aller Mißverständnisse und hohlen
Phrasen, die es deckt, den wahren Kern unseres
Erkenntnisstrebens nicht zu entstellen; unser
ernstes Bemühen richtet sich gegenwärtig vor

[Ende Spaltensatz]

Mit tiefer Liebe und bewundernswertem
Fleiß hat Paul Warncke, der sich als Heraus¬
geber des „Kladderadatsch" manchen Freund,
aber vielleicht auch manchen Feind gewonnen
hat, die Dokumente und Erinnerungen über
Reuters Leben und Schaffen zusammen¬
getragen und damit ein kultur- und literar¬
historisch gleich wertvolles Bild von wunder¬
barer Klarheit und Lebenswahrheit geschaffen.
(Fritz Reuter. Woails hei lewt un schrewc»
hett. Verteilt von Paul Warncke Mit vele
Bitter. Berlin, bei Meyer u, Jessen.Preis 3 M.)
Nicht nur Lichter malt der Verfasser, er ver¬
schweigt auch nicht die Schattenseiten im
Charakter und der Lebensführung des Dichters;
aber alles kommt so richtig „lau Platz", daß
am Schluß ein ganzer Kerl, unser lieber,
kerniger Fritz Reuter dasteht. Der gemüt-
und humorvolle Ton, der seine Werke so an¬
ziehend macht, ist hier mit Meisterschaft ge¬
troffen. Oft meinen wir unsern „Fritzing"
selbst zu hören. In dem Kapitel „Sllernhus un
Kmnerjohren" tritt uns der Vater des Dichters
als „Sülwstherrscher" und Bürgermeister von
Stavenhagen leibhaft entgegen. „Hei was M
Kirk von baben bet unum, von Ur lau Emil',
en Mann mit livre Ogcn un hellen Kopp,
mit 'n fahles Hart un mit 'ne Jsenhcmd."
Diese Eisensand hat oft schwer auf dem
Jungen gelegen; „up dit Mag hett de Oil
de Sal nich up 't richtige Eur' cmsnäden."
Besserverstnndes„sinMudding", eine kränkliche,
stille Frau, den Sohn zu lenken, den wir in
dem Buche durch seine „schaukelt" und die
ziemlich zügellosen Studentenjahre in Rostock
und Jena begleiten, bis die Katastrophe herein¬


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[0052] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Biographien und Briefwechsel brach und er als „Königsmürder un Thrvn- ümstöter" zum Tode verurteilt, dann aber zu dreißig Jahren Festungshaft begnadigt wurde. „De Utsicht was stimm, de Insicht was summer." Anschaulich wird die martervolle „Festungstid" geschildert, die wir ja auch aus Reuters eigenen Werken kennen, in denen er „Fiegen von den Diesteln Plückte". Es folgt die ruhelose „Stromtid," die endlich in der Verbindung mit seinem „Lowising" Kuntze und dein Umzug nach Treptow n. d. Tollense ihr Ende findet. „Hei treckte er den Schaul- meisterrock an." Allmählich kam Reuter uun zur Schriftstellerei, und aus dein ehe- maligen„KönigSmürder" wurde bald der viel¬ gelesene Humorist und beste plnttdeutscheDichter. Wir sehen seine behäbige, untersetzte Figur Plastisch vor Augen, wie er nach den ersten klingenden Erfolgen treuherzig zu seiner Frau sagt: „Das versprochene Seidenkleid nehmen wir vom allerbesten End', mein liebes Wiesing, aber die Fische brätst du mir von jetzt an nicht mehr in Wasser, sonst —-". Das War denn auch uicht mehr nötig, denn Reuter wurde uicht nur berühmt, souderu auch begütert. — Unter den vielen zum hundertsten Geburts¬ tag Reuters erschienenen Büchern ist Wnrnckes Biographie die erschöpfendste. Sie kommt dem Geist des Dichters am nächsten und zeigt in dessen eigener Sprache am treuesten, „woaus hei lewt un schrewe» hett". w. Z. R. Tolstois Briefe. Das Schlagwort der Mode, das „Psychologisch Interessante", ver¬ mag, trotz aller Mißverständnisse und hohlen Phrasen, die es deckt, den wahren Kern unseres Erkenntnisstrebens nicht zu entstellen; unser ernstes Bemühen richtet sich gegenwärtig vor Mit tiefer Liebe und bewundernswertem Fleiß hat Paul Warncke, der sich als Heraus¬ geber des „Kladderadatsch" manchen Freund, aber vielleicht auch manchen Feind gewonnen hat, die Dokumente und Erinnerungen über Reuters Leben und Schaffen zusammen¬ getragen und damit ein kultur- und literar¬ historisch gleich wertvolles Bild von wunder¬ barer Klarheit und Lebenswahrheit geschaffen. (Fritz Reuter. Woails hei lewt un schrewc» hett. Verteilt von Paul Warncke Mit vele Bitter. Berlin, bei Meyer u, Jessen.Preis 3 M.) Nicht nur Lichter malt der Verfasser, er ver¬ schweigt auch nicht die Schattenseiten im Charakter und der Lebensführung des Dichters; aber alles kommt so richtig „lau Platz", daß am Schluß ein ganzer Kerl, unser lieber, kerniger Fritz Reuter dasteht. Der gemüt- und humorvolle Ton, der seine Werke so an¬ ziehend macht, ist hier mit Meisterschaft ge¬ troffen. Oft meinen wir unsern „Fritzing" selbst zu hören. In dem Kapitel „Sllernhus un Kmnerjohren" tritt uns der Vater des Dichters als „Sülwstherrscher" und Bürgermeister von Stavenhagen leibhaft entgegen. „Hei was M Kirk von baben bet unum, von Ur lau Emil', en Mann mit livre Ogcn un hellen Kopp, mit 'n fahles Hart un mit 'ne Jsenhcmd." Diese Eisensand hat oft schwer auf dem Jungen gelegen; „up dit Mag hett de Oil de Sal nich up 't richtige Eur' cmsnäden." Besserverstnndes„sinMudding", eine kränkliche, stille Frau, den Sohn zu lenken, den wir in dem Buche durch seine „schaukelt" und die ziemlich zügellosen Studentenjahre in Rostock und Jena begleiten, bis die Katastrophe herein¬

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/52>, abgerufen am 27.12.2024.