Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Literaturgeschichtliches Zwei Geschichten der Weltliteratur. Fast gerade bei Maupassant. Im ganzen läßt sich Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Literaturgeschichtliches Zwei Geschichten der Weltliteratur. Fast gerade bei Maupassant. Im ganzen läßt sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318117"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341893_317612/figures/grenzboten_341893_317612_318117_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <cb type="start"/> <div n="2"> <head> Literaturgeschichtliches</head> <div n="3"> <head> Zwei Geschichten der Weltliteratur. </head> <p xml:id="ID_2288" next="#ID_2289"> Fast<lb/> gleichzeitig sind in: Verlage des Bibliographi¬<lb/> schen Instituts in Leipzig eine zweibändige<lb/> „Weltgeschichte der Literatur" von Otto Hauser<lb/> und bei Velhagen u, Klasing in Bielefeld die<lb/> erste Hälfte einer „Geschichte der Weltliteratur"<lb/> von Carl Busse erschienen. Hauser faßt den<lb/> großen Stoff vornehmlich vom Standpunkt<lb/> des Nassenforschers, des Anthropologen; er<lb/> fußt auf der ganzen neueren, für dies Gebiet<lb/> geleisteten Arbeit, insbesondere auf den zum<lb/> Teil so glücklichen Ergebnissen Ludwig Wolt-<lb/> mcmnS. So führt er bei jeder neu dar¬<lb/> zustellenden Kultur mit wissenschaftlicher Ge¬<lb/> nauigkeit in die Urgeschichte, Sprachgeschichte,<lb/> Rassenentwicklung der einzelnen Völker hinein,<lb/> und gerade diese Teile seines Werkes fesseln<lb/> besonders. Er stellt mit Ausnahme einzelner<lb/> eng zusammengehöriger Gebiete, wie des christ¬<lb/> lichen Literatnrkreises (Neues Testament und<lb/> Kirchenväter), die einzelnen Literaturen inner¬<lb/> halb ihres Stammeskreises nacheinander dar.<lb/> Vielfach bewährt er sich dabei als der bekannte<lb/> feinfühlige Übersetzer. Weniger glücklich scheint<lb/> mir die Einteilung einiger Literaturen in sich.<lb/> So ist die Schilderung der deutschen Dichtung<lb/> seit den Klassikern nicht recht organisch, hinter<lb/> der Romantik folgen Dichter wie Matthisson,<lb/> Seume und Hebel, dann wieder getrennt<lb/> von der übrigen Romantik Chamisso und Kleist.<lb/> Gotthelf steht mit Auerbach hinterAnzengruber,<lb/> und nach Spielhagen folgt mit Gerstäcker und<lb/> Schücking völlig in einer Reihe Sealssteld.<lb/> Auch im einzelnen wird man oft zu leb¬<lb/> haftem Widerspruch aufgerufen, so wennHauser<lb/> Goethe „die Wortkunst im engeren Sinne" ab¬<lb/> spricht (der engere Sinn kann doch da höchstens<lb/> der einer ganz modernen Schule sein), wenn<lb/> er E. Th. A. Hoffmann, den immer noch<lb/> Lebendigen, für rasch veraltet erklärt oder bei<lb/> Maupassant „den Zug der Güte" vermißt —</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2289" prev="#ID_2288" next="#ID_2290"> gerade bei Maupassant. Im ganzen läßt sich<lb/> aus dem Werk um so mehr lernen, als es<lb/> sich mit großer Spezialkenntnis gerade auch<lb/> über abgelegene Literaturen verbreitet, die<lb/> uns Deutschen ferner liegen, und zu denen<lb/> es einen sicheren Führer abgibt. — In um¬<lb/> gekehrter Weise steht bei Busse nicht die Rassen-<lb/> und Sprachforschung, sondern das Ästhetische<lb/> im Vordergründe; er geht weniger auf er¬<lb/> schöpfende Überblicke als auf Heraushebung<lb/> des uns Lebendigen aus und arbeitet auch<lb/> insofern anders, als er synchronistisch verführt<lb/> und nach Christi Geburt Christentum, Mittel¬<lb/> alter, Frührenaissance, Hochrenaissance und Re¬<lb/> formation in zusammenhängenden Abschnitten<lb/> und innerhalb dieser Abschnitte jedesmal die<lb/> Entwicklung der einzelnengermanischen und ro¬<lb/> manischen Literaturen behandelt— die Slawen<lb/> und die kleineren germanischen Völker behält<lb/> er sich wohl für durchgehende Darstellung in<lb/> der zweiten Abteilung vor. Stilistisch steht<lb/> das Werk über dem anderen, historisch Wohl<lb/> Hauser über ihm. Busse schreibt lebhafter,<lb/> anschaulicher, bilderreicher — man kann unser<lb/> Empfinden gegenüber der orientalischen und<lb/> dann wiederum der antiken Literatur kaum<lb/> besser geben, als Busse es (S. 96 und 96) tut.<lb/> Seine Vergleiche gehen vielfach denn freilich<lb/> auch manchmal ein wenig zu weit. Er besitzt<lb/> die Kunst, uns die Dichter, auf die es ihm<lb/> ankommt, persönlich in Art und Unart vor¬<lb/> zustellen — wie lebt etwa das allerliebste<lb/> Kerlchen Homz bis ins Kleine und Kleinste<lb/> in Busses Schilderungen. Busse kürzt oft ab,<lb/> um für die Hauptsachen Platz und Atem zu<lb/> gewinnen, die großen Erscheinungen, wie Hart¬<lb/> mann, Wolfram, Gottfried, breit nebeneinander<lb/> zu stellen. Beim zweiten Band werden wir<lb/> aber Wohl ein Hühnchen miteinander pflücken<lb/> müssen, denn an mehr als einer Stelle wird<lb/> bereits jetzt eine Beurteilung Schillers gegen¬<lb/> über den „vier Weltdichtern", Dante, Cer-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
[Abbildung]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Literaturgeschichtliches Zwei Geschichten der Weltliteratur. Fast
gleichzeitig sind in: Verlage des Bibliographi¬
schen Instituts in Leipzig eine zweibändige
„Weltgeschichte der Literatur" von Otto Hauser
und bei Velhagen u, Klasing in Bielefeld die
erste Hälfte einer „Geschichte der Weltliteratur"
von Carl Busse erschienen. Hauser faßt den
großen Stoff vornehmlich vom Standpunkt
des Nassenforschers, des Anthropologen; er
fußt auf der ganzen neueren, für dies Gebiet
geleisteten Arbeit, insbesondere auf den zum
Teil so glücklichen Ergebnissen Ludwig Wolt-
mcmnS. So führt er bei jeder neu dar¬
zustellenden Kultur mit wissenschaftlicher Ge¬
nauigkeit in die Urgeschichte, Sprachgeschichte,
Rassenentwicklung der einzelnen Völker hinein,
und gerade diese Teile seines Werkes fesseln
besonders. Er stellt mit Ausnahme einzelner
eng zusammengehöriger Gebiete, wie des christ¬
lichen Literatnrkreises (Neues Testament und
Kirchenväter), die einzelnen Literaturen inner¬
halb ihres Stammeskreises nacheinander dar.
Vielfach bewährt er sich dabei als der bekannte
feinfühlige Übersetzer. Weniger glücklich scheint
mir die Einteilung einiger Literaturen in sich.
So ist die Schilderung der deutschen Dichtung
seit den Klassikern nicht recht organisch, hinter
der Romantik folgen Dichter wie Matthisson,
Seume und Hebel, dann wieder getrennt
von der übrigen Romantik Chamisso und Kleist.
Gotthelf steht mit Auerbach hinterAnzengruber,
und nach Spielhagen folgt mit Gerstäcker und
Schücking völlig in einer Reihe Sealssteld.
Auch im einzelnen wird man oft zu leb¬
haftem Widerspruch aufgerufen, so wennHauser
Goethe „die Wortkunst im engeren Sinne" ab¬
spricht (der engere Sinn kann doch da höchstens
der einer ganz modernen Schule sein), wenn
er E. Th. A. Hoffmann, den immer noch
Lebendigen, für rasch veraltet erklärt oder bei
Maupassant „den Zug der Güte" vermißt —
gerade bei Maupassant. Im ganzen läßt sich
aus dem Werk um so mehr lernen, als es
sich mit großer Spezialkenntnis gerade auch
über abgelegene Literaturen verbreitet, die
uns Deutschen ferner liegen, und zu denen
es einen sicheren Führer abgibt. — In um¬
gekehrter Weise steht bei Busse nicht die Rassen-
und Sprachforschung, sondern das Ästhetische
im Vordergründe; er geht weniger auf er¬
schöpfende Überblicke als auf Heraushebung
des uns Lebendigen aus und arbeitet auch
insofern anders, als er synchronistisch verführt
und nach Christi Geburt Christentum, Mittel¬
alter, Frührenaissance, Hochrenaissance und Re¬
formation in zusammenhängenden Abschnitten
und innerhalb dieser Abschnitte jedesmal die
Entwicklung der einzelnengermanischen und ro¬
manischen Literaturen behandelt— die Slawen
und die kleineren germanischen Völker behält
er sich wohl für durchgehende Darstellung in
der zweiten Abteilung vor. Stilistisch steht
das Werk über dem anderen, historisch Wohl
Hauser über ihm. Busse schreibt lebhafter,
anschaulicher, bilderreicher — man kann unser
Empfinden gegenüber der orientalischen und
dann wiederum der antiken Literatur kaum
besser geben, als Busse es (S. 96 und 96) tut.
Seine Vergleiche gehen vielfach denn freilich
auch manchmal ein wenig zu weit. Er besitzt
die Kunst, uns die Dichter, auf die es ihm
ankommt, persönlich in Art und Unart vor¬
zustellen — wie lebt etwa das allerliebste
Kerlchen Homz bis ins Kleine und Kleinste
in Busses Schilderungen. Busse kürzt oft ab,
um für die Hauptsachen Platz und Atem zu
gewinnen, die großen Erscheinungen, wie Hart¬
mann, Wolfram, Gottfried, breit nebeneinander
zu stellen. Beim zweiten Band werden wir
aber Wohl ein Hühnchen miteinander pflücken
müssen, denn an mehr als einer Stelle wird
bereits jetzt eine Beurteilung Schillers gegen¬
über den „vier Weltdichtern", Dante, Cer-
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