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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Aus Briefen der Ulertherzeit

nicht geschehen darf. Anderseits müßte darauf hingewirkt werden, daß in den
Kirchen aller Bekenntnisse die aus alter Zeit überkommenen Kunstwerke wenn
nicht anders, so wenigstens als Leistungen der Kunst ständig gut gehalten werden,
damit dem Kirchenbesucher Respekt vor der Kunst als solcher auch an dieser
Stelle eingeflößt und bewahrt bleibt. Am letzten Ende muß auch hier dem
Staate und den Behörden ein großes Maß von Einspruchsrecht gestattet sein.
Es herrscht hier schließlich dasselbe Recht wie etwa, wenn eine Behörde den
Privatbaumeistern aufgibt, bei der Bebauung eines Platzes eine architektonische
Gleichwertigkeit in den Gebäuden nach Aufbau wie Dekor zu erstreben. Die
Interessen einzelner, sei es nun das "physischer Personen", sei es das von
Korporationen, müssen sich allgemeinen Gesichtspunkten unterordnen.

Die Beispiele, wie die bildende Kunst und die innere Politik sich berühren,
lassen sich noch mehren -- es genügt mir, erörtert zu haben, wie sich die
bildende Kunst in den Rahmen der produktiven staatlichen Lebensbetätigung
einfügt. Auch die bildende Kunst ist, richtig angewendet, eine außerordentlich
feine und gut treffende Waffe gegen innere Anarchie des geistigen und seelischen
Lebens eines Volkes, und kein Staatsmann sollte irgendwie leichtfertig mit ihr
umgehen, sie in irgendeiner Richtung als einen Luxus betrachten, den man
nach Gefallen, nach Gunst und Gaben behandeln oder gar außer Rechnung
setzen darf -- am wenigsten in unserer Zeit, die eine so ungeheure Aus¬
dehnung des Kunstbedürfnisses gewonnen hat, daß wir von einer "sozialen
Kunst" reden müssen. Ein jeder Politiker wird eine sorgsam abgewogene
Stellung zur bildenden Kunst einzunehmen haben, will er seine Pflichten erfüllen.




Aus Briefen der Wertherzeit
Hermann Bräuning - Dktavi von I.

le Empfindsamen in Darmstadt" betitelt sich ein neuerdings bei
Klinkhardt und Biermann in Leipzig erschienenes Buch, das schon
durch seine geschmackvollen und zahlreichen, zum Teil bisher
unbekannten Abbildungen vom flüchtigen Betrachten zu längerem
Verweilen zwingt. Es ist lebhaft anzuerkennen, daß der Verfasser,
Valerian Tornius, den Versuch gewagt hat, uns in zierlichen Federzeichnungen,
oder soll ich sagen Silhouetten, Männer und Frauen der Wertherzeit näher zu
Gingen- angenehmer und gefälliger hätte er die Form nicht wählen können,
als nach einer Schilderung der Stadt und des Hofes, um den sich die Empfind¬
samen vereinigten, die hervorragendsten Glieder dieses Kreises zu zeichnen. Daß
die Zeichnungen nicht immer völlig geglückt sind, ist gewiß zu bedauern, wird


Aus Briefen der Ulertherzeit

nicht geschehen darf. Anderseits müßte darauf hingewirkt werden, daß in den
Kirchen aller Bekenntnisse die aus alter Zeit überkommenen Kunstwerke wenn
nicht anders, so wenigstens als Leistungen der Kunst ständig gut gehalten werden,
damit dem Kirchenbesucher Respekt vor der Kunst als solcher auch an dieser
Stelle eingeflößt und bewahrt bleibt. Am letzten Ende muß auch hier dem
Staate und den Behörden ein großes Maß von Einspruchsrecht gestattet sein.
Es herrscht hier schließlich dasselbe Recht wie etwa, wenn eine Behörde den
Privatbaumeistern aufgibt, bei der Bebauung eines Platzes eine architektonische
Gleichwertigkeit in den Gebäuden nach Aufbau wie Dekor zu erstreben. Die
Interessen einzelner, sei es nun das „physischer Personen", sei es das von
Korporationen, müssen sich allgemeinen Gesichtspunkten unterordnen.

Die Beispiele, wie die bildende Kunst und die innere Politik sich berühren,
lassen sich noch mehren — es genügt mir, erörtert zu haben, wie sich die
bildende Kunst in den Rahmen der produktiven staatlichen Lebensbetätigung
einfügt. Auch die bildende Kunst ist, richtig angewendet, eine außerordentlich
feine und gut treffende Waffe gegen innere Anarchie des geistigen und seelischen
Lebens eines Volkes, und kein Staatsmann sollte irgendwie leichtfertig mit ihr
umgehen, sie in irgendeiner Richtung als einen Luxus betrachten, den man
nach Gefallen, nach Gunst und Gaben behandeln oder gar außer Rechnung
setzen darf — am wenigsten in unserer Zeit, die eine so ungeheure Aus¬
dehnung des Kunstbedürfnisses gewonnen hat, daß wir von einer „sozialen
Kunst" reden müssen. Ein jeder Politiker wird eine sorgsam abgewogene
Stellung zur bildenden Kunst einzunehmen haben, will er seine Pflichten erfüllen.




Aus Briefen der Wertherzeit
Hermann Bräuning - Dktavi von I.

le Empfindsamen in Darmstadt" betitelt sich ein neuerdings bei
Klinkhardt und Biermann in Leipzig erschienenes Buch, das schon
durch seine geschmackvollen und zahlreichen, zum Teil bisher
unbekannten Abbildungen vom flüchtigen Betrachten zu längerem
Verweilen zwingt. Es ist lebhaft anzuerkennen, daß der Verfasser,
Valerian Tornius, den Versuch gewagt hat, uns in zierlichen Federzeichnungen,
oder soll ich sagen Silhouetten, Männer und Frauen der Wertherzeit näher zu
Gingen- angenehmer und gefälliger hätte er die Form nicht wählen können,
als nach einer Schilderung der Stadt und des Hofes, um den sich die Empfind¬
samen vereinigten, die hervorragendsten Glieder dieses Kreises zu zeichnen. Daß
die Zeichnungen nicht immer völlig geglückt sind, ist gewiß zu bedauern, wird


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[0425] Aus Briefen der Ulertherzeit nicht geschehen darf. Anderseits müßte darauf hingewirkt werden, daß in den Kirchen aller Bekenntnisse die aus alter Zeit überkommenen Kunstwerke wenn nicht anders, so wenigstens als Leistungen der Kunst ständig gut gehalten werden, damit dem Kirchenbesucher Respekt vor der Kunst als solcher auch an dieser Stelle eingeflößt und bewahrt bleibt. Am letzten Ende muß auch hier dem Staate und den Behörden ein großes Maß von Einspruchsrecht gestattet sein. Es herrscht hier schließlich dasselbe Recht wie etwa, wenn eine Behörde den Privatbaumeistern aufgibt, bei der Bebauung eines Platzes eine architektonische Gleichwertigkeit in den Gebäuden nach Aufbau wie Dekor zu erstreben. Die Interessen einzelner, sei es nun das „physischer Personen", sei es das von Korporationen, müssen sich allgemeinen Gesichtspunkten unterordnen. Die Beispiele, wie die bildende Kunst und die innere Politik sich berühren, lassen sich noch mehren — es genügt mir, erörtert zu haben, wie sich die bildende Kunst in den Rahmen der produktiven staatlichen Lebensbetätigung einfügt. Auch die bildende Kunst ist, richtig angewendet, eine außerordentlich feine und gut treffende Waffe gegen innere Anarchie des geistigen und seelischen Lebens eines Volkes, und kein Staatsmann sollte irgendwie leichtfertig mit ihr umgehen, sie in irgendeiner Richtung als einen Luxus betrachten, den man nach Gefallen, nach Gunst und Gaben behandeln oder gar außer Rechnung setzen darf — am wenigsten in unserer Zeit, die eine so ungeheure Aus¬ dehnung des Kunstbedürfnisses gewonnen hat, daß wir von einer „sozialen Kunst" reden müssen. Ein jeder Politiker wird eine sorgsam abgewogene Stellung zur bildenden Kunst einzunehmen haben, will er seine Pflichten erfüllen. Aus Briefen der Wertherzeit Hermann Bräuning - Dktavi von I. le Empfindsamen in Darmstadt" betitelt sich ein neuerdings bei Klinkhardt und Biermann in Leipzig erschienenes Buch, das schon durch seine geschmackvollen und zahlreichen, zum Teil bisher unbekannten Abbildungen vom flüchtigen Betrachten zu längerem Verweilen zwingt. Es ist lebhaft anzuerkennen, daß der Verfasser, Valerian Tornius, den Versuch gewagt hat, uns in zierlichen Federzeichnungen, oder soll ich sagen Silhouetten, Männer und Frauen der Wertherzeit näher zu Gingen- angenehmer und gefälliger hätte er die Form nicht wählen können, als nach einer Schilderung der Stadt und des Hofes, um den sich die Empfind¬ samen vereinigten, die hervorragendsten Glieder dieses Kreises zu zeichnen. Daß die Zeichnungen nicht immer völlig geglückt sind, ist gewiß zu bedauern, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/425>, abgerufen am 27.12.2024.