Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Aus Briefen der Wertherzeit aber dem Liebhaber, der in den Tagen des "Kintopps" auch hier Bilder, Abgesehen von der "Künstlerkolonie 1901", gibt es gewißlich keine Zeit, Gewiß steht die kurze Spanne der Jahre 1770 bis 1774, da die Namen Auch in der Geschichte der Musik, der Oper sollte der Geschichtsschreiber Aus Briefen der Wertherzeit aber dem Liebhaber, der in den Tagen des „Kintopps" auch hier Bilder, Abgesehen von der „Künstlerkolonie 1901", gibt es gewißlich keine Zeit, Gewiß steht die kurze Spanne der Jahre 1770 bis 1774, da die Namen Auch in der Geschichte der Musik, der Oper sollte der Geschichtsschreiber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318039"/> <fw type="header" place="top"> Aus Briefen der Wertherzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1931" prev="#ID_1930"> aber dem Liebhaber, der in den Tagen des „Kintopps" auch hier Bilder,<lb/> flüchtige Eindrücke empfangen will, schmerlich auffallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1932"> Abgesehen von der „Künstlerkolonie 1901", gibt es gewißlich keine Zeit,<lb/> in der Darmstadt so sehr die Blicke der literarischen Welt Deutschlands auf<lb/> sich gezogen hat, wie in den Tagen der großen Landgräfin Caroline von Hessen.<lb/> Wer heute in Darmstadt das efeuumrankte Grab dieser Fürstin, geschmückt<lb/> mit den Worten Friedrichs des Großen: „I^caua ssxu, inZenio vir", im<lb/> sogenannten Herrngarten an der Rückseite des Großherzoglichen Hoftheaters<lb/> besucht, findet wenige Schritte weiter im Park das Goethedenkmal, dessen Sockel<lb/> die Neliefporträts von Goethe, Merck und Caroline Flachsland zieren.<lb/> Erinnerungen steigen auf!</p><lb/> <p xml:id="ID_1933"> Gewiß steht die kurze Spanne der Jahre 1770 bis 1774, da die Namen<lb/> Goethe, Herder, Wieland, Gleim, Merck, La Noche, Lavater in raschem Wechsel<lb/> einander am Darmstädtischen Hofe ablösten, vollkommen vereinzelt in der Geschichte<lb/> hessischen Geisteslebens da; aber wir wollen doch nicht in falscher Überschätzung<lb/> verkennen, daß diese Bewegung nur einen verschwindend kleinen Teil der Bevöl¬<lb/> kerung Darmstadts ergriffen hat, ergreifen konnte. Der Darmstädter Bürger<lb/> war damals nicht besser als heute; Geschmack und Enthusiasmus hat er nie<lb/> selbständig entwickelt. Dagegen hat man am hessischen Hofe zu allen Zeiten vor-<lb/> und nachher der Dichtkunst, Musik oder bildenden Kunst, vor allem auch der<lb/> Vereinigung aller Künste auf der Schaubühne, reiche Entfaltung durch frei¬<lb/> gebige Förderung ermöglicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1934" next="#ID_1935"> Auch in der Geschichte der Musik, der Oper sollte der Geschichtsschreiber<lb/> wahrlich mehr kritische Schärfe entwickeln, wenn er die sogenannte Blütezeit der<lb/> Oper unter Großherzog Ludewig dem Ersten (regierte von 1790 bis 1830)<lb/> betrachtet oder den mehr ehrgeizig strebsamen als „genialen" Kapellmeister<lb/> Schindelmeißer in den Himmel hebt, wie es z. B. der Großherzoglich Hessische<lb/> Hofschauspieler und Hofrezitator Hermann Knispel in seiner Geschichte des<lb/> Darmstädter Hoftheaters tut, dem oft die nötige Tiefe und Objektivität abgeht;<lb/> ich erinnere hier nur an die ihm unbekannten Auslassungen Ludwig Tiecks in<lb/> feinen „Kritischen Schriften" (Leipzig 1852, Band 4. S. 82 und 89), Eduard<lb/> Devrients über eine Aufführung von Webers „Euryanthe" (Briefwechsel zwischen<lb/> Eduard und Therese Devrient, ecZ. Hans Devrient, Stuttgart 1910, S. 241),<lb/> über die er sich durchaus abfällig, geradezu vernichtend ausspricht. Schier<lb/> vergessen hat man dagegen bisher die Zeit eines Christoph Graupner, unstreitig<lb/> des genialsten und tüchtigsten Komponisten seiner Zeit, der unter der Regierung<lb/> des Landgrafen Ernst Ludwig (1688 bis 1739) als Kapellmeister wirkte; Pro¬<lb/> fessor Dr. W. Nagel (Darmstadt) hat in seinen: „Leben Chr. Graupners"<lb/> (Sammelbände der Internat. Musikgesellschaft, Leipzig 1909, Band 10, S. 568<lb/> bis 612) nachdrücklich auf die Bedeutung dieses Mannes hingewiesen und neuer¬<lb/> dings mit der Veröffentlichung von mir aufgefundener Briefe Graupners und<lb/> seines Freundes, des Kapellmeisters G. Grünewald (ebenda, Bd. 12, S. 105 ff.)</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0426]
Aus Briefen der Wertherzeit
aber dem Liebhaber, der in den Tagen des „Kintopps" auch hier Bilder,
flüchtige Eindrücke empfangen will, schmerlich auffallen.
Abgesehen von der „Künstlerkolonie 1901", gibt es gewißlich keine Zeit,
in der Darmstadt so sehr die Blicke der literarischen Welt Deutschlands auf
sich gezogen hat, wie in den Tagen der großen Landgräfin Caroline von Hessen.
Wer heute in Darmstadt das efeuumrankte Grab dieser Fürstin, geschmückt
mit den Worten Friedrichs des Großen: „I^caua ssxu, inZenio vir", im
sogenannten Herrngarten an der Rückseite des Großherzoglichen Hoftheaters
besucht, findet wenige Schritte weiter im Park das Goethedenkmal, dessen Sockel
die Neliefporträts von Goethe, Merck und Caroline Flachsland zieren.
Erinnerungen steigen auf!
Gewiß steht die kurze Spanne der Jahre 1770 bis 1774, da die Namen
Goethe, Herder, Wieland, Gleim, Merck, La Noche, Lavater in raschem Wechsel
einander am Darmstädtischen Hofe ablösten, vollkommen vereinzelt in der Geschichte
hessischen Geisteslebens da; aber wir wollen doch nicht in falscher Überschätzung
verkennen, daß diese Bewegung nur einen verschwindend kleinen Teil der Bevöl¬
kerung Darmstadts ergriffen hat, ergreifen konnte. Der Darmstädter Bürger
war damals nicht besser als heute; Geschmack und Enthusiasmus hat er nie
selbständig entwickelt. Dagegen hat man am hessischen Hofe zu allen Zeiten vor-
und nachher der Dichtkunst, Musik oder bildenden Kunst, vor allem auch der
Vereinigung aller Künste auf der Schaubühne, reiche Entfaltung durch frei¬
gebige Förderung ermöglicht.
Auch in der Geschichte der Musik, der Oper sollte der Geschichtsschreiber
wahrlich mehr kritische Schärfe entwickeln, wenn er die sogenannte Blütezeit der
Oper unter Großherzog Ludewig dem Ersten (regierte von 1790 bis 1830)
betrachtet oder den mehr ehrgeizig strebsamen als „genialen" Kapellmeister
Schindelmeißer in den Himmel hebt, wie es z. B. der Großherzoglich Hessische
Hofschauspieler und Hofrezitator Hermann Knispel in seiner Geschichte des
Darmstädter Hoftheaters tut, dem oft die nötige Tiefe und Objektivität abgeht;
ich erinnere hier nur an die ihm unbekannten Auslassungen Ludwig Tiecks in
feinen „Kritischen Schriften" (Leipzig 1852, Band 4. S. 82 und 89), Eduard
Devrients über eine Aufführung von Webers „Euryanthe" (Briefwechsel zwischen
Eduard und Therese Devrient, ecZ. Hans Devrient, Stuttgart 1910, S. 241),
über die er sich durchaus abfällig, geradezu vernichtend ausspricht. Schier
vergessen hat man dagegen bisher die Zeit eines Christoph Graupner, unstreitig
des genialsten und tüchtigsten Komponisten seiner Zeit, der unter der Regierung
des Landgrafen Ernst Ludwig (1688 bis 1739) als Kapellmeister wirkte; Pro¬
fessor Dr. W. Nagel (Darmstadt) hat in seinen: „Leben Chr. Graupners"
(Sammelbände der Internat. Musikgesellschaft, Leipzig 1909, Band 10, S. 568
bis 612) nachdrücklich auf die Bedeutung dieses Mannes hingewiesen und neuer¬
dings mit der Veröffentlichung von mir aufgefundener Briefe Graupners und
seines Freundes, des Kapellmeisters G. Grünewald (ebenda, Bd. 12, S. 105 ff.)
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