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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der Unentbehrliche

dein Notstände abzuhelfen, welcher hente schon einzelne Zweige unserer Industrie
bedroht, andere zu bedrohen anfängt. In engem Zusammenhang mit der
Erweiterung der Absatzmärkte in unseren Kolonien und mit dem Bezug vou
Rohprodukten steht das großzügige, vorhin bereits von mir erwähnte Bahn¬
programm meines Vorgängers, welches weiter fortgeführt werden soll und muß.
Eine Reihe von Vorschlägen zur Hebung der tropischen und subtropischen
Landwirtschaft, welche Ihnen im Etat 1911 vorgelegt werden, soll im
Endziel demselben Zweck dienen. Es wird Ihnen noch vor der Budget¬
kommission eine umfangreiche Baumwolldenkschrift vorgelegt werden, durch
welche untersucht werden soll, wie der augenblicklichen Baumwollnot
abgeholfen werden kann......."

Nach den Gutachten namhafter Kolonialautoritäteu werden wir in etwa
60 Jahren in dem Bezüge vou Rohbaumwolle von den Vereinigten Staaten
unabhängig sein, und nach Berechnungen von Warburg werden nach Einführung
geeigneter Methoden -- zumal wenn allgemein an Stelle des primitiven
Betriebes der Eingeborenen europäische Plantagenwirtschaft mit maschinellen
Großbetrieb eingerichtet sein wird -- unsere Kolonien bis zu 2'/-> Millionen
Ballen liefern können, also mehr, als zurzeit der gesamte deutsche Verbrauch
beträgt.




Der Unentbehrliche
Rolph Boddenhnsen Humoreske von

es bin meiner engeren Heimat im mittleren Weichselgebiet eigentlich
recht entfremdet. Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich weiß auch
nicht, wer den größeren Teil der Schuld trägt -- die Heimat oder
ich. Richtig bewußt ist mir eigentlich nur, daß ich mich allmählich
daran gewöhnt habe, das Sauerkraut nicht in die Erbssuppe zu
mengen, sondern, wenn nötig, für sich zu genießen; auch ist mir der Sinn ver¬
loren gegangen für die brennende Wichtigkeit der Frage, ob Nikolaus Kopernikus
sich mit C oder K, mit einem oder zwei p schreibt -- wovon die Gelehrten meiner
Heimatprovinz es abhängig machen, ob die Erde auf deutsch oder auf polnisch
sich um die Sonne dreht.

Dennoch ist mir alles wichtig und interessant, was von dorther kommt. In
ihrem jüngsten Briefe schrieb mir meine Mutter unter vielem andern, daß Jan
Witotzki gestorben sei.

Weiß der liebe Himmel, wie das Gedächtnis leidet in zwanzig Jahren!
Stundenlang habe ich mir den Kopf zerbrochen und nicht darauf kommen können,
wer Jan Witotzki ist. Dabei war mir der Name so bekannt und geläufig wie
nur irgendeiner . . .

Endlich!


Der Unentbehrliche

dein Notstände abzuhelfen, welcher hente schon einzelne Zweige unserer Industrie
bedroht, andere zu bedrohen anfängt. In engem Zusammenhang mit der
Erweiterung der Absatzmärkte in unseren Kolonien und mit dem Bezug vou
Rohprodukten steht das großzügige, vorhin bereits von mir erwähnte Bahn¬
programm meines Vorgängers, welches weiter fortgeführt werden soll und muß.
Eine Reihe von Vorschlägen zur Hebung der tropischen und subtropischen
Landwirtschaft, welche Ihnen im Etat 1911 vorgelegt werden, soll im
Endziel demselben Zweck dienen. Es wird Ihnen noch vor der Budget¬
kommission eine umfangreiche Baumwolldenkschrift vorgelegt werden, durch
welche untersucht werden soll, wie der augenblicklichen Baumwollnot
abgeholfen werden kann......."

Nach den Gutachten namhafter Kolonialautoritäteu werden wir in etwa
60 Jahren in dem Bezüge vou Rohbaumwolle von den Vereinigten Staaten
unabhängig sein, und nach Berechnungen von Warburg werden nach Einführung
geeigneter Methoden — zumal wenn allgemein an Stelle des primitiven
Betriebes der Eingeborenen europäische Plantagenwirtschaft mit maschinellen
Großbetrieb eingerichtet sein wird — unsere Kolonien bis zu 2'/-> Millionen
Ballen liefern können, also mehr, als zurzeit der gesamte deutsche Verbrauch
beträgt.




Der Unentbehrliche
Rolph Boddenhnsen Humoreske von

es bin meiner engeren Heimat im mittleren Weichselgebiet eigentlich
recht entfremdet. Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich weiß auch
nicht, wer den größeren Teil der Schuld trägt — die Heimat oder
ich. Richtig bewußt ist mir eigentlich nur, daß ich mich allmählich
daran gewöhnt habe, das Sauerkraut nicht in die Erbssuppe zu
mengen, sondern, wenn nötig, für sich zu genießen; auch ist mir der Sinn ver¬
loren gegangen für die brennende Wichtigkeit der Frage, ob Nikolaus Kopernikus
sich mit C oder K, mit einem oder zwei p schreibt — wovon die Gelehrten meiner
Heimatprovinz es abhängig machen, ob die Erde auf deutsch oder auf polnisch
sich um die Sonne dreht.

Dennoch ist mir alles wichtig und interessant, was von dorther kommt. In
ihrem jüngsten Briefe schrieb mir meine Mutter unter vielem andern, daß Jan
Witotzki gestorben sei.

Weiß der liebe Himmel, wie das Gedächtnis leidet in zwanzig Jahren!
Stundenlang habe ich mir den Kopf zerbrochen und nicht darauf kommen können,
wer Jan Witotzki ist. Dabei war mir der Name so bekannt und geläufig wie
nur irgendeiner . . .

Endlich!


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[0394] Der Unentbehrliche dein Notstände abzuhelfen, welcher hente schon einzelne Zweige unserer Industrie bedroht, andere zu bedrohen anfängt. In engem Zusammenhang mit der Erweiterung der Absatzmärkte in unseren Kolonien und mit dem Bezug vou Rohprodukten steht das großzügige, vorhin bereits von mir erwähnte Bahn¬ programm meines Vorgängers, welches weiter fortgeführt werden soll und muß. Eine Reihe von Vorschlägen zur Hebung der tropischen und subtropischen Landwirtschaft, welche Ihnen im Etat 1911 vorgelegt werden, soll im Endziel demselben Zweck dienen. Es wird Ihnen noch vor der Budget¬ kommission eine umfangreiche Baumwolldenkschrift vorgelegt werden, durch welche untersucht werden soll, wie der augenblicklichen Baumwollnot abgeholfen werden kann......." Nach den Gutachten namhafter Kolonialautoritäteu werden wir in etwa 60 Jahren in dem Bezüge vou Rohbaumwolle von den Vereinigten Staaten unabhängig sein, und nach Berechnungen von Warburg werden nach Einführung geeigneter Methoden — zumal wenn allgemein an Stelle des primitiven Betriebes der Eingeborenen europäische Plantagenwirtschaft mit maschinellen Großbetrieb eingerichtet sein wird — unsere Kolonien bis zu 2'/-> Millionen Ballen liefern können, also mehr, als zurzeit der gesamte deutsche Verbrauch beträgt. Der Unentbehrliche Rolph Boddenhnsen Humoreske von es bin meiner engeren Heimat im mittleren Weichselgebiet eigentlich recht entfremdet. Woran das liegt, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wer den größeren Teil der Schuld trägt — die Heimat oder ich. Richtig bewußt ist mir eigentlich nur, daß ich mich allmählich daran gewöhnt habe, das Sauerkraut nicht in die Erbssuppe zu mengen, sondern, wenn nötig, für sich zu genießen; auch ist mir der Sinn ver¬ loren gegangen für die brennende Wichtigkeit der Frage, ob Nikolaus Kopernikus sich mit C oder K, mit einem oder zwei p schreibt — wovon die Gelehrten meiner Heimatprovinz es abhängig machen, ob die Erde auf deutsch oder auf polnisch sich um die Sonne dreht. Dennoch ist mir alles wichtig und interessant, was von dorther kommt. In ihrem jüngsten Briefe schrieb mir meine Mutter unter vielem andern, daß Jan Witotzki gestorben sei. Weiß der liebe Himmel, wie das Gedächtnis leidet in zwanzig Jahren! Stundenlang habe ich mir den Kopf zerbrochen und nicht darauf kommen können, wer Jan Witotzki ist. Dabei war mir der Name so bekannt und geläufig wie nur irgendeiner . . . Endlich!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/394>, abgerufen am 27.12.2024.