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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Airche
und Freiheit des Denkens und Forschens
Prof. Dr. August Messer von

WM-! atholische Kirche und geistige Freiheit: diese beiden Dinge scheinen
sich auszuschließen. Genügt zum Beweise dafür nicht die Erinnerung
an Inquisition und Bücherverbot, an Gwrdano Bruno und Galilei
und die zahlreichen Fülle von Ausstoßung oder Anfeindung freierer
Denker bis herab auf Schelk und Schnitzer, Loisn und Tyrrell?

Trotz alledem hören wir aber immer wieder, die katholische Kirche unterdrücke
durchaus nicht die Freiheit der geistigen Entwicklung und der wissenschaftlichen
Arbeit. Und nicht etwa nur in päpstliche" oder bischöflichen Erlassen wird uus
das versichert; auch gebildete katholische Laien erklären uns das allen Ernstes.
Unter ihnen befinden sich zudem angesehene Universitütsprofessoren, von denen
man doch annehmen sollte, daß sie an deutschen Hochschulen inne geworden
wären, was Freiheit der Wissenschaft bedeute. Und in der Tat: liest man
unvoreingenommen ihre Beweisführungen, so hat man den Eindruck, daß sie
selbst wenigstens sich durch ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht geistig
beengt und bedrückt fühlen.

Um nun ein gerechtes und wohlbegründetes Urteil zu gewinnen, wollen
wir in erster Linie die Frage erwägen: Findet der einzelne, der zu geistiger
Selbständigkeit in Weltanschauung und Lebensauffassung strebt, innerhalb der
Kirche für seine geistige Entwicklung freien Spielraum? Sodann soll uns die --
übrigens eng mit der ersten zusammenhängende -- Frage beschäftigen, inwiefern
der wissenschaftlichen und philosophischen Forschung durch das katholische Dogma
Fesseln augelegt sind.

Suchen wir also den religiösen Entwicklungsgang eines Knaben und Jünglings
zu verfolgen, der aus gläubig katholischer Familie stammend, eine höhere Schule


Grenzboten l 1911 45


Katholische Airche
und Freiheit des Denkens und Forschens
Prof. Dr. August Messer von

WM-! atholische Kirche und geistige Freiheit: diese beiden Dinge scheinen
sich auszuschließen. Genügt zum Beweise dafür nicht die Erinnerung
an Inquisition und Bücherverbot, an Gwrdano Bruno und Galilei
und die zahlreichen Fülle von Ausstoßung oder Anfeindung freierer
Denker bis herab auf Schelk und Schnitzer, Loisn und Tyrrell?

Trotz alledem hören wir aber immer wieder, die katholische Kirche unterdrücke
durchaus nicht die Freiheit der geistigen Entwicklung und der wissenschaftlichen
Arbeit. Und nicht etwa nur in päpstliche» oder bischöflichen Erlassen wird uus
das versichert; auch gebildete katholische Laien erklären uns das allen Ernstes.
Unter ihnen befinden sich zudem angesehene Universitütsprofessoren, von denen
man doch annehmen sollte, daß sie an deutschen Hochschulen inne geworden
wären, was Freiheit der Wissenschaft bedeute. Und in der Tat: liest man
unvoreingenommen ihre Beweisführungen, so hat man den Eindruck, daß sie
selbst wenigstens sich durch ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht geistig
beengt und bedrückt fühlen.

Um nun ein gerechtes und wohlbegründetes Urteil zu gewinnen, wollen
wir in erster Linie die Frage erwägen: Findet der einzelne, der zu geistiger
Selbständigkeit in Weltanschauung und Lebensauffassung strebt, innerhalb der
Kirche für seine geistige Entwicklung freien Spielraum? Sodann soll uns die —
übrigens eng mit der ersten zusammenhängende — Frage beschäftigen, inwiefern
der wissenschaftlichen und philosophischen Forschung durch das katholische Dogma
Fesseln augelegt sind.

Suchen wir also den religiösen Entwicklungsgang eines Knaben und Jünglings
zu verfolgen, der aus gläubig katholischer Familie stammend, eine höhere Schule


Grenzboten l 1911 45
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[0367] [Abbildung] Katholische Airche und Freiheit des Denkens und Forschens Prof. Dr. August Messer von WM-! atholische Kirche und geistige Freiheit: diese beiden Dinge scheinen sich auszuschließen. Genügt zum Beweise dafür nicht die Erinnerung an Inquisition und Bücherverbot, an Gwrdano Bruno und Galilei und die zahlreichen Fülle von Ausstoßung oder Anfeindung freierer Denker bis herab auf Schelk und Schnitzer, Loisn und Tyrrell? Trotz alledem hören wir aber immer wieder, die katholische Kirche unterdrücke durchaus nicht die Freiheit der geistigen Entwicklung und der wissenschaftlichen Arbeit. Und nicht etwa nur in päpstliche» oder bischöflichen Erlassen wird uus das versichert; auch gebildete katholische Laien erklären uns das allen Ernstes. Unter ihnen befinden sich zudem angesehene Universitütsprofessoren, von denen man doch annehmen sollte, daß sie an deutschen Hochschulen inne geworden wären, was Freiheit der Wissenschaft bedeute. Und in der Tat: liest man unvoreingenommen ihre Beweisführungen, so hat man den Eindruck, daß sie selbst wenigstens sich durch ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht geistig beengt und bedrückt fühlen. Um nun ein gerechtes und wohlbegründetes Urteil zu gewinnen, wollen wir in erster Linie die Frage erwägen: Findet der einzelne, der zu geistiger Selbständigkeit in Weltanschauung und Lebensauffassung strebt, innerhalb der Kirche für seine geistige Entwicklung freien Spielraum? Sodann soll uns die — übrigens eng mit der ersten zusammenhängende — Frage beschäftigen, inwiefern der wissenschaftlichen und philosophischen Forschung durch das katholische Dogma Fesseln augelegt sind. Suchen wir also den religiösen Entwicklungsgang eines Knaben und Jünglings zu verfolgen, der aus gläubig katholischer Familie stammend, eine höhere Schule Grenzboten l 1911 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/367>, abgerufen am 27.12.2024.