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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches
Illstizrat Bamberge von 5. Der Familiensinn

Wo viel Geld ist, geht immer ein Gespenst um.
Je älter ich werde, je tiefer empfinde ich, soll
heißen: je schärfer beobachte ich den Fluch des
Goldes. Es scheint doch fast wie ein göttlicher
Wille, daß sich der Mensch sein tägliches Brot
verdienen soll, der Minister natürlich anders als
der Tagelöhner, aber immer Arbeit mit bescheidenem
Lohn. Ererbte Millionen sind nur Unglücksanellen,..

Theodor Fontane

om Familiensinn war in jüngster Zeit so viel die Rede, daß nur
ein besonderer Grund es rechtfertigen kann, auf diesen Gegen¬
stand zurückzukommen. Ein solcher liegt vor. In der Kreuz¬
zeitung vom 18. November 1910 hat ein praktischer Jurist, Herr
Amtsrichter v. Katte in Havelberg, die Frage des Neichserbrechts
einer Besprechung unterzogen und dabei die Ansicht geäußert, die von mir
empfohlene Neuordnung der testamentslosen Erbfolge zugunsten der Gesamtheit
werde ein Schwinden des Familiensinns zur Folge haben. Diese Ansicht wie
auch andere in dem Artikel erhobene Bedenken sollen näher beleuchtet werden.

Der Verfasser befürchtet zunächst nach der wirtschaftlichen Seite, das Ver¬
mögen des Reiches werde ins Ungeheure wachsen, wenn ihm jährlich 500 Millionen
an Erbschaften zufließen sollten. In Zeiten offenkundiger finanzieller Not hat
die Aussicht offenbar nichts Erschreckendes für den Steuerzahler. Die Schuld
des Reiches ist während aller Streitigkeiten über die Finanzreform unaufhaltsam
auf 5 Milliarden gestiegen, die der Bunde? Staaten auf 15 Milliarden, so daß
an Schuldenzinscn zurzeit annähernd 800 Millionen jährlich aufzubringen sind.
Die Ausgaben des Neichshaushalts, die sich vor zehn Jahren auf 1^ Milliarden
beliefen, sind jetzt auf 2^/2 Milliarden angewachsen. Sie steigen bestündig.
Daß sie gerade im Jahre 1910 den höchsten Punkt erreicht hätten, ist nicht
wahrscheinlich. Die Tatsachen beweisen sogar das Gegenteil. Obwohl erst im
Jahre 1909 eine jener "Finanzreformen" beschlossen wurde, die fast zu einer




Für das Erbrecht des Reiches
Illstizrat Bamberge von 5. Der Familiensinn

Wo viel Geld ist, geht immer ein Gespenst um.
Je älter ich werde, je tiefer empfinde ich, soll
heißen: je schärfer beobachte ich den Fluch des
Goldes. Es scheint doch fast wie ein göttlicher
Wille, daß sich der Mensch sein tägliches Brot
verdienen soll, der Minister natürlich anders als
der Tagelöhner, aber immer Arbeit mit bescheidenem
Lohn. Ererbte Millionen sind nur Unglücksanellen,..

Theodor Fontane

om Familiensinn war in jüngster Zeit so viel die Rede, daß nur
ein besonderer Grund es rechtfertigen kann, auf diesen Gegen¬
stand zurückzukommen. Ein solcher liegt vor. In der Kreuz¬
zeitung vom 18. November 1910 hat ein praktischer Jurist, Herr
Amtsrichter v. Katte in Havelberg, die Frage des Neichserbrechts
einer Besprechung unterzogen und dabei die Ansicht geäußert, die von mir
empfohlene Neuordnung der testamentslosen Erbfolge zugunsten der Gesamtheit
werde ein Schwinden des Familiensinns zur Folge haben. Diese Ansicht wie
auch andere in dem Artikel erhobene Bedenken sollen näher beleuchtet werden.

Der Verfasser befürchtet zunächst nach der wirtschaftlichen Seite, das Ver¬
mögen des Reiches werde ins Ungeheure wachsen, wenn ihm jährlich 500 Millionen
an Erbschaften zufließen sollten. In Zeiten offenkundiger finanzieller Not hat
die Aussicht offenbar nichts Erschreckendes für den Steuerzahler. Die Schuld
des Reiches ist während aller Streitigkeiten über die Finanzreform unaufhaltsam
auf 5 Milliarden gestiegen, die der Bunde? Staaten auf 15 Milliarden, so daß
an Schuldenzinscn zurzeit annähernd 800 Millionen jährlich aufzubringen sind.
Die Ausgaben des Neichshaushalts, die sich vor zehn Jahren auf 1^ Milliarden
beliefen, sind jetzt auf 2^/2 Milliarden angewachsen. Sie steigen bestündig.
Daß sie gerade im Jahre 1910 den höchsten Punkt erreicht hätten, ist nicht
wahrscheinlich. Die Tatsachen beweisen sogar das Gegenteil. Obwohl erst im
Jahre 1909 eine jener „Finanzreformen" beschlossen wurde, die fast zu einer


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[0288] [Abbildung] Für das Erbrecht des Reiches Illstizrat Bamberge von 5. Der Familiensinn Wo viel Geld ist, geht immer ein Gespenst um. Je älter ich werde, je tiefer empfinde ich, soll heißen: je schärfer beobachte ich den Fluch des Goldes. Es scheint doch fast wie ein göttlicher Wille, daß sich der Mensch sein tägliches Brot verdienen soll, der Minister natürlich anders als der Tagelöhner, aber immer Arbeit mit bescheidenem Lohn. Ererbte Millionen sind nur Unglücksanellen,.. Theodor Fontane om Familiensinn war in jüngster Zeit so viel die Rede, daß nur ein besonderer Grund es rechtfertigen kann, auf diesen Gegen¬ stand zurückzukommen. Ein solcher liegt vor. In der Kreuz¬ zeitung vom 18. November 1910 hat ein praktischer Jurist, Herr Amtsrichter v. Katte in Havelberg, die Frage des Neichserbrechts einer Besprechung unterzogen und dabei die Ansicht geäußert, die von mir empfohlene Neuordnung der testamentslosen Erbfolge zugunsten der Gesamtheit werde ein Schwinden des Familiensinns zur Folge haben. Diese Ansicht wie auch andere in dem Artikel erhobene Bedenken sollen näher beleuchtet werden. Der Verfasser befürchtet zunächst nach der wirtschaftlichen Seite, das Ver¬ mögen des Reiches werde ins Ungeheure wachsen, wenn ihm jährlich 500 Millionen an Erbschaften zufließen sollten. In Zeiten offenkundiger finanzieller Not hat die Aussicht offenbar nichts Erschreckendes für den Steuerzahler. Die Schuld des Reiches ist während aller Streitigkeiten über die Finanzreform unaufhaltsam auf 5 Milliarden gestiegen, die der Bunde? Staaten auf 15 Milliarden, so daß an Schuldenzinscn zurzeit annähernd 800 Millionen jährlich aufzubringen sind. Die Ausgaben des Neichshaushalts, die sich vor zehn Jahren auf 1^ Milliarden beliefen, sind jetzt auf 2^/2 Milliarden angewachsen. Sie steigen bestündig. Daß sie gerade im Jahre 1910 den höchsten Punkt erreicht hätten, ist nicht wahrscheinlich. Die Tatsachen beweisen sogar das Gegenteil. Obwohl erst im Jahre 1909 eine jener „Finanzreformen" beschlossen wurde, die fast zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/288>, abgerufen am 24.07.2024.