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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Richard Wagners Annst im modernen Frankreich

Wcsensinhalt der Töne, der klanglichen Weisheit und Tiefe sind. Aber wer
in der Stimmung den Verstand gelten läßt, wer in der Abart nicht nur die
Entartung, sondern auch eine Vervollständigung der Art zugesteht, der wird
diese Neuknnst als eine gewiß nicht uninteressante Bereicherung der Tonmöglich-
keiten zugeben. Und ähnliches erleben wir in Debussns kleinen Klavierskizzen, in
der Zuitö bel'MMLsqucz, den Lstamps, den Präludien, jVt-r8quL8 und am
deutlichsten wohl in seinen -- Liedern. Lieder? . . . Lieder ist nicht mehr der
richtige Name, auch Gesänge paßt nicht auf diese Stimmungsbilder, die in
dichte Schleier gehüllt vorbeihuschen. Debussys empfindsame Natur kommt den
Poesien Verlaines und Baudelaires entgegen. Wenn einer, so findet Debussn
den Ausdruck, diesen dichterischen Momentstimmungen tönendes Leben zu ver¬
leihen. Freilich macht er es dem Sänger nicht leicht. Er zwingt ihn, seine
Stimme völlig herabzudämpfen, auf ein Flüstern, ein Hauchen, und beinahe
wie in Tranmverzückung sich über sich selbst hinauszusetzen. Und selbst diese
schattenhaften Ncimgebilde erschöpfen nicht das Maß an Kunstwesenlosigkeit, das
dieser Impressionist verlangt. So schuf er sich seine eigenen Poesien, wandert
also auch hier auf den Bahnen Wagners, indem er nach vergeblichem Ringen
um die musikalischen Äußerungen sich zu dein Entschluß durchkämpft, sein eigener
Dichter zu werden. Aus diesem Gesichtspunkt heraus sind seine "prosss
>VnquL8" zu verstehen: gedichtete Prosa, die sich auf einen winzigen Stimmungs-
uusschnitt einnistet, die alle Farben des Regenbogens auf eine kleine stille
Umrißlinie ausstreut und sich freut an dem gestaltlosen Ineinander und Mit¬
einander der Farben. Seine Musik ist Farbenmusik. Aber in dieser geschlossenen
Formlosigkeit kann man ihr Berechtigung nicht absprechen.

Ein Muster unter den proges I^riquos ist "ve Loir":

OimaneKs zur les villes, dimanebe clans les coeurs! Oimünelie alles les petites
iilles eiiimtant et'une voix mkormee clef ronctes obstmees on cle boruss tours n'su ont
plus que pur quelques zoursl




Oimancne nisus le bleu cle mes rupes, on mes pensees tristes cle Kux it'-irtifiees
mgnquös ne veulent plus czuitter le alcun cle vioux climÄuclies trepassess.'

Zt la nuit K pgs cle velours vient enclormir le bssu ciel tstiZue, et cest äimsnene
clsris les elvenues ä'etoiles; laVierZe, or sur si-Zend, Jaffe tomber le tlsurs cle sommsill
'-

Vilo, les petits snxes, clepasse? les bironclelles alm cle vous couclrer torts äabso
lution! prene? pitie clef villes, prene^ pitie clef coeurs, vous, ur Vierte or surarZent!

Mit den überkommenen Tonwerten war in diesen Prosadichtungen nichts
auszurichten. Wer solche Vorlagen wählt, muß die Pastellstifte der Töne meistern.




Grenzboten I 1911M
Richard Wagners Annst im modernen Frankreich

Wcsensinhalt der Töne, der klanglichen Weisheit und Tiefe sind. Aber wer
in der Stimmung den Verstand gelten läßt, wer in der Abart nicht nur die
Entartung, sondern auch eine Vervollständigung der Art zugesteht, der wird
diese Neuknnst als eine gewiß nicht uninteressante Bereicherung der Tonmöglich-
keiten zugeben. Und ähnliches erleben wir in Debussns kleinen Klavierskizzen, in
der Zuitö bel'MMLsqucz, den Lstamps, den Präludien, jVt-r8quL8 und am
deutlichsten wohl in seinen — Liedern. Lieder? . . . Lieder ist nicht mehr der
richtige Name, auch Gesänge paßt nicht auf diese Stimmungsbilder, die in
dichte Schleier gehüllt vorbeihuschen. Debussys empfindsame Natur kommt den
Poesien Verlaines und Baudelaires entgegen. Wenn einer, so findet Debussn
den Ausdruck, diesen dichterischen Momentstimmungen tönendes Leben zu ver¬
leihen. Freilich macht er es dem Sänger nicht leicht. Er zwingt ihn, seine
Stimme völlig herabzudämpfen, auf ein Flüstern, ein Hauchen, und beinahe
wie in Tranmverzückung sich über sich selbst hinauszusetzen. Und selbst diese
schattenhaften Ncimgebilde erschöpfen nicht das Maß an Kunstwesenlosigkeit, das
dieser Impressionist verlangt. So schuf er sich seine eigenen Poesien, wandert
also auch hier auf den Bahnen Wagners, indem er nach vergeblichem Ringen
um die musikalischen Äußerungen sich zu dein Entschluß durchkämpft, sein eigener
Dichter zu werden. Aus diesem Gesichtspunkt heraus sind seine „prosss
>VnquL8" zu verstehen: gedichtete Prosa, die sich auf einen winzigen Stimmungs-
uusschnitt einnistet, die alle Farben des Regenbogens auf eine kleine stille
Umrißlinie ausstreut und sich freut an dem gestaltlosen Ineinander und Mit¬
einander der Farben. Seine Musik ist Farbenmusik. Aber in dieser geschlossenen
Formlosigkeit kann man ihr Berechtigung nicht absprechen.

Ein Muster unter den proges I^riquos ist „ve Loir":

OimaneKs zur les villes, dimanebe clans les coeurs! Oimünelie alles les petites
iilles eiiimtant et'une voix mkormee clef ronctes obstmees on cle boruss tours n'su ont
plus que pur quelques zoursl




Oimancne nisus le bleu cle mes rupes, on mes pensees tristes cle Kux it'-irtifiees
mgnquös ne veulent plus czuitter le alcun cle vioux climÄuclies trepassess.'

Zt la nuit K pgs cle velours vient enclormir le bssu ciel tstiZue, et cest äimsnene
clsris les elvenues ä'etoiles; laVierZe, or sur si-Zend, Jaffe tomber le tlsurs cle sommsill
'-

Vilo, les petits snxes, clepasse? les bironclelles alm cle vous couclrer torts äabso
lution! prene? pitie clef villes, prene^ pitie clef coeurs, vous, ur Vierte or surarZent!

Mit den überkommenen Tonwerten war in diesen Prosadichtungen nichts
auszurichten. Wer solche Vorlagen wählt, muß die Pastellstifte der Töne meistern.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/287>, abgerufen am 28.12.2024.