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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Einfluß fördern und dadurch diejenigen, die ruhig und ernsthaft am Ausgleich
der Gegensätze arbeiten, ins Hintertreffen bringen, -- jedenfalls aber die Lage
der Deutschen in Elsaß-Lothringen und besonders die der Regierung noch
schwieriger gestalten als bisher.


ni. Die Lösung

Wenn man aber etwas tuu will, -- viel läßt sich, wie gesagt, auf gesetz¬
geberischen Wege nicht erreichen, -- wenn man anerkennt, daß wir an den
ernsten Symptomen der Unzufriedenheit in Elsaß-Lothringen nicht achtlos vor¬
übergehen dürfen, dann beseitige man vor allem den Fehler, den wir 1871
gemacht haben, dadurch, daß wir die Elsaß-Lothringer, bisher stolze Bürger
eines großen Reichs, in das kleine Stäätchen "Reichsland" mit seiner ganzen
partikularistischen Misere eingesperrt haben; öffnen wir ihm die Tore, machen
wir ihm die Bahn frei, auf welcher es werden kann, was es früher war:
vollberechtigtes und deshalb zufriedenes Glied eines großen einheitlichen Staats¬
wesens mit ruhmreicher Geschichte!

Das Reich, das seiner ganzen Struktur nach für die Aufgabe, eine Provinz
zu verwalten, die innerlich erst den: Deutschtum gewonnen werden soll, wenig
geeignet erscheint, beauftrage damit die Vormacht des Reichs, Preußen; die
Form zu finden, in der das geschehen kann, bietet keine Schwierigkeit (Real-
union, Personalunion, preußische Provinz stehen den Staatskünstlern zur Wahl).
Und dann versuche man, es einmal gerade umgekehrt zu machen, als man es
bisher gemacht hat: Anstatt dem Lande auf das Geschrei berufs- und gewerbs¬
mäßiger Hetzer und Agitatoren ungerechtfertigte, dem Reiche schädliche Zu¬
geständnisse zu machen, dabei aber die Elsaß-Lothringer im persönlichen Verkehr
unfreundlich und geringschätzend zu behandeln, wage man es nur einmal, den
"Los vom Reiche"-Bestrebungen ein energisches Halt zuzurufen, und behandle
die Elsaß-Lothringer im persönlichen außeramtlichen Verkehr liebenswürdig und
entgegenkommend -- und man wird Wunder sehen! I^vrtitei- in re, sua-
viter in mocio!

Daß die vorgeschlagene Neuordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse Elsaß-
Lothringens die dort herrschende Unzufriedenheit nicht im Handumdrehen beseitigen,
die erbitterten Gegner nicht sogleich zu enthusiastischen Freunden machen würde,
ist selbstverständlich. Auch die Hannoveraner, Frankfurter, Hessen standen
anfangs ihrer Einverleibung in Preußen durchaus ablehnend gegenüber. Heute
sind sie gute Preußen, gute Deutsche. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß
sich zunächst ein Sturm entrüsteter Proteste der Elsaß-Lothringer und besonders
der an dem Fortbestehen der jetzigen Stimmung interessierten Politiker erheben
würde. Aber schlimmer als jetzt kann es ja eigentlich kaum werden; haben
sich doch die Stammesgegensätze, -- welche in Elsaß-Lothringen (wie schon
öfters in der deutschen Geschichte) eine größere Schärfe angenommen haben
als mancher nationale Gegensatz, -- zurzeit derartig zugespitzt, daß die Kämpfer


Elsaß - lothringische Frage»

Einfluß fördern und dadurch diejenigen, die ruhig und ernsthaft am Ausgleich
der Gegensätze arbeiten, ins Hintertreffen bringen, — jedenfalls aber die Lage
der Deutschen in Elsaß-Lothringen und besonders die der Regierung noch
schwieriger gestalten als bisher.


ni. Die Lösung

Wenn man aber etwas tuu will, — viel läßt sich, wie gesagt, auf gesetz¬
geberischen Wege nicht erreichen, — wenn man anerkennt, daß wir an den
ernsten Symptomen der Unzufriedenheit in Elsaß-Lothringen nicht achtlos vor¬
übergehen dürfen, dann beseitige man vor allem den Fehler, den wir 1871
gemacht haben, dadurch, daß wir die Elsaß-Lothringer, bisher stolze Bürger
eines großen Reichs, in das kleine Stäätchen „Reichsland" mit seiner ganzen
partikularistischen Misere eingesperrt haben; öffnen wir ihm die Tore, machen
wir ihm die Bahn frei, auf welcher es werden kann, was es früher war:
vollberechtigtes und deshalb zufriedenes Glied eines großen einheitlichen Staats¬
wesens mit ruhmreicher Geschichte!

Das Reich, das seiner ganzen Struktur nach für die Aufgabe, eine Provinz
zu verwalten, die innerlich erst den: Deutschtum gewonnen werden soll, wenig
geeignet erscheint, beauftrage damit die Vormacht des Reichs, Preußen; die
Form zu finden, in der das geschehen kann, bietet keine Schwierigkeit (Real-
union, Personalunion, preußische Provinz stehen den Staatskünstlern zur Wahl).
Und dann versuche man, es einmal gerade umgekehrt zu machen, als man es
bisher gemacht hat: Anstatt dem Lande auf das Geschrei berufs- und gewerbs¬
mäßiger Hetzer und Agitatoren ungerechtfertigte, dem Reiche schädliche Zu¬
geständnisse zu machen, dabei aber die Elsaß-Lothringer im persönlichen Verkehr
unfreundlich und geringschätzend zu behandeln, wage man es nur einmal, den
„Los vom Reiche"-Bestrebungen ein energisches Halt zuzurufen, und behandle
die Elsaß-Lothringer im persönlichen außeramtlichen Verkehr liebenswürdig und
entgegenkommend — und man wird Wunder sehen! I^vrtitei- in re, sua-
viter in mocio!

Daß die vorgeschlagene Neuordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse Elsaß-
Lothringens die dort herrschende Unzufriedenheit nicht im Handumdrehen beseitigen,
die erbitterten Gegner nicht sogleich zu enthusiastischen Freunden machen würde,
ist selbstverständlich. Auch die Hannoveraner, Frankfurter, Hessen standen
anfangs ihrer Einverleibung in Preußen durchaus ablehnend gegenüber. Heute
sind sie gute Preußen, gute Deutsche. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß
sich zunächst ein Sturm entrüsteter Proteste der Elsaß-Lothringer und besonders
der an dem Fortbestehen der jetzigen Stimmung interessierten Politiker erheben
würde. Aber schlimmer als jetzt kann es ja eigentlich kaum werden; haben
sich doch die Stammesgegensätze, — welche in Elsaß-Lothringen (wie schon
öfters in der deutschen Geschichte) eine größere Schärfe angenommen haben
als mancher nationale Gegensatz, — zurzeit derartig zugespitzt, daß die Kämpfer


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[0224] Elsaß - lothringische Frage» Einfluß fördern und dadurch diejenigen, die ruhig und ernsthaft am Ausgleich der Gegensätze arbeiten, ins Hintertreffen bringen, — jedenfalls aber die Lage der Deutschen in Elsaß-Lothringen und besonders die der Regierung noch schwieriger gestalten als bisher. ni. Die Lösung Wenn man aber etwas tuu will, — viel läßt sich, wie gesagt, auf gesetz¬ geberischen Wege nicht erreichen, — wenn man anerkennt, daß wir an den ernsten Symptomen der Unzufriedenheit in Elsaß-Lothringen nicht achtlos vor¬ übergehen dürfen, dann beseitige man vor allem den Fehler, den wir 1871 gemacht haben, dadurch, daß wir die Elsaß-Lothringer, bisher stolze Bürger eines großen Reichs, in das kleine Stäätchen „Reichsland" mit seiner ganzen partikularistischen Misere eingesperrt haben; öffnen wir ihm die Tore, machen wir ihm die Bahn frei, auf welcher es werden kann, was es früher war: vollberechtigtes und deshalb zufriedenes Glied eines großen einheitlichen Staats¬ wesens mit ruhmreicher Geschichte! Das Reich, das seiner ganzen Struktur nach für die Aufgabe, eine Provinz zu verwalten, die innerlich erst den: Deutschtum gewonnen werden soll, wenig geeignet erscheint, beauftrage damit die Vormacht des Reichs, Preußen; die Form zu finden, in der das geschehen kann, bietet keine Schwierigkeit (Real- union, Personalunion, preußische Provinz stehen den Staatskünstlern zur Wahl). Und dann versuche man, es einmal gerade umgekehrt zu machen, als man es bisher gemacht hat: Anstatt dem Lande auf das Geschrei berufs- und gewerbs¬ mäßiger Hetzer und Agitatoren ungerechtfertigte, dem Reiche schädliche Zu¬ geständnisse zu machen, dabei aber die Elsaß-Lothringer im persönlichen Verkehr unfreundlich und geringschätzend zu behandeln, wage man es nur einmal, den „Los vom Reiche"-Bestrebungen ein energisches Halt zuzurufen, und behandle die Elsaß-Lothringer im persönlichen außeramtlichen Verkehr liebenswürdig und entgegenkommend — und man wird Wunder sehen! I^vrtitei- in re, sua- viter in mocio! Daß die vorgeschlagene Neuordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse Elsaß- Lothringens die dort herrschende Unzufriedenheit nicht im Handumdrehen beseitigen, die erbitterten Gegner nicht sogleich zu enthusiastischen Freunden machen würde, ist selbstverständlich. Auch die Hannoveraner, Frankfurter, Hessen standen anfangs ihrer Einverleibung in Preußen durchaus ablehnend gegenüber. Heute sind sie gute Preußen, gute Deutsche. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß sich zunächst ein Sturm entrüsteter Proteste der Elsaß-Lothringer und besonders der an dem Fortbestehen der jetzigen Stimmung interessierten Politiker erheben würde. Aber schlimmer als jetzt kann es ja eigentlich kaum werden; haben sich doch die Stammesgegensätze, — welche in Elsaß-Lothringen (wie schon öfters in der deutschen Geschichte) eine größere Schärfe angenommen haben als mancher nationale Gegensatz, — zurzeit derartig zugespitzt, daß die Kämpfer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/224>, abgerufen am 27.12.2024.