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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

hüben wie drüben die Fähigkeit, dem Standpunkt des Gegners auch nur
einigermaßen gerecht zu werden, völlig verloren haben. Es würde eine der
ersten günstigen Folgen der Unterordnung Elsaß-Lothringens unter preußische
Verwaltung sein, daß der Kampf um das Schlagwort Autonomie, bei welchem
jeder sich das Seine denkt, abgebrochen werden müßte.

Die Elsaß-Lothringer, die jetzt ihre Sonderstellung im Reiche zum
Ausgangspunkt ihrer Klagen machen, würden als preußische Untertanen ähn¬
liche Argumente nicht mehr ins Feld sühren können, Elsaß-Lothringen würde
eben innerhalb der preußischen Monarchie und im Verhältnis zum Reiche die¬
selben Rechte und Pflichten haben wie alle anderen preußischen Provinzen.
Eine weitere günstige Folge der vorgeschlagenen Änderungen würde sein, daß
die elsaß-lothringischen Volksvertreter den Einfluß, den sie sich bei der kleinen
elsaß-lothringischen Regierung zu verschaffen gewußt haben, und welchen sie in
äußerst geschickter Weise dazu ausnutzen, um die Bevölkerung ihren eigen¬
süchtigen Interessen dienstbar zu machen, im preußischen Landtage und der
preußischen Regierung gegenüber alsbald verlieren würden. Mit dem Maße
größerer Verhältnisse gemessen, würde die Bedeutung dieser an sich größtenteils
herzlich unbedeutenden Lokalgrößen zu einem Nichts zusammenschrumpfen; das
elsaß-lothringische Volk würde sehr bald erkennen, wie hohl die Götzen sind,
denen es bis jetzt gehuldigt hat. Ist aber erst einmal der Einfluß gebrochen,
welchen demagogische Hetze und die Schwäche der Regierung den elsaß-lothringischen
Notabeln verschafft haben (für Notabelnwirtschaft ist in Preußen kein Raum),
so wird damit eine der Hauptquellen der jetzigen Unzufriedenheit mit der Zeit
ganz von selbst versiegen und die Vorbedingung für eine ruhige und gedeih¬
liche Entwicklung der politischen Verhältnisse des Landes erfüllt werden. Dann
aber werden auch die Vorteile, welche die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu
Preußen mit Sicherheit erwarten läßt, ihren beruhigenden und versöhnenden
Einfluß geltend machen. Diese Vorteile sind so mannigfaltig, daß sich auch die
verbissensten Gegner des Deutschtums ihnen auf die Dauer nicht werden ver¬
schließen können.

Politisch wird die Zuteilung Elsaß-Lothringens an Preußen der Bevölkerung
von Elsaß-Lothringen wiedergeben, was sie vor der Annexion besessen hatte und
dessen Verlust eine der hauptsächlichsten psychologischen Ursachen ihres Unbehagens
geworden ist: die unmittelbare Zugehörigkeit zu einem großen machtvollen Staat.
Unter den bisherigen Verhältnissen hat sich der Elsaß-Lothringer gewissermaßen
wie eine Schnecke in ihr Haus zurückgezogen; an deutschen Angelegenheiten
nimmt er nur Anteil, soweit dabei elsaß-lothringische Interessen in Frage
kommen. In der ihm durch das Reich zugewiesenen Sonderstellung, welche
ihn von den: übrigen Deutschland gradezu abschloß, hat der Elsaß-Lothringer
in seinem Schmollwinkel dem Kultus der Vergangenheit eine Stätte bereitet
und sich einen Partikularismus ganz eigener Art zurechtgemacht, der im Gegensatz
zu dem der anderen deutschen Stämme die Liebe zur engeren Heimat nicht


Elsaß-lothringische Fragen

hüben wie drüben die Fähigkeit, dem Standpunkt des Gegners auch nur
einigermaßen gerecht zu werden, völlig verloren haben. Es würde eine der
ersten günstigen Folgen der Unterordnung Elsaß-Lothringens unter preußische
Verwaltung sein, daß der Kampf um das Schlagwort Autonomie, bei welchem
jeder sich das Seine denkt, abgebrochen werden müßte.

Die Elsaß-Lothringer, die jetzt ihre Sonderstellung im Reiche zum
Ausgangspunkt ihrer Klagen machen, würden als preußische Untertanen ähn¬
liche Argumente nicht mehr ins Feld sühren können, Elsaß-Lothringen würde
eben innerhalb der preußischen Monarchie und im Verhältnis zum Reiche die¬
selben Rechte und Pflichten haben wie alle anderen preußischen Provinzen.
Eine weitere günstige Folge der vorgeschlagenen Änderungen würde sein, daß
die elsaß-lothringischen Volksvertreter den Einfluß, den sie sich bei der kleinen
elsaß-lothringischen Regierung zu verschaffen gewußt haben, und welchen sie in
äußerst geschickter Weise dazu ausnutzen, um die Bevölkerung ihren eigen¬
süchtigen Interessen dienstbar zu machen, im preußischen Landtage und der
preußischen Regierung gegenüber alsbald verlieren würden. Mit dem Maße
größerer Verhältnisse gemessen, würde die Bedeutung dieser an sich größtenteils
herzlich unbedeutenden Lokalgrößen zu einem Nichts zusammenschrumpfen; das
elsaß-lothringische Volk würde sehr bald erkennen, wie hohl die Götzen sind,
denen es bis jetzt gehuldigt hat. Ist aber erst einmal der Einfluß gebrochen,
welchen demagogische Hetze und die Schwäche der Regierung den elsaß-lothringischen
Notabeln verschafft haben (für Notabelnwirtschaft ist in Preußen kein Raum),
so wird damit eine der Hauptquellen der jetzigen Unzufriedenheit mit der Zeit
ganz von selbst versiegen und die Vorbedingung für eine ruhige und gedeih¬
liche Entwicklung der politischen Verhältnisse des Landes erfüllt werden. Dann
aber werden auch die Vorteile, welche die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu
Preußen mit Sicherheit erwarten läßt, ihren beruhigenden und versöhnenden
Einfluß geltend machen. Diese Vorteile sind so mannigfaltig, daß sich auch die
verbissensten Gegner des Deutschtums ihnen auf die Dauer nicht werden ver¬
schließen können.

Politisch wird die Zuteilung Elsaß-Lothringens an Preußen der Bevölkerung
von Elsaß-Lothringen wiedergeben, was sie vor der Annexion besessen hatte und
dessen Verlust eine der hauptsächlichsten psychologischen Ursachen ihres Unbehagens
geworden ist: die unmittelbare Zugehörigkeit zu einem großen machtvollen Staat.
Unter den bisherigen Verhältnissen hat sich der Elsaß-Lothringer gewissermaßen
wie eine Schnecke in ihr Haus zurückgezogen; an deutschen Angelegenheiten
nimmt er nur Anteil, soweit dabei elsaß-lothringische Interessen in Frage
kommen. In der ihm durch das Reich zugewiesenen Sonderstellung, welche
ihn von den: übrigen Deutschland gradezu abschloß, hat der Elsaß-Lothringer
in seinem Schmollwinkel dem Kultus der Vergangenheit eine Stätte bereitet
und sich einen Partikularismus ganz eigener Art zurechtgemacht, der im Gegensatz
zu dem der anderen deutschen Stämme die Liebe zur engeren Heimat nicht


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[0225] Elsaß-lothringische Fragen hüben wie drüben die Fähigkeit, dem Standpunkt des Gegners auch nur einigermaßen gerecht zu werden, völlig verloren haben. Es würde eine der ersten günstigen Folgen der Unterordnung Elsaß-Lothringens unter preußische Verwaltung sein, daß der Kampf um das Schlagwort Autonomie, bei welchem jeder sich das Seine denkt, abgebrochen werden müßte. Die Elsaß-Lothringer, die jetzt ihre Sonderstellung im Reiche zum Ausgangspunkt ihrer Klagen machen, würden als preußische Untertanen ähn¬ liche Argumente nicht mehr ins Feld sühren können, Elsaß-Lothringen würde eben innerhalb der preußischen Monarchie und im Verhältnis zum Reiche die¬ selben Rechte und Pflichten haben wie alle anderen preußischen Provinzen. Eine weitere günstige Folge der vorgeschlagenen Änderungen würde sein, daß die elsaß-lothringischen Volksvertreter den Einfluß, den sie sich bei der kleinen elsaß-lothringischen Regierung zu verschaffen gewußt haben, und welchen sie in äußerst geschickter Weise dazu ausnutzen, um die Bevölkerung ihren eigen¬ süchtigen Interessen dienstbar zu machen, im preußischen Landtage und der preußischen Regierung gegenüber alsbald verlieren würden. Mit dem Maße größerer Verhältnisse gemessen, würde die Bedeutung dieser an sich größtenteils herzlich unbedeutenden Lokalgrößen zu einem Nichts zusammenschrumpfen; das elsaß-lothringische Volk würde sehr bald erkennen, wie hohl die Götzen sind, denen es bis jetzt gehuldigt hat. Ist aber erst einmal der Einfluß gebrochen, welchen demagogische Hetze und die Schwäche der Regierung den elsaß-lothringischen Notabeln verschafft haben (für Notabelnwirtschaft ist in Preußen kein Raum), so wird damit eine der Hauptquellen der jetzigen Unzufriedenheit mit der Zeit ganz von selbst versiegen und die Vorbedingung für eine ruhige und gedeih¬ liche Entwicklung der politischen Verhältnisse des Landes erfüllt werden. Dann aber werden auch die Vorteile, welche die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu Preußen mit Sicherheit erwarten läßt, ihren beruhigenden und versöhnenden Einfluß geltend machen. Diese Vorteile sind so mannigfaltig, daß sich auch die verbissensten Gegner des Deutschtums ihnen auf die Dauer nicht werden ver¬ schließen können. Politisch wird die Zuteilung Elsaß-Lothringens an Preußen der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen wiedergeben, was sie vor der Annexion besessen hatte und dessen Verlust eine der hauptsächlichsten psychologischen Ursachen ihres Unbehagens geworden ist: die unmittelbare Zugehörigkeit zu einem großen machtvollen Staat. Unter den bisherigen Verhältnissen hat sich der Elsaß-Lothringer gewissermaßen wie eine Schnecke in ihr Haus zurückgezogen; an deutschen Angelegenheiten nimmt er nur Anteil, soweit dabei elsaß-lothringische Interessen in Frage kommen. In der ihm durch das Reich zugewiesenen Sonderstellung, welche ihn von den: übrigen Deutschland gradezu abschloß, hat der Elsaß-Lothringer in seinem Schmollwinkel dem Kultus der Vergangenheit eine Stätte bereitet und sich einen Partikularismus ganz eigener Art zurechtgemacht, der im Gegensatz zu dem der anderen deutschen Stämme die Liebe zur engeren Heimat nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/225>, abgerufen am 28.12.2024.