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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

Deutschtum, als dessen alleinige Vertreter sich diese Leute gebärden, keine
Sympathie entgegenbringt, wenn er das ihm gegenüber bekundete unverhohlene
Mißtrauen und die ihm gezeigte Geringschätzung mit Haß vergilt? Und ist es
nötig, außer diesen hier nur kurz angedeuteten Gründen für die weitverbreitete
Unzufriedenheit und die unbehagliche Stimmung in? Lande noch weitere anzuführen:
die Klassengegensätze, die konfessionellen Streitigkeiten, die Verschiedenheiten in
Sprache, Sitten und Gewohnheiten, die zahlreichen sozialen und wirtschaft¬
lichen Nöte (die ja freilich auch anderswo bestehen, aber in Elsaß-Lothringen
unter dessen politisch zugespitzten Verhältnissen von der Masse des Volkes ohne
weiteres aufs Schüldkonto der Deutschen, insbesondere der deutschen Regierung
gesetzt zu werden pflegen)? Also an Gründen zur Unzufriedenheit mangelt
es nicht.


Wer suchen will im wilden Turm,
Manch schönes Stück iwch finde" kann,
Mir ist's zu viel gewesen, --

Die Gründe der allgemeinen Unzufriedenheit sind sozialer, wirtschaftlicher,
volkspsychologischer Natur; hier gilt es einzusetzen; aber mit der Frage der
Verfassung der Reichslande, mit der Autonomie, mit seiner Vertretung im
Bundesrate haben sie so gut wie nichts zu tun.

Die im Lande herrschende Unzufriedenheit durch Gewährung der Autonomie
bannen zu wollen, wie die Regierung anscheinend beabsichtigt, ist also ein Ver¬
such mit untauglichen Mitteln und -- wie ich gleich hinzufügen möchte -- auch
am untauglichen Objekt. Nationale und Stammesgegensätze lassen sich nicht
durch schöne Reden und uicht durch schöne Gesetze aus der Welt schaffen;
Gefühle können nicht erzwungen werden, jeder Versuch, Sympathien durch
Gesetze oder Verordnungen zu dekretieren, ist aussichtslos. Die Probleme, die
in Elsaß-Lothringen zu lösen send, spotten der Geschwätzigkeit des Reichstags
und Landesausschusses und der Gesetzgebungskunst der Regierung.

Allenfalls können freilich Gesetze, Verfassungen die Vorbedingungen schaffen,
unter welchen die lebendigen Kräfte im Staat und Volk (die allein den
Assimilierungsprozeß in Elsaß-Lothringen vollbringen können und werden), zur
freien Entfaltung und Wirksamkeit gelangen. Aber ein Autonomiegesetz für Elsaß-
Lothringen wird diese Vorbedingung nicht schaffen, Elsaß-Lothringen würde darin
nur die feierliche Anerkennung und Verbriefuug seines Rechts auf Absonderung vom
Reiche erblicken und daraus keineswegs die von optimistischen Freiheitstheoretikern
erwartete Folgerung ziehen, daß es dem Reich dafür dankbare Zuneigung
schulde, -- besonders nicht, solange die sogenannte Autonomie, wie es gar nicht
anders sein kann, die Oberhoheit des Reichs und die monarchische Staatsform
des Landes bestehen läßt. Die Autonomie, die das Reich dem Lande allenfalls
gewähren kaun, wird deshalb ein Schlag ins Wasser sein, sie wird die Zustände
in Elsaß-Lothringen nicht bessern, wahrscheinlich aber verschlechtern; denn sie
wird die Begehrlichkeit der Schreier im Lande steigern, ihr Ansehen und ihren


Grenzlwten I t!)11 27
Elsaß-lothringische Fragen

Deutschtum, als dessen alleinige Vertreter sich diese Leute gebärden, keine
Sympathie entgegenbringt, wenn er das ihm gegenüber bekundete unverhohlene
Mißtrauen und die ihm gezeigte Geringschätzung mit Haß vergilt? Und ist es
nötig, außer diesen hier nur kurz angedeuteten Gründen für die weitverbreitete
Unzufriedenheit und die unbehagliche Stimmung in? Lande noch weitere anzuführen:
die Klassengegensätze, die konfessionellen Streitigkeiten, die Verschiedenheiten in
Sprache, Sitten und Gewohnheiten, die zahlreichen sozialen und wirtschaft¬
lichen Nöte (die ja freilich auch anderswo bestehen, aber in Elsaß-Lothringen
unter dessen politisch zugespitzten Verhältnissen von der Masse des Volkes ohne
weiteres aufs Schüldkonto der Deutschen, insbesondere der deutschen Regierung
gesetzt zu werden pflegen)? Also an Gründen zur Unzufriedenheit mangelt
es nicht.


Wer suchen will im wilden Turm,
Manch schönes Stück iwch finde» kann,
Mir ist's zu viel gewesen, —

Die Gründe der allgemeinen Unzufriedenheit sind sozialer, wirtschaftlicher,
volkspsychologischer Natur; hier gilt es einzusetzen; aber mit der Frage der
Verfassung der Reichslande, mit der Autonomie, mit seiner Vertretung im
Bundesrate haben sie so gut wie nichts zu tun.

Die im Lande herrschende Unzufriedenheit durch Gewährung der Autonomie
bannen zu wollen, wie die Regierung anscheinend beabsichtigt, ist also ein Ver¬
such mit untauglichen Mitteln und — wie ich gleich hinzufügen möchte — auch
am untauglichen Objekt. Nationale und Stammesgegensätze lassen sich nicht
durch schöne Reden und uicht durch schöne Gesetze aus der Welt schaffen;
Gefühle können nicht erzwungen werden, jeder Versuch, Sympathien durch
Gesetze oder Verordnungen zu dekretieren, ist aussichtslos. Die Probleme, die
in Elsaß-Lothringen zu lösen send, spotten der Geschwätzigkeit des Reichstags
und Landesausschusses und der Gesetzgebungskunst der Regierung.

Allenfalls können freilich Gesetze, Verfassungen die Vorbedingungen schaffen,
unter welchen die lebendigen Kräfte im Staat und Volk (die allein den
Assimilierungsprozeß in Elsaß-Lothringen vollbringen können und werden), zur
freien Entfaltung und Wirksamkeit gelangen. Aber ein Autonomiegesetz für Elsaß-
Lothringen wird diese Vorbedingung nicht schaffen, Elsaß-Lothringen würde darin
nur die feierliche Anerkennung und Verbriefuug seines Rechts auf Absonderung vom
Reiche erblicken und daraus keineswegs die von optimistischen Freiheitstheoretikern
erwartete Folgerung ziehen, daß es dem Reich dafür dankbare Zuneigung
schulde, — besonders nicht, solange die sogenannte Autonomie, wie es gar nicht
anders sein kann, die Oberhoheit des Reichs und die monarchische Staatsform
des Landes bestehen läßt. Die Autonomie, die das Reich dem Lande allenfalls
gewähren kaun, wird deshalb ein Schlag ins Wasser sein, sie wird die Zustände
in Elsaß-Lothringen nicht bessern, wahrscheinlich aber verschlechtern; denn sie
wird die Begehrlichkeit der Schreier im Lande steigern, ihr Ansehen und ihren


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[0223] Elsaß-lothringische Fragen Deutschtum, als dessen alleinige Vertreter sich diese Leute gebärden, keine Sympathie entgegenbringt, wenn er das ihm gegenüber bekundete unverhohlene Mißtrauen und die ihm gezeigte Geringschätzung mit Haß vergilt? Und ist es nötig, außer diesen hier nur kurz angedeuteten Gründen für die weitverbreitete Unzufriedenheit und die unbehagliche Stimmung in? Lande noch weitere anzuführen: die Klassengegensätze, die konfessionellen Streitigkeiten, die Verschiedenheiten in Sprache, Sitten und Gewohnheiten, die zahlreichen sozialen und wirtschaft¬ lichen Nöte (die ja freilich auch anderswo bestehen, aber in Elsaß-Lothringen unter dessen politisch zugespitzten Verhältnissen von der Masse des Volkes ohne weiteres aufs Schüldkonto der Deutschen, insbesondere der deutschen Regierung gesetzt zu werden pflegen)? Also an Gründen zur Unzufriedenheit mangelt es nicht. Wer suchen will im wilden Turm, Manch schönes Stück iwch finde» kann, Mir ist's zu viel gewesen, — Die Gründe der allgemeinen Unzufriedenheit sind sozialer, wirtschaftlicher, volkspsychologischer Natur; hier gilt es einzusetzen; aber mit der Frage der Verfassung der Reichslande, mit der Autonomie, mit seiner Vertretung im Bundesrate haben sie so gut wie nichts zu tun. Die im Lande herrschende Unzufriedenheit durch Gewährung der Autonomie bannen zu wollen, wie die Regierung anscheinend beabsichtigt, ist also ein Ver¬ such mit untauglichen Mitteln und — wie ich gleich hinzufügen möchte — auch am untauglichen Objekt. Nationale und Stammesgegensätze lassen sich nicht durch schöne Reden und uicht durch schöne Gesetze aus der Welt schaffen; Gefühle können nicht erzwungen werden, jeder Versuch, Sympathien durch Gesetze oder Verordnungen zu dekretieren, ist aussichtslos. Die Probleme, die in Elsaß-Lothringen zu lösen send, spotten der Geschwätzigkeit des Reichstags und Landesausschusses und der Gesetzgebungskunst der Regierung. Allenfalls können freilich Gesetze, Verfassungen die Vorbedingungen schaffen, unter welchen die lebendigen Kräfte im Staat und Volk (die allein den Assimilierungsprozeß in Elsaß-Lothringen vollbringen können und werden), zur freien Entfaltung und Wirksamkeit gelangen. Aber ein Autonomiegesetz für Elsaß- Lothringen wird diese Vorbedingung nicht schaffen, Elsaß-Lothringen würde darin nur die feierliche Anerkennung und Verbriefuug seines Rechts auf Absonderung vom Reiche erblicken und daraus keineswegs die von optimistischen Freiheitstheoretikern erwartete Folgerung ziehen, daß es dem Reich dafür dankbare Zuneigung schulde, — besonders nicht, solange die sogenannte Autonomie, wie es gar nicht anders sein kann, die Oberhoheit des Reichs und die monarchische Staatsform des Landes bestehen läßt. Die Autonomie, die das Reich dem Lande allenfalls gewähren kaun, wird deshalb ein Schlag ins Wasser sein, sie wird die Zustände in Elsaß-Lothringen nicht bessern, wahrscheinlich aber verschlechtern; denn sie wird die Begehrlichkeit der Schreier im Lande steigern, ihr Ansehen und ihren Grenzlwten I t!)11 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/223>, abgerufen am 24.07.2024.