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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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witterten in ihm den Diktator und wollten ihm den Weg zur Allmacht verlegen.
Er wollte zur Befestigung des demokratischen Regiments die Wahl der
Abgeordneten in großen Arrondissements nach Listen haben. Die Kammer¬
mehrheit lehnte das ab, worauf Gcnnbetta sofort zurücktrat. Am letzten Tage
desselben JahreS endete sein Leben. Er hatte sich am 27. November "durch
Unvorsichtigkeit" mit einem Revolverschuß die Hand verletzt und starb daran.
Das Gerücht, daß es mit diesem Revolverschuß eigentlich eine andere
Bewandtnis hatte, erwähnt Hanotaux gar nicht einmal.




Agnes Miegel
Heinrich Spicro von

X
^M.WU-
^"it der Freude am lyrische,: Gedicht ist's wie Nut der Freude an
Blumen: man hat sie oder man hat sie nicht. Es gehört immer
etwas Impulsives, Zartes und Kindliches dazu: aber ein gesundes
und vergnügtes Kind kennt sie nicht. Ein Kind empfindet wie
ein junges Volk durchaus episch. Unsre Altvordern dichteten von
Hildebrand und Siegfried -- die Kinder von Storch Steiner und den Gänsen
im Haferstroh; etwas, was von Gefühlen handelt, langweilt sie tödlich. Man
muß nur sehn, wie die Kinder die gefühlvollen Weihnachtsverse herleiern --
mit hohlem Pathos und schiefem Köpfchen -- ein Bild naiver Verlogenheit.
Höchstens, wein: die Reime recht klappern, haben sie etwas Spaß daran. Denn
was für den Großen die Lyrik, ist für sie das Lied. Da schreien sie mit
Überzeugung ihre Freude am Dasein heraus."

Diese Bemerkungen sind so richtig und gelten für den größten Teil aller
Menschen so allgemein, daß es eine der seltensten Seltenheiten ist. wenn ein
lyrisches Buch Aufsehn erregt -- und ist das der Fall, so trifft es gemeinhin
nichts von bleibendem Wert, sondern mehr gefällige Verse, wie etwa in neuerer
Zeit die von Johanna Ambrosius oder Anna Ritter. Daß ein Band Lyrik
vini wirklichem Gehalt einen raschen Erfolg hat. ist ganz ungewöhnlich. Der
Verfasserin jener Zeilen aber. Agnes Miegel. ivar dies Ungewöhnliche beschieden:
die 1901 (bei Cotta) erschienenen Gedichte der damals Zweiundzwanzigjährigen
fielen sofort auf. wurden nicht nur von Carl Busse in einer eindringenden,
langen Besprechung an sehr bemerkbarer Stelle hervorgehoben, sondern auch
sonst und gerade im Publikum vielfältig begrüßt. Nimmt man sie heute wieder
vor, so haben sie nichts von jenem ersten Glanz verloren, in: Gegenteil, diese
Kunst, die seitdem, sparsam genug, nur noch ein zweites Bündchen "Balladen


Agnos Megcl

witterten in ihm den Diktator und wollten ihm den Weg zur Allmacht verlegen.
Er wollte zur Befestigung des demokratischen Regiments die Wahl der
Abgeordneten in großen Arrondissements nach Listen haben. Die Kammer¬
mehrheit lehnte das ab, worauf Gcnnbetta sofort zurücktrat. Am letzten Tage
desselben JahreS endete sein Leben. Er hatte sich am 27. November „durch
Unvorsichtigkeit" mit einem Revolverschuß die Hand verletzt und starb daran.
Das Gerücht, daß es mit diesem Revolverschuß eigentlich eine andere
Bewandtnis hatte, erwähnt Hanotaux gar nicht einmal.




Agnes Miegel
Heinrich Spicro von

X
^M.WU-
^»it der Freude am lyrische,: Gedicht ist's wie Nut der Freude an
Blumen: man hat sie oder man hat sie nicht. Es gehört immer
etwas Impulsives, Zartes und Kindliches dazu: aber ein gesundes
und vergnügtes Kind kennt sie nicht. Ein Kind empfindet wie
ein junges Volk durchaus episch. Unsre Altvordern dichteten von
Hildebrand und Siegfried — die Kinder von Storch Steiner und den Gänsen
im Haferstroh; etwas, was von Gefühlen handelt, langweilt sie tödlich. Man
muß nur sehn, wie die Kinder die gefühlvollen Weihnachtsverse herleiern —
mit hohlem Pathos und schiefem Köpfchen — ein Bild naiver Verlogenheit.
Höchstens, wein: die Reime recht klappern, haben sie etwas Spaß daran. Denn
was für den Großen die Lyrik, ist für sie das Lied. Da schreien sie mit
Überzeugung ihre Freude am Dasein heraus."

Diese Bemerkungen sind so richtig und gelten für den größten Teil aller
Menschen so allgemein, daß es eine der seltensten Seltenheiten ist. wenn ein
lyrisches Buch Aufsehn erregt — und ist das der Fall, so trifft es gemeinhin
nichts von bleibendem Wert, sondern mehr gefällige Verse, wie etwa in neuerer
Zeit die von Johanna Ambrosius oder Anna Ritter. Daß ein Band Lyrik
vini wirklichem Gehalt einen raschen Erfolg hat. ist ganz ungewöhnlich. Der
Verfasserin jener Zeilen aber. Agnes Miegel. ivar dies Ungewöhnliche beschieden:
die 1901 (bei Cotta) erschienenen Gedichte der damals Zweiundzwanzigjährigen
fielen sofort auf. wurden nicht nur von Carl Busse in einer eindringenden,
langen Besprechung an sehr bemerkbarer Stelle hervorgehoben, sondern auch
sonst und gerade im Publikum vielfältig begrüßt. Nimmt man sie heute wieder
vor, so haben sie nichts von jenem ersten Glanz verloren, in: Gegenteil, diese
Kunst, die seitdem, sparsam genug, nur noch ein zweites Bündchen „Balladen


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[0451] Agnos Megcl witterten in ihm den Diktator und wollten ihm den Weg zur Allmacht verlegen. Er wollte zur Befestigung des demokratischen Regiments die Wahl der Abgeordneten in großen Arrondissements nach Listen haben. Die Kammer¬ mehrheit lehnte das ab, worauf Gcnnbetta sofort zurücktrat. Am letzten Tage desselben JahreS endete sein Leben. Er hatte sich am 27. November „durch Unvorsichtigkeit" mit einem Revolverschuß die Hand verletzt und starb daran. Das Gerücht, daß es mit diesem Revolverschuß eigentlich eine andere Bewandtnis hatte, erwähnt Hanotaux gar nicht einmal. Agnes Miegel Heinrich Spicro von X ^M.WU- ^»it der Freude am lyrische,: Gedicht ist's wie Nut der Freude an Blumen: man hat sie oder man hat sie nicht. Es gehört immer etwas Impulsives, Zartes und Kindliches dazu: aber ein gesundes und vergnügtes Kind kennt sie nicht. Ein Kind empfindet wie ein junges Volk durchaus episch. Unsre Altvordern dichteten von Hildebrand und Siegfried — die Kinder von Storch Steiner und den Gänsen im Haferstroh; etwas, was von Gefühlen handelt, langweilt sie tödlich. Man muß nur sehn, wie die Kinder die gefühlvollen Weihnachtsverse herleiern — mit hohlem Pathos und schiefem Köpfchen — ein Bild naiver Verlogenheit. Höchstens, wein: die Reime recht klappern, haben sie etwas Spaß daran. Denn was für den Großen die Lyrik, ist für sie das Lied. Da schreien sie mit Überzeugung ihre Freude am Dasein heraus." Diese Bemerkungen sind so richtig und gelten für den größten Teil aller Menschen so allgemein, daß es eine der seltensten Seltenheiten ist. wenn ein lyrisches Buch Aufsehn erregt — und ist das der Fall, so trifft es gemeinhin nichts von bleibendem Wert, sondern mehr gefällige Verse, wie etwa in neuerer Zeit die von Johanna Ambrosius oder Anna Ritter. Daß ein Band Lyrik vini wirklichem Gehalt einen raschen Erfolg hat. ist ganz ungewöhnlich. Der Verfasserin jener Zeilen aber. Agnes Miegel. ivar dies Ungewöhnliche beschieden: die 1901 (bei Cotta) erschienenen Gedichte der damals Zweiundzwanzigjährigen fielen sofort auf. wurden nicht nur von Carl Busse in einer eindringenden, langen Besprechung an sehr bemerkbarer Stelle hervorgehoben, sondern auch sonst und gerade im Publikum vielfältig begrüßt. Nimmt man sie heute wieder vor, so haben sie nichts von jenem ersten Glanz verloren, in: Gegenteil, diese Kunst, die seitdem, sparsam genug, nur noch ein zweites Bündchen „Balladen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/451>, abgerufen am 29.06.2024.