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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Line schweizerische Ncitionalliteratur?

lose" auch Hütte kompilieren können. Aber Sie wissen ja, Opposition imponiert
in Deutschland immer. Opposition, gleichgültig gegen was. Populäre, witzig¬
satirische Form gefüllt auch -- der Stoff ist dabei ziemlich unwichtig. So
wird Ihr Buch viel gekauft und gelesen werden; und wenn das zehnte Tausend
erreicht ist, so wird damit ein Faktum da sein, das Material für einen wunder¬
hübschen Abschnitt in einem von Ihnen neu zu kompilierenden Buche Kultur-
Dr. Victor Goldschmidt- turiosa der Gegenwart" bilden dürfte.




Eine schweizerische Nationalliteratur?
Dr. Eduard Rorrod von

wei Titel! "Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz" von
I. Büchtold, 1892. "im'stoirs as la litterature Luisse" par V. kiosssl
et et. L. .Isla^, 1910. Zwei Titel! Nichts weiter? Zu wissen,
daß der erste ungefüg und lang, der zweite kurz formuliert ist, wie
es einem Franzosen geziemt? Aber das sind Äußerlichkeiten-,
ich bitte den beiden Titeln etwas vorsichtiger ins Auge zu sehen I Sie sind nichts
Geringeres als zwei geharnischte programmatische Thesen, Gegensatze schärfster
Prügung. Böchtold erzählt sachlich und auf den sichern Brücken mühselig errafften
Tatsachenmaterials, ohne die Leidenschaft eines Künstlers, von dem Anteil der
Schweizer an der allgemeinen deutschen Literatur, von Dichtern, die zwar nicht
erröten, reichlich die helvetischen Muttermale zu zeigen, die gleich Haller nicht
verleugnen, wie energisch sie mit der deutschen Sprache gekämpft, wie sie allzeit in
der Avantgarde waren, wenn es galt, gegen Monopolisierungsversuche eines
Gottsched mit der Hartschädelhaftigkeit eines Boomers anzustürmen, die freudig je
und je die Segnungen eines so reichen Literaturzusammenhanges genossen. Virgil
Rössel, der neue Geschichtsschreiber der Schweizer Dichtung, macht sich zum Inter¬
preten jener Ansicht, die gegen Professor Vetter seinerzeit grollte, weil er die Schweiz
in geistiger Beziehung eine Provinz nannte. In Wirklichkeit darf er nicht einmal
als der Präger dieses Urteils gelten! las ich doch erst vor kurzem in dem Ein¬
leitungswort zu den am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erschienenen
"Alpenrosen", einer Almanachsammlung von ausgesprochen lokalpatriotischen Ten¬
denzen: "Wir Schweizer sind dem größten Teile nach in Sitten und Gebräuchen,
in Sinnesart und Sprache das, was man ehrlich Deutsche nennt. Die schweizerische
Literatur, die von altersher eine kleine Provinz der deutschen macht usw." Virgil
Rössel bemüht sich, im Vorwort die Literatur der Schweiz zu einer Nationalliteratur
zu frisieren und um das deutsche und französische Literaturringen in der Schweiz
ein Einheitsband zu flechten. In der Einleitung seiner Geschichte, sagte ich, denn
der folgende Werdegang der Literatur lehnt sich auch bei ihm gegen eine solche'
Geschichtsklitterung von Partikularistischen Engvrüstlingen auf. Goethe, der aus
poetischem Territorium den Landesmarken keinen zu großen Wert beilegte, nannte
darum in Hinsicht auf die gesamte deutsche Literatur Hallers Alpen "den Anfang
einer nationalen Poesie", der Goethe, der die feine Distinktion machte "zwischen
dem Vaterlande seiner poetischen Kräfte und jenem, das er als Mensch und Bürger


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lose" auch Hütte kompilieren können. Aber Sie wissen ja, Opposition imponiert
in Deutschland immer. Opposition, gleichgültig gegen was. Populäre, witzig¬
satirische Form gefüllt auch — der Stoff ist dabei ziemlich unwichtig. So
wird Ihr Buch viel gekauft und gelesen werden; und wenn das zehnte Tausend
erreicht ist, so wird damit ein Faktum da sein, das Material für einen wunder¬
hübschen Abschnitt in einem von Ihnen neu zu kompilierenden Buche Kultur-
Dr. Victor Goldschmidt- turiosa der Gegenwart" bilden dürfte.




Eine schweizerische Nationalliteratur?
Dr. Eduard Rorrod von

wei Titel! „Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz" von
I. Büchtold, 1892. „im'stoirs as la litterature Luisse" par V. kiosssl
et et. L. .Isla^, 1910. Zwei Titel! Nichts weiter? Zu wissen,
daß der erste ungefüg und lang, der zweite kurz formuliert ist, wie
es einem Franzosen geziemt? Aber das sind Äußerlichkeiten-,
ich bitte den beiden Titeln etwas vorsichtiger ins Auge zu sehen I Sie sind nichts
Geringeres als zwei geharnischte programmatische Thesen, Gegensatze schärfster
Prügung. Böchtold erzählt sachlich und auf den sichern Brücken mühselig errafften
Tatsachenmaterials, ohne die Leidenschaft eines Künstlers, von dem Anteil der
Schweizer an der allgemeinen deutschen Literatur, von Dichtern, die zwar nicht
erröten, reichlich die helvetischen Muttermale zu zeigen, die gleich Haller nicht
verleugnen, wie energisch sie mit der deutschen Sprache gekämpft, wie sie allzeit in
der Avantgarde waren, wenn es galt, gegen Monopolisierungsversuche eines
Gottsched mit der Hartschädelhaftigkeit eines Boomers anzustürmen, die freudig je
und je die Segnungen eines so reichen Literaturzusammenhanges genossen. Virgil
Rössel, der neue Geschichtsschreiber der Schweizer Dichtung, macht sich zum Inter¬
preten jener Ansicht, die gegen Professor Vetter seinerzeit grollte, weil er die Schweiz
in geistiger Beziehung eine Provinz nannte. In Wirklichkeit darf er nicht einmal
als der Präger dieses Urteils gelten! las ich doch erst vor kurzem in dem Ein¬
leitungswort zu den am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erschienenen
„Alpenrosen", einer Almanachsammlung von ausgesprochen lokalpatriotischen Ten¬
denzen: „Wir Schweizer sind dem größten Teile nach in Sitten und Gebräuchen,
in Sinnesart und Sprache das, was man ehrlich Deutsche nennt. Die schweizerische
Literatur, die von altersher eine kleine Provinz der deutschen macht usw." Virgil
Rössel bemüht sich, im Vorwort die Literatur der Schweiz zu einer Nationalliteratur
zu frisieren und um das deutsche und französische Literaturringen in der Schweiz
ein Einheitsband zu flechten. In der Einleitung seiner Geschichte, sagte ich, denn
der folgende Werdegang der Literatur lehnt sich auch bei ihm gegen eine solche'
Geschichtsklitterung von Partikularistischen Engvrüstlingen auf. Goethe, der aus
poetischem Territorium den Landesmarken keinen zu großen Wert beilegte, nannte
darum in Hinsicht auf die gesamte deutsche Literatur Hallers Alpen „den Anfang
einer nationalen Poesie", der Goethe, der die feine Distinktion machte „zwischen
dem Vaterlande seiner poetischen Kräfte und jenem, das er als Mensch und Bürger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/416>, abgerufen am 29.06.2024.